Hippies-(01)

Die Hippies – Revolutionäre ihrer Zeit

Im Januar 1966 war das Haight-Ashbury-Viertel in San Francisco von einer seltsamen Mischung aus Revoluzzern, Aussteigern, Künstlern und Halbstarken bevölkert. In nur sechs Monaten sollte dieser Ort zum Epizentrum einer sozio-kulturellen Revolution werden, die eine Welle des Experimentierens auslöste, wie sie die Welt zuvor noch nicht erlebt hatte.

Es war wie eine einzige Selbstfindungs-Orgie, wobei es nicht nur um Sex und Drogen ging. Die ganze Lebensweise war ein Experiment – auch in der Kunst oder der politischen Ausdrucksweise wurden bisher unbekannte Wege beschritten. Die Mittel, mit der Jugendliche ihre Missbilligung der Regierungspolitik demonstrierten, nahmen völlig neue Ausdrucksformen an. Den größten Konsens stellte dabei die Ablehnung des Vietnam-Krieges dar, „Make love, not war“ wurde eine der bekanntesten Slogans jener Zeit. Der Brennstoff für die revolutionäre, alle Regeln ignorierende Haltung vieler Jugendlicher war eine Mischung aus Politik, Wirtschaft und Generationenkonflikt – der Auslöser dagegen war LSD, jene bewusstseinserweiternde Substanz, deren Popularität Ende der 60er Jahre ihren Zenit erreichte.

Mit der Zeit entstanden verschiedenste Gruppen, die außergewöhnliche Pläne verfolgten – eine davon waren die „Diggers“. Diese hatten es sich zunächst zur Aufgabe gemacht, allen bedürftigen Menschen ausreichend Nahrung zu geben. Zu diesem Zweck veranstalteten sie riesige, öffentliche Grill-Gelage mit Fleisch, das sie von LKWs oder aus Lagerhäusern entwendeten. Doch „Essen für alle!“ war nur der Anfang, bald entstanden auch preiswerte Wohn-Kommunen, da die Mehrzahl der „Brüder und Schwestern“ ständig auf der Durchreise waren und eine feste Wohnung von vielen als gar nicht mehr zeitgemäß angesehen wurde. Mit der Zeit gab es auch Läden der Diggers, in denen sich Aussteiger kostenlos einkleiden konnten und jeden Mittwoch kamen Medizinstudenten zum „Diggers-Freestore“ wo sie – ebenfalls kostenlos – Sprechstunden für jedermann anboten. So entstand mit der Zeit viel mehr als nur eine revolutionäre Jugendbewegung – es entstand eine alternative Gesellschaft. Diese freie Gesellschaft war absolut un-materialistisch, was jedoch nicht heißt, dass sie anti-materialistisch war. Haight Ashbury war im Herbst 1966 ein halb-autonomer, psychedelischer Stadtstaat mit einem ganz eigenen Lebensstil, einer eigenen Kultur und sogar eigenen Zeitungen. Es war eine Alternative zur konventionellen Gesellschaft, eine, die Konformität durch Kreativität ersetzte, Repressionen durch emotionale oder sexuelle Freiheit und Krieg durch Liebe und Frieden.

Eine Zeit lang existierte die Welt von Haight Ashbury relativ friedlich neben der konservativen Gesellschaft, bevor Ronald Reagan im November 1966 überraschend den amtierenden Gouverneur Kaliforniens ersetzte. Kurz darauf erklärte er das Viertel zu einer „Quelle des Übels“ und sagte über seine Bewohner: „Sie kleiden sich wie Tarzan, haben Frisuren wie Jane und riechen wie Chee-Tah!“ Fortan stand Haight Ashbury im Mittelpunkt des weltweiten Interesses. Dabei konzentrierten sich die großen Massenmedien fast ausschließlich auf die skurril-verrückten Aspekte des Ganzen – insbesondere auch auf Fotos von hübschen, halbnackten Hippiemädchen. Die dahinter entstandene Philosophie der Hippie-Bewegung wurde dagegen so gut wie nie reflektiert.

Im Frühling 1967 war die Flower-Power-Bewegung im vollen Gange, es ging vor allem darum, seine Missbilligung gegenüber dem „American way of life“ auszudrücken und sich von den Idealen und Lebensweisen der Eltern möglichst energisch abzugrenzen.

Mit dem 5-Sterne-General Eisenhower im weißen Haus sowie Selbstaufopferung und Gehorsam auf dem Dienstplan wurde das Land von „Freiheit und Demokratie“ immer mehr zu einem Ort der Bürokratie, Reglementierung und Konformität. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, Karriere zu machen: Man musste tun, was einem gesagt wurde – ohne dumme Fragen zu stellen oder moralische Zweifel zu äußern. Dagegen machte sich Unmut breit, man suchte nach Alternativen, die es einem erlaubten, anders zu leben und sich trotzdem wohl dabei zu fühlen.
Von Florida bis Seattle entstanden immer mehr kleine Ableger von Haight Ashbury, gleichzeitig hatten sich psychedelische Szenen gebildet, die viele Möchtegern-Revoluzzer magisch anzogen. Im New Yorker „East Village“ war man beispielsweise künstlerisch-intellektuell, bald dominierten hier Drogen wie Speed oder Heroin die Szene. In Los Angeles zog es die Blumenkinder in die Clubs des Sunset-Strips, wo sie Schulter an Schulter mit Filmstars oder Hollywood-Bossen abfeiern konnten.

In San Francisco selbst wurden die Hippies zu einem regelrechten Tourismus-Magneten. Viele der neugierigen Besucher fuhren mit verriegelten Autotüren und hochgekurbelten Fenstern durch Haight Ashbury wie durch einen Wildtier-Park. Für viele Touristen waren die Hippies ganz einfach ein Haufen Verrückte, die allerdings ganz hübsch anzuschauen waren und daher ständig fotografiert wurden. Ab dem 5. April 1967 bot die Grayline-Busgesellschaft die erste „Hippie-Hop-Tour“ in den Haight-Distrikt an – sie bewarben ihr Angebot als „eine Safari durch Psychedelphia“ und „die einzige Auslandsreise innerhalb der Vereinigten Staaten“. Das kam bei den Hippies natürlich nicht besonders gut an und sie begannen sich zu wehren. Sie hielten Busse an und verlangten Eintrittsgeld, bevor die Touristen durch „ihr“ Viertel gehen durften – das wiederum lieferte der Polizei den willkommenen Anlass, nun endlich einmal aufzuräumen und die Straßen von diesem bunten Pack zu „säubern“. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen und die Szene wurde von der Straße in ein weniger sichtbares und nun zum Großteil privates Umfeld gedrängt. Doch das Schlimmste kam erst noch in Form von immer mehr Jugendlichen aus allen Teilen des Landes, die glaubten, in Haight Ashbury ihren ganz persönlichen Traum von Liebe, Frieden und Harmonie ausleben zu können. Viele der Zugereisten hatten alle Brücken hinter sich abgebrochen und waren weitgehend mittellos. Sie kamen in Haight Ashbury an, völlig pleite und ohne irgendeine Verdienstmöglichkeit in Sicht und fanden auf den Straßen kaum noch Liebe, Frieden oder Harmonie. Auch hier galt das gnadenlose Gesetz des Stärkeren, gestrandete Jugendliche wurden oft regelrecht ausgeplündert. Junge Mädchen waren dabei besonders betroffen. Viele erlitten ein trauriges Schicksal – nicht nur wegen dem freiwilligen und oft wahllosen Sex, den sie hatten. Es gab Zuhälter, die gezielt junge obdachlose Hippie-Mädchen ansprachen, einlullten und schließlich dazu zwangen, für sie anschaffen zu gehen. Nichtsdestotrotz stieg die Anzahl der in Haight Ashbury campierenden Ausreißer schließlich auf über 100.000 und die ehemals blühende alternative Gemeinschaft des Viertels zerbrach endgültig unter der Last der unzähligen Jugendlichen, die weder wussten wohin noch was sie mit sich anfangen sollten. Oft erschien da die Flucht in den Rausch als einzige Möglichkeit. Doch auch die Drogen hatten sich geändert, plötzlich gab es Amphetamine und Heroin an jeder Ecke und Zahl der Süchtigen stieg unaufhaltsam an.

Dennoch – die Bewegung war immer noch sehr lebendig und hatte sich bereits neu orientiert. Plötzlich machten nämlich die Beatles bei den Hippies mit und hatten mit „Sgt. Peppers Lonely Hart’s Club Band“ das vielleicht größte Meisterwerk der psychedelischen Ära geschaffen. Während sich die Beatles ihre Haare wachsen ließen und sich immer bunter kleideten, bekam die mittlerweile weltweite Bewegung einen neuen Schub. Die „Fab Four“ hatten eine Vorliebe für Indien und spirituelle Kultur entwickelt. Insbesondere George Harrison verfiel einem indischen Guru, der nicht unumstritten war, da er sich seine spirituellen Dienstleistungen stets gut bezahlen lies. Dafür versprach er aber auch kosmisches Bewusstsein sowie einen Zustand höherer Erkenntnis und Kreativität – und das ganz ohne Drogen. Sehr bald schon praktizierten die Beatles, Donovan und andere langhaarige Musikstars den besonderen Yoga-Ansatz des Maharischi – dieser war damals auch als „transzendale Meditation“ – oder kurz „TM“ – bekannt. Für eine Zeit waren Popstars die Schüler eines selbsternannten Gurus und sorgten damit für ein enormes weltweites Interesse an indischer Spiritualität, die fortan zu einem festen Bestandteil der sich immer weiter entwickelnden Hippie-Kultur wurde. Es sollten noch viele Gurus, Swamis oder Schamane folgen. Die Leidenschaft für das Mystische war schon immer Teil der Bewegung gewesen, sie war eine Reaktion auf die steife, leidenschaftslose Religiosität der Elterngeneration. Diese hatte ein spirituelles Vakuum gebildet, in welchem sich nun viele junge Menschen auf die Suche nach neuen Wegen machten. Dabei wurden die meisten mystischen Verirrungen der Hippies eher als harmlos oder sogar ganz charmant betrachtet. Einige Rockstars dagegen – die von Ruhm, Drogen und Sex übersättigt waren – fühlten sich zu schwarzer Magie hingezogen. Der Doors-Sänger Jim Morrison taugt hier als populäres Beispiel dafür, wie Okkultismus und schwarze Magie plötzlich schick und akzeptabel wurden. Plötzlich gab es eine Satanskirche und religiöse Sekten, die mit klassischer Religionsausübung kaum noch etwas zu tun hatten. Dennoch war der soziokulturelle Einfluss nachhaltig – ohne diese Entwicklung gäbe es heute sicherlich keine „Gruftis“, „Wave“ oder „Gothic“-Fans.

Im Frühjahr 1968 entstand ein ganz neuer Trend innerhalb der Hippie-Bewegung. Tausende ließen sich in ländlichen Gebieten nieder und gründeten gemeinsame Landkommunen. Sie wollten der Natur wieder nahe sein und dem politischen System entkommen, sie waren der Meinung, dass die steife, konventionelle Gesellschaft die eigentlich Ursache für Krieg und Kriminalität sei. Auf dem Land wollten sie nun ihre eigenen Ideale verwirklichen. Obwohl die Kommunen zum Teil recht unterschiedliche Lebensweisen vertraten, versuchten doch die meisten, das gezwungenermaßen materielle Leben durch ein spirituelles auszugleichen. Im Grunde genommen lebten viele Hippies wie die ersten Christen, denn sie folgten Geboten wie „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem Anderen zu“ und arbeiteten hart an der Verwirklichung ihrer Pläne, die gemeinsame Kommune immer mehr auszubauen und so immer lebenswerter zu machen. Viele empfanden es als positive Erfahrung, den ganzen Tag körperlich zu arbeiten und alles miteinander zu teilen. In vielen Kommunen wurden auch die Sexualpartner geteilt, was aber mit der Zeit zu immer tiefgreifenderen Problemen führte. Auch viele Hippies waren in Sexfragen durchaus besitzergreifend oder eifersüchtig, zudem wurde auch unterschätzt, wie schwierig mit der Zeit das einfache Leben sein konnte. Die ewig gleichen Leute – Tag für Tag – konnten sich auch ganz schön auf die Nerven gehen. Nur wenige blieben auf Dauer.

1968 standen die Vereinigten Staaten am Rande des absoluten Chaos nach einen halben Jahr voller Katastrophen. Im Januar waren über 2.000 US-Soldaten in der TED-Offensive gefallen, was der öffentlich propagierten Annahme der Armeeführung entgegenstand, die behaupteten, eine baldiges erfolgreiches Ende des Vietnamkrieges wäre in Sicht. Im April wurde Martin Luther King in Memphis erschossen, in der Folge darauf kam es zu den schlimmsten Aufständen und Rassenunruhen seit dem amerikanischen Bürgerkrieg. Im Juni wurde dann auch noch der politische Hoffnungsträger und „Friedenskandidat“ Robert Kennedy – Bruder des ebenfalls ermordeten John F. Kennedy – regelrecht hingerichtet. Die gesellschaftliche Atmosphäre war verrückt und vergiftet. Die Frage, ob man für oder gegen den Vietnamkrieg sei, spaltete das Land und führte zu immer gewalttätigeren Ausschreitungen. Die Hippies waren geschlossen auf Seiten der Kriegsgegner und unterstützten auch aktiv die Bürgerrechtsbewegung. Dennoch gab es viele Diskrepanzen zwischen ihnen und anderen Gruppen der eigenen Seite. Einige Linksradikale hatten sogar die Theorie aufgebracht und verbreitet, die Hippies wären ein Instrument der CIA und hätten die Aufgabe, die Antikriegsbewegung mit LSD lahm zulegen und revolutionäre Demonstranten in selbstverliebte Tagträumer zu verwandeln.

Doch die Hippies hatten ihren Traum von Liebe und Frieden noch nicht aufgegeben – ganz im Gegenteil, sie verkündeten ihre Philosophie bei allen Gelegenheiten. Das vielleicht Interessanteste am politischen Engagement der Hippies war, dass sie Humor und Leichtigkeit in politische Debatten einbrachten – derartiges hatte es in der linken Protestbewegung zuvor noch nicht gegeben. So kam es auch zu dem spektakulären Versuch einer „Teufelsaustreibung“ – 50.000 Menschen zogen im Sommer 1968 durch Washington und umstellten schließlich das Pentagon, um es durch gemeinsames Schreien und verschiedenste Rituale vom Einfluss des Bösen zu befreien. Leider vergeblich, doch viele Menschen erlebten dabei, dass politischer Protest auch Spaß machen kann. Den Durchschnittsamerikanern dagegen machten derartige Aktionen weniger Spaß, sie wünschten sich mittlerweile nur noch eins: Zucht und Ordnung. Der Mann, den sie dafür wählten, war der Republikaner Richard Nixon. Er war bereit, die Hippie-Bewegung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen – im Januar 1969 wurde er der 37. Präsident der USA. Eine seiner ersten Amtshandlungen war, eine geheime FBI-Aktion gegen „Staatsfeinde in Amerika“ zu genehmigen. Auf der langen Liste der Gesuchten standen viele verschiedene Organisationen und Gruppen, die sich aus der Hippie-Bewegung entwickelt hatten. Immer repressivere Gesetze passierten den Kongress und viele verdeckte Ermittler wurden in Hippie-Kommunen eingeschleust, um an persönliche Informationen zu gelangen. Diese FBI-Agenten hatten zudem die Aufgabe, bei öffentlichen Protestveranstaltungen Übergriffe oder Tumulte zu provozieren, um so dem Ansehen der Hippie-Bewegung zu schaden. Als Vorbereitung für diese Einsätze mussten die Agenten – staatlich verordnet – mehrfach LSD nehmen und durften sich zudem oft tagelang nicht waschen.

Dennoch stieg der Einfluss der Hippies – auch ohne großen Rückhalt bei der schweigenden Masse – stetig an. Schon damals zeigten selbst die staatlichen Statistiken, dass immer mehr Durchschnittsbürger illegale Drogen nahmen – meistens Marihuana. Banker, Ärzte und sogar Polizisten ließen sich längere Haare wachsen und der Handel mit Perücken und falschen Bärten florierte wegen all denen, die morgens sauber und rasiert zur Arbeit gingen, am Wochenende aber Hippie-mäßig und wild aussehen wollten. Es hatte nichts mehr mit einer bestimmten Einstellung zu tun, wenn man lange Haare trug – es war einfach eine freche Mode. Männer trugen plötzlich viel zu enge Hemden, Ketten, Pelze oder Handtaschen. Die Frauen trugen nun oft psychedelische Muster und verzichteten auf ihre BHs. Auch das Show-Geschäft wurde nachhaltig beeinflusst, zu einem der größten Erfolge wurde das Broadway-Musical „Hair“, dem es gelang, die Botschaften der Hippies einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Auch für das Kino wurden mittlerweile Pro-Hippie-Filme gemacht, in ihnen gab es meistens jede Menge psychedelisch inspirierte Spezialeffekte und leicht bekleidete Hippie-Mädchen in zu sehen. Einer dieser Filme war „The Trip“ – Peter Fonda und Dennis Hopper spielten die Hauptrollen nach einem Drehbuch von Jack Nicholsen. Obwohl der Film von Kritikern fast durchweg verrissen wurde, war er an den Kinokassen ein großer Erfolg – daher gab es auch für den nächsten Film des Trios grünes Licht, bei dem Dennis Hopper nun auch die Regie führen sollte. „Easy Rider“ spielte über 50 Millionen Dollar ein, gewann den Nachwuchspreis für Regie in Cannes und veranlasste Hollywood, sich fortan um Drehbücher zu schlagen, in denen es um die Gegenbewegung der Hippies ging. Den größten Profit zog jedoch die Musikindustrie aus dem medialen Hippie-Trend. Es hatten sich viele neue Musikrichtungen entwickelt, insbesondere „Acid-Rock“ traf genau den Nerv der Zeit und ermöglichte besonders viele goldene Schallplatten. Auch die Besucherzahlen von Live-Konzerten und Open-Air-Festivals schossen nun in die Höhe. Doch während die Woodstock-Besucher im August 1969 dem Staat New York die Macht der Liebe verdeutlichten, bekam Kalifornien eine Lektion in ungeahnter Grausamkeit erteilt. In einer prunkvollen Beverly-Hills-Villa wurden fünf verstümmelte Leichen gefunden, unter ihnen befand sich auch die schwangere Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski. Im Oktober 1969 fasste die Polizei schließlich den Mann, den sie hinter diesen Morden und einer Vielzahl anderer abscheulicher Verbrechen vermutete. Es war ein langhaariger Liedermacher, Kommunenanführer und ehemaliger Bewohner von Haight Ashbury – Charles M. Manson.

Für die konservative Presse war das natürlich ein gefundenes Fressen – derartiges könne eben leicht passieren, wenn man freie Liebe und Drogen propagiere. Am Ende würde man in die Häuser braver Bürger einbrechen und diese im Blutrausch zerstückeln. Die Presse stellte die Manson-Morde geradezu als ein Sinnbild für die späten 60er Jahre dar und viele Hippie-Kommunen reagierten verunsichert und vermuteten eine Verschwörung der Regierung und Geheimdienste. Doch die Beweislast wuchs ständig an und bald mussten auch die letzten Verschwörungstheoretiker einsehen, dass auch ein langhaariger Kommunarde ein psychopathischer Massenmörder sein kann.

Zusammen mit ihrem moralisierenden Image verlor die Bewegung nun auch viele ihrer Helden. 1970 lösten sich die Beatles auf, andere Hippie-Ikonen hatten ihren Abtritt von der Bühne nicht selbst geplant. Im September 1970 starben Jimi Hendrix und Janis Joplin an einer Überdosis Drogen, nur wenig später auch Jim Morrison. Die Presse trauerte zwar etwas um die Idole, doch nachdem Hippies bereits als mögliche Massenmörder a la Manson dargestellt wurden, kam nun auch noch das Bild des lebensmüden Drogenjunkies dazu. Eine herausragende Ära der Musikgeschichte ging so zuende, fast parallel dazu hatte auch der Vietnamkrieg ein Ende gefunden. Desillusioniert, ihrer Helden beraubt und ohne den Krieg, gegen den sie gemeinsam protestieren konnten, wurde es für viele Anhänger der Bewegung Zeit, zu ihren Wurzeln und damit oft auch nach Hause zurückzukehren. Nach fünf aufregenden Jahren der Bewegung schien der Traum nun ausgeträumt – oder doch nicht?

Am 22. April 1970 versammelten sich landesweit 22 Millionen Menschen, um den ersten überregionalen „Earth Day“ zu feiern. Seit dem steht auch die Umwelt auf der politischen Agenda der US-Regierung – bis heute. Der erste landesweite „Earth Day“ war auch die Geburtsstunde vieler verschiedener Umweltschutzorganisationen, die sich fortan rasant weiterentwickelten. Entstanden war der Feiertag in San Francisco und aus dem damaligen Trend heraus, gemeinsam aufs Land zu ziehen, um dort in Kommunen zusammen zu leben. Viele Landkommunenhippies glaubten an die Vorraussagung einer ökologischen Katastrophe, was mit der Veranstaltung des „Earth Day“ zum Ausdruck gebracht werden sollte.

Die heute 30 Milliarden schwere Bio-Lebensmittelindustrie, der wachsende Raum für Selbstverwirklichung, alternative medizinische und spirituelle Praktiken, die Bewegung der Naturschützer ebenso wie die der Homosexuellen und die der Feministinnen – all diese Entwicklungen konnten nur entstehen, weil die Hippies die Wertewelt Amerikas weitgehend beeinflussten und nachhaltig veränderten. Sie hatten die Grenzen der Kultur unwiderruflich aufgebrochen.
Ihren größten Einfluss auf die Zukunft hatten die Hippies jedoch nicht im kulturellen, sondern im technologischen Bereich. Im April 1977 präsentierten Steve Jobs und sein Partner Steve Wozniak den Apple II – den ersten käuflich zu erwerbenden Personal Computer. Über ihre anfänglichen Motive sagte Wozniak später: „Unser Grundgedanke war, die Machtstrukturen der Reichen zu zerstören und den Individuen wieder mehr Macht zu verschaffen. Dabei war Steve damals viel mehr Hippie als ich. Er trug Sandalen, aß Samen und flog nach Indien, um im Ganges zu baden. Er versuchte, das Hippie-Phänomen zu ergründen, während er gleichzeitig hart an seiner Karriere arbeitete.“

Der PC revolutionierte die Welt von Grund auf. Auch die nächste revolutionäre Technologie wurde von einem High-Tech-Hippie erfunden. Stuart Brandt war ein Schützling der Hippie-Ikone Ken Kesey und Mitverfasser des „Whole Earth Catalog“, der Ende der 60er Jahre zur Bibel vieler Kommunen wurde. In den 80er und 90er Jahren war Stuart Brandt maßgeblich an den Ideen und Entwicklungen beteiligt, die schließlich zum „World Wide Web“ führten. Das Internet gab einfachen Menschen etwas von der Informationsmacht zurück, die sich mächtige Institutionen und großen Firmen längst angeeignet hatten. Es war in vielerlei Hinsicht eine logische Konsequenz der Philosophie und der Ideale der Hippie-Bewegung.

Vielleicht war der Niedergang der Hippies als Massenbewegung unvermeidlich, nichtsdestotrotz hat ihr Widerstand gegen den gesellschaftlichen Status Quo die Wertetabelle einer ganzen Generation auf den Kopf gestellt und in Folge dessen einer unvergleichlichen Innovationswelle den Weg geebnet.