Editorial-201504-002

thcene 04/2015 (Juli-August)

„Der Revolutionär muss imstande sein, das Gras wachsen zu hören.“

Dieses Zitat stammt von dem deutschen Philosophen, Ökonom, Gesellschaftstheoretiker, politischen Journalisten und  Kapitalismuskritiker Karl Marx (1818-1883).

In Zeiten einer nicht enden wollenden globalen Finanzkrise voller Bank-Skandale, überschuldeter Staaten und Privathaushalte, Arbeitslosigkeit und Austeritätspolitik scheint Marx mit seiner Aussage „der Kapitalismus wird an sich selbst zugrunde gehen“ am Ende doch noch recht zu behalten.

Offiziell geht es beim “War on Drugs” – den europäische Politiker lieber vorsichtig als “Drogenpolitik” bezeichnen – ja um das Wohl und die Gesundheit der Gesellschaft und jedes Einzelnen.

Die Realität sieht allerdings ganz anders aus. Der Krieg gegen die (illegalen) Drogen hat mehr Opfer gefordert und für mehr Leid gesorgt, als das irgendeine Droge (von legalem Alkohol und Nikotin mal abgesehen) jemals könnte.

Wenn man sich mit der Geschichte der internationalen Drogenpolitik (die mit der Single Convention on Narcotics 1961 unter der Führung der USA weltweit etabliert wurde) genauer beschäftigt, stellt man schnell fest, dass von Anfang an politische und wirtschaftliche Interessen hinter der Prohibition steckten – und nicht etwa das Wohlergehen der Menschen. Verfolgt man die Spur der Milliarden, die mit dem illegalen Drogenhandel gemacht werden, landet man schnell bei den Zentren der internationalen und “freien” Märkte wie der Wall Street und den ach so seriösen Grossbanken, die alle munter mitmischen und dabei grossartig daran verdienen, während Konsumenten, Kranke und Kleindealer verfolgt, instrumentalisiert und bestraft werden.

Glücklicherweise werden immer mehr Leute wach und sich bewusst, dass das kapitalistische System – von dem wir zur Zeit alle noch mehr oder weniger abhängig sind – nur für eine kleine Elite (auf Kosten des Planeten und eines Großteils der Erdbevölkerung) funktioniert. Immer mehr Menschen beginnen sich zu organisieren und fordern eine weitgehende gesellschaftliche und politische

Veränderung des Status Quo.

Die Hanfszene ist Teil dieser Gegenbewegung und sollte sich dessen auch bewußt sein. Immer öfter hört man das Argument, mit Cannabis ließen sich Hunderte Millionen Steuereinnahmen gewinnen. Das ist richtig, sollte aber auf keinen Fall der einzige und treibende Grund sein, warum man die Re-Legalisierung fordert und sich aktiv dafür einsetzt. Die Forderung lautet seit jeher „Legalize it!“ – und zwar uneingeschränkt. Hanf ist das passende Symbol und Produkt für eine grüne(re) und nachhaltige(re) Zukunft.

Cannabis ist gleichzeitig Heil-, Genuss- und Nahrungsmittel und ein nachwachsender Rohstoff für zahllose Produkte des alltäglichen Lebens. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Hanfszene ihrer Wurzeln bewusst bleibt und sich nicht vom System (ein)kaufen lässt. Wir brauchen keine Welt der Coffeeshop-Franchise-Unternehmen oder eines Sorten-Brandings, in der ein Gramm Medizin immer noch 15 Euro und mehr kostet und somit für viele Hilfsbedürftige einfach unerschwinglich bleibt.

Marx hatte sicher recht – als Revolutionär muss man geduldig und „imstande sein, das Gras wachsen zu hören.“

Inzwischen ist es aber an der Zeit, das Gras auch wachsen zu lassen.