Kalter-Krieg-2.0-01 (1)

Droht ein neuer Kalter Krieg?

Wieviel Michael Gorbatschow für das Ende des Kalten Krieges im Allgemeinen und für Deutschland im Besonderen getan hat, ist vielen heute gar nicht mehr bewusst. Seine Politik der friedlichen Koexistenz ermöglichte Ende der 80er Jahre erst die Wende und den Aufschwung in Europa. Im März letzten Jahres kritisierte Gorbatschow die unverhältnismäßigen (und mittlerweile weiter verschärften) Sanktionen gegen sein Land und erklärte, dies sei der falsche Weg zu einer Einigung. Wenn sich die Lage weiter verschärfe, sei ein realer Krieg durchaus möglich. Selbst (NATO) Staaten wie Frankreich, Italien und Tschechien sind inzwischen ganz klar für eine Beendigung der Sanktionen gegen Russland – die von den USA aber weiter verschärft wurden. So wird immer öfter von einem „neuen Kalten Krieg“ gesprochen und wir fragen uns: Ist es wirklich schon wieder soweit?

Kurz nach Gorbatschows Warnung im letzten Jahr erklärte – wie zur Bestätigung – der US-Generalstabschef Joseph Dunford: „Russland stellt die größte Bedrohung für unsere nationale Sicherheit dar.“ Das zuvor auch schonmal als „Reich des Bösen“ betitelte größte Land der Erde taugt nun wieder als Bösewicht, da es wieder etwas von seiner ehemaligen weltpolitischen Bedeutung und Größe zurückgewinnen will. Dass der Westen Russland bereits mehrfach nach allen Regeln der Kunst übers Ohr gehauen hat und verschiedene Zusagen einfach nicht einhält, erklärt aufmüpfige russische Äußerungen, wie die von Präsident Putin zur diesjährigen Militärparade anlässlich des Sieges über Hitlerdeutschland im Mai. Putin erklärte, der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg sei auch heute noch eine „Warnung an alle, die unsere Standfestigkeit prüfen wollen.“

So hat bereits ein neues Wettrüsten begonnen, es werden wieder umfangreiche Manöver auf beiden Seiten der Grenze durchgeführt und wie schon im ersten Kalten Krieg kommt Moskau kaum hinterher. Der Westen hat einfach mehr Mittel, auch wenn der Kapitalismus dem rohstoffreichen Riesen einiges an frischem Kapital zugespielt hat. So ist es heute kein Kampf der Ideologien mehr, es geht „nur“ um Macht und globale Einflusssphären – Geld haben die Lenker auf beiden Seiten längst mehr als genug.

Stellen wir einmal die aktuelle Anzahl der Soldaten, Armeebestände und Rüstungsbudgets von Russland und der NATO gegenüber: Offiziellen russischen Angaben zufolge umfassen die Streitkräfte des Landes aktuell 770.000 reguläre Soldaten. Zusammen mit der Nationalgarde und Geheimdienstmitarbeitern sind es knapp eine Million Männer und Frauen, die Russland unter Waffen dienen. Dagegen stehen die über 2 Millionen Soldaten der 26 europäischen NATO-Mitgliedsstaaten – die USA und Kanada bringen dann noch einmal mindestens 1,4 Millionen Soldaten mit ein. Damit hat die NATO mindestens 3,4 mal mehr Soldaten als Russland. Und doch haben alle schreckliche Angst vor dem sportlichen Putin – hat der nicht gerade erst einen modernen Panzer bauen lassen?

Russland verfügt aktuell über ca. 4.800 Artilleriegeschütze bzw. Raketenwerfer, 2.870 Kampfpanzer und 10.720 leichte Panzerfahrzeuge im aktiven Einsatz. Dazu kommen 3.550 Flugzeuge und etwa 200 Kriegsschiffe und 72 U-Boote. Allerdings stammt ein Großteil der militärischen Ausrüstung noch aus sowjetischer Produktion und ist entsprechend veraltet. Die viel moderner ausgerüstete NATO ist daher Russland (nicht nur was die Anzahl der Soldaten betrifft) militärisch deutlich überlegen – allein die US-Streitkräfte verfügen über 13.000 Flugzeuge, 8.900 Kampfpanzer, 41.000 gepanzerte Fahrzeuge, 300 Kriegsschiffe, 19 Flugzeugträger, 75 U-Boote und eine unbekannte Anzahl an bewaffneten Drohnen, die bereits weltweit vermeintliche und echte Terroristen samt einer Vielzahl zufällig in der Nähe befindlicher Unschuldiger in die Luft jagen.

Die USA gelten nach wie vor als Marktführer in Sachen „Wehrtechnik“ und sind bemüht, ihre Tötungsmaschinen stets auf dem neuesten Stand der Technik zu halten. Das kostet natürlich – allein in diesem Jahr 596 Milliarden Dollar. Russland erhöhte seine Rüstungsausgaben im vergangen Jahr zwar auch etwas, die insgesamt 66 Milliarden Dollar entsprechen jedoch nur etwa 11 Prozent des amerikanischen Rüstungsbudgets. Trotzdem sieht sich auch Deutschland veranlasst, erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder seine Militärausgaben zu erhöhen – von derzeit 34,3 Milliarden auf 39,2 Milliarden Euro im Jahr 2020. Sind wir von irgendwem angegriffen worden oder warum braucht nun auch Deutschland wieder mehr Waffen?

Etwa 5.500 deutsche Soldaten nahmen 2016 an Manövern im östlichen NATO-Bundesgebiet teil und deutsche „Eurofighter“-Kampfflugzeuge beteiligen sich erneut an der baltischen Luftraumüberwachung. Nach der auf dem NATO-Gipfel in Warschau beschlossenen Truppenverlagerung gen Osten soll die Bundeswehr zudem ein ca. 1.000 Mann starkes Bataillon in Litauen befehligen. Weitere 3.000 NATO-Soldaten werden in Polen, Lettland und Estland stationiert – ein klarer Verstoß gegen die NATO-Russland-Grundakte von 1997, in der die Allianz verspricht, in Osteuropa keine permanenten Kampftruppen zu stationieren. Um diesen berechtigten Vorwurf formaljuristisch entkräften zu können, hat sich die NATO einen Trick ausgedacht und erklärt, dies wäre ja keine permanente Stationierung, da die Soldaten schließlich „rotieren“, d.h. nach einer Weile gehen jeweils 1.000 Soldaten von Litauen nach Polen, dann nach Lettland und dann nach Estland, bevor es wieder nach Litauen geht. So sind zwar (doch) ständig NATO-Truppen in Osteuropa im Einsatz, doch sie gelten (nach Sichtweise der NATO) nur als zeitweise bzw. rotierend stationiert. Dass Russland das etwa anders sehen könnte, liegt nahe.

Export-Vizeweltmeister Deutschland ist an einer militärischen Konfrontation eigentlich gar nicht gelegen – auch wenn das die deutsche Rüstungsindustrie sicherlich anders sieht. Schließlich plant Russland ja angeblich, noch in diesem Jahr zwei neue Divisionen an seine Westgrenze zu verlegen. Und schon hat das ganze Baltikum große Angst, dass es ihm nun bald wie der Krim ergeht, die sich Russland ja auch mal eben zurückgeholt hat. Also sollen im nächsten Jahr in Polen und in drei baltischen Staaten weitere NATO-Truppen (natürlich auf Rotationsbasis) stationiert werden. Außerdem hat schon 2015 die NATO damit begonnen, eine schnelle Eingreiftruppe für weltweite Einsätze (NRF) auf- und auszubauen. Diese Eingreiftruppe soll bis zu 40.000 Mann stark und jederzeit überall einsetzbar sein. Für den „Ausbau der Übungsaktivitäten“ wurden zudem sechs neue Stützpunkte in Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Bulgarien aufgebaut – und wir wundern uns, warum sich Putin zunehmend in die Enge getrieben fühlt. Und wir fragen uns, warum auch Russland damit begonnen hat, Manöver in Grenznähe durchzuführen – und das auch mal mit Hintergedanken.

So sicherte ein Manöver im Westen Russlands mit 150.000 Mann im Februar und März 2014 die militärische Besetzung der vormals russischen Halbinsel Krim, die Sowjetrussland 1954 freiwillig der damaligen „Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ angegliedert hatte – allerdings ohne dabei die Militärbasis der russischen Schwarzmeerflotte aufzugeben, die hier schon seit über 200 Jahren ihren Sitz hat. Als diese nun dem russischen Einflussbereich (in Richtung NATO) zu entgleiten drohte, wurde schnell und militärisch gehandelt – geostrategisch durchaus nachvollziehbar. Die USA, Frankreich, England und viele weitere westliche Staaten haben in ihrer Geschichte schon mehrfach in ähnlicher Weise (und oft noch viel schlimmer) in souveränen Staaten interveniert, wenn sie dort eigene Interessen gefährdet sahen. Tatsächlich geht Putin mittlerweile ebenso strategisch wie die NATO bei der Durchsetzung seiner geopolitischen Interessen vor – und er hat dafür genauso das eigene Volk hinter sich, wie die USA, die ihre weltweite Vormachtstellung natürlich auch nicht aufgeben, sondern nach Möglichkeit weiter ausbauen wollen. Ein ganz Verrückter will sogar „America great again“ machen – hoffen wir, dass er nicht an die Macht kommt und weitere Unsicherheit schürt.

Fakt ist: An der Ostgrenze des NATO-Bündnisgebietes beteiligen sich seit der russischen Annexion der Krim viel mehr NATO-Mitgliedsstaaten an militärischen Übungen als davor – zuletzt waren über 31.000 Soldaten aus 24 Ländern am „Anakonda“-Manöver im östlichen Polen beteiligt. Dabei ist ein vielerorts befürchteter Einmarsch russischer Streitkräfte in das Baltikum mehr als unwahrscheinlich, denn ein Angriff auf NATO-Gebiet wäre für Russland äußerst riskant – schließlich ist ein Großteil der baltischen Bevölkerung den russischen Besatzern feindlich gesonnen und auch mit einer militärischen Antwort der NATO müsste Russland dann rechnen. Aktuell spricht daher nichts dafür, dass Putin ein solches Risiko einzugehen bereit wäre – zumal ja (theoretisch) auch immer noch die Möglichkeit eines Atomkriegs besteht, der die Menschheit mittelfristig auslöschen würde. Und daran kann eigentlich niemand interessiert sein.

Heutzutage verfügen die USA und Russland gemeinsam über 93 Prozent aller Atomwaffen weltweit – in Sachen Atomsprengköpfe ist das numerische Verhältnis ausnahmsweise mal ausgeglichen, Russland liegt hier mit 7.290 Sprengköpfen gegenüber den ca. 7.000 amerikanischen Sprengköpfen sogar leicht in Führung. Natürlich würden auch schon 100 Atomsprengköpfe (von wo auch immer) genügen, um der Menschheit endgültig das Licht auszublasen – trotzdem wird weiterhin in Atomwaffen investiert, insbesondere auf amerikanischer Seite, wo man bis 2024 rund 349 Milliarden Dollar für die Modernisierung des eigenen Atomwaffenarsenals ausgeben will. Als ob man die Auslöschung der Menschheit noch technisch verbessern könnte…

Der NATO-Gipfel in Warschau war übrigens nicht nur für den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier politisches „Säbelrasseln“ und „Kriegsgeheul“ – auch Sigmar Gabriel regte einen „Ausstieg aus der Konfrontationslogik“ an. Doch davon war auf dem NATO-Gipfel wenig zu spüren – zumindest zeigte man sich wieder gesprächsbereit, nachdem das Bündnis zwei Jahre lang jegliche Gespräche mit Russland (im NATO-Russland-Rat) verweigert hatte. Man könnte fast vermuten, Putins aggressive Politik der Stärke hat Eindruck geschunden und die NATO zu einem Umdenken in Richtung Dialogbereitschaft bewogen – denn auch die NATO sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass man einen Krieg gegen Russland (nach wie vor) nicht gewinnen kann.

Nur eine ganz Neue im NATO-Bündnis würde nach eigener Aussage tatsächlich den roten Knopf drücken. Die neue konservative britische Premierministerin Theresa May erklärte am 18. Juli bei ihrer ersten (!) Rede im Londoner Unterhaus, sie würde, wenn nötig, auch einen Atom(erst)schlag autorisieren. Im Anschluss an eine 5stündige Debatte votierte die Parlamentskammer mit 472 zu 117 Stimmen dann auch für ein Programm zur Erneuerung der britischen Atom-U-Boot-Flotte – die Kosten dafür belaufen sich auf rund 40 Milliarden Pfund (47 Milliarden Euro). Auf Nachfrage des Parlamentsabgeordneten George Kerevan, ob sie denn wirklich in der Lage sei, den „Atomknopf“ zu drücken, „der Hunderttausende unschuldige Menschen, Frauen und Kinder töten kann“, antwortete Theresa May ohne zu zögern: „Ja – und ich muss dem ehrenwerten Gentleman sagen: Der entscheidende Punkt von Abschreckung ist, dass unsere Feinde wissen müssen, dass wir darauf vorbereitet sind, sie zu nutzen“.

Offensichtlich ist die neue britische Staatschefin bereit, Atomwaffen allein deshalb einzusetzen, um zu beweisen, dass sie sie tatsächlich einsetzen würde. Wie sinnvoll – bzw. beunruhigend für den Rest der Welt – eine derartige Haltung ist, liegt auf der Hand. Oder wird hier nur auf höchstem Niveau geopolitisch gepokert?

Tatsächlich hat sich die Lage seit dem NATO-Gipfel durch die zusätzliche Stationierung von NATO-Truppen und die Durchführung von großen Manövern nahe der russischen Grenze verschärft, gleichzeitig will die NATO nun aber auch den Dialog mit Russland wieder aufnehmen – doch zu einem Dialog gehören immer zwei. Und vielleicht spielt Putin jetzt erstmal die beleidigte Leberwurst (wir wissen ja nicht erst seit Erdogan, dass auch großmachtsüchtige Staatslenker eingeschnappt sein können). Oder er reagiert im Sinne demonstrativer Stärke mit der Stationierung von (nuklearfähigen) Kurzstreckenraketen vom Typ „Iskander“ in der russischen Enklave Kaliningrad zwischen Litauen und Polen. Im Dezember 2015 wurden bereits einige dieser Raketen dort aufgestellt, dann aber wieder zurückgezogen. Offensichtlich liegt Russland nichts an einer Spirale der Konfrontation – man will sich aber auch nichts mehr gefallen lassen.

So ist nun auch der INF-Vertrag von 1987 in akuter Gefahr, den damals Ronald Reagan und Michael Gorbatschow unterzeichneten – dieser Vertrag verbietet den Besitz und das Testen von atomaren Mittelstreckenraketen, die zwischen 500 und 5.500 Kilometern weit fliegen können. Nachdem in den 80er Jahren auch in Deutschland Hunderttausende gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise-Missiles demonstriert hatten, einigten sich die USA und die damalige Sowjetunion schließlich darauf, auf nuklearfähige Mittelstreckenraketen zu verzichten. Doch die relativ kurze Zeit einer Annäherung zwischen Russland und der NATO ist mittlerweile einer neuen Phase politischer Spannungen gewichen, die nun schon wieder mit der (gefühlten oder echten) Gefahr einer militärischen Konfrontation einhergeht. Die USA testen bereits erneut nuklearfähige Interkontinentalraketen – erst im Februar diesen Jahres wieder.

Wjatscheslaw Nikonow, Direktor der Stiftung „Russkij Mir“ (russische Welt bzw. russischer Frieden) vertritt sicherlich die Sichtweise vieler Russen, wenn er in einem arte-Interview sagt: „Die Situation ist gefährlich. In den Zeiten des Kalten Krieges gab es in Europa keine nennenswerten Kriege. Als der Kalte Krieg vorbei war, fingen diese Kriege an – in Jugoslawien und an anderen Orten brachen nach dem Zerfall der Sowjetunion Kriege aus. In vielerlei Hinsicht ist die Situation heute instabiler und mit Blick auf die Sicherheit Russlands deutlich gefährlicher als früher.“

Wir haben also erneut die paradoxe Situation, dass sich der Westen von Russland und gleichzeitig Russland vom Westen bedroht fühlt. Aber sind wir deshalb schon wieder in einem neuen Kalten Krieg? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir uns in Erinnerung rufen, was die zentralen Merkmale des Kalten Kriegs in der historisch-politischen Konstellation des 20. Jahrhunderts waren:

1.) Es gab eine nicht offen militärische Konfrontation zwischen der NATO unter Führung der USA und dem Warschauer Pakt unter Führung der ehemaligen Sowjetunion, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg als Kampf um die globale Vorherrschaft zweier Supermächte und ihrer jeweiliger Satellitenstaaten auf politischer, technologischer, kultureller und ideologischer Ebene begann.

2.) Dieser Machtkampf verstand sich per Definition als Konkurrenz zweier grundlegend gegensätzlicher Systeme – dem Kapitalismus auf der einen und dem Sozialismus bzw. dem Kommunismus auf der anderen Seite. Von beiden Parteien wurde Sieg oder Niederlage als entscheidend für die Zukunft der ganzen Menschheit angesehen. Das jeweilige Weltbild untermauerte die Konfrontation ideologisch durch eine klare Verteilung von Freund und Feind, Gut und Böse, Wahrheit und Lüge.

3.) Der Kalte Krieg führte zu zahlreichen unschuldigen Opfern auf beiden Seiten bei der Verfolgung der jeweils Andersdenkenden. Stalins „Säuberungen“ der sowjetischen Gesellschaft von „konterrevolutionären Kräften“ waren dabei deutlich blutiger, als die Hexenverfolgung von Kommunisten unter McCarthy in den USA.

4.) Die globalen Auswirkungen dieses Konflikts betrafen alle Weltregionen, in denen Stellvertreterkriege zwischen NATO und Warschauer Pakt geführt wurden. Die Sowjetunion versuchte vor allem, die eigene Macht in den Ostblockstaaten dauerhaft zu sichern (z.B. Niederschlagung des Prager Frühling), darüberhinaus intervenierte sie lediglich in Afghanistan. Die Liste der Länder, die von den USA militärisch beeinflusst bzw. sogar offen angegriffen wurden, ist dagegen deutlich länger: Iran, Irak, Kuba, Chile, Korea, Vietnam, El Salvador, Angola, Nicaragua – um nur die bekanntesten zu nennen.

5.) Das Wettrüsten zwischen den Militärblöcken, das zu einem „Gleichgewicht des Schreckens“ führte, blieb sehr fragil und hätte verschiedene Male (z.B. Kuba-Krise 1962) in einem Atomkrieg enden können. Tatsächlich hatte die Menschheit hier mehr Glück als Verstand – mehrfach war es nur der Courage einzelner Menschen auf beiden Seiten zu verdanken, dass es zu keinem Atomkrieg kam.

Die allmähliche Überwindung der Mentalität des Kalten Kriegs (die mit der Gegenkultur der Jugend in den 60er Jahren einsetzte und Werte wie individuelle Selbstbestimmung, kulturelle Vielfalt, Anerkennung des Anderen und kosmopolitisches Denken beförderte) schien sich mit der Auflösung des Warschauer Pakts zu verwirklichen. Auch in Deutschland war die Hoffnung groß, nach dem Ende des Kalten Kriegs ein neues friedliches und vereintes Europa aufbauen zu können. Die USA hatten den Kalten Krieg gegen den Warschauer Pakt ganz klar gewonnen, doch eine friedlichere Welt schien nur für wenige Jahre möglich. Dann änderte der 11. September 2001 alles und die USA hatten (endlich) wieder einen unheimlichen äußeren Feind – und der nicht enden wollende „Krieg gegen den Terror“ begann.

Es gibt heute tatsächlich einige Parallelen zum Kalten Krieg – dieser ist jedoch kein Konflikt der gegensätzlichen Systeme mehr, sondern rein kapitalistische Rivalität zwischen Großmächten. Es besteht zwar die Gefahr, dass sich in der Ukraine ein neuer Stellvertreterkrieg anbahnt, doch von einer echten Rückkehr in die Zeiten des Kalten Krieges kann keine Rede sein. Schließlich gibt es keinen Ostblock mehr und Westeuropa wird auch nicht mehr ganz so stark von den USA dominiert. Die bipolare Welt, in der die NATO gegen den Warschauer Pakt stand, hat sich zu einer multipolaren Welt entwickelt. Heute sehen wir uns einer ebenso vielschichtigen wie unübersichtlicheren Weltlage gegenüber, neue „Global Player“ wie China und Indien haben sich erhoben und das Prädikat „Schwellenländer“ abgeschüttelt. Neue Machtzentren und Konfliktherde kennzeichnen die Lage in Asien, im Nahen Osten, in Afrika und Lateinamerika, die nicht mehr als verdeckte Ost-West-Konflikte verstanden werden können. Auch das neu entfachte Wettrüsten hat längst nicht die Dimension, die es zu Zeiten des Kalten Krieges hatte – allerdings braucht es das auch nicht, da die vorrätigen Militärarsenale nach wie vor locker ausreichen, um die Erde und alle Menschen darauf mehrfach zu zerstören.

Wenn man die aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen einmal ganz nüchtern betrachtet, dann machen Putin und Obama so ziemlich dasselbe – dennoch wird hier wie da nur Empathie für den eigenen Standpunkt und den eigenen Präsidenten geschürt. Dabei haben inzwischen auch viele talentierte russische Absolventen die US-amerikanischen Spin-Doctor-Schulen abgeschlossen und mittlerweile das politische Marketing (manche nennen es lieber Propaganda) in Russland regelrecht perfektioniert. Wie auch in den USA (und eigentlich in jedem Land) spielen die Massenmedien vor allem das Lied der Regierungssprecher. Wobei Russia Today nur schlimme Putin-Propaganda und CNN nur die westliche Wahrheit ausstrahlt – oder bringt Russia Today die östliche Wahrheit und CNN nur schlimme Ami-Propaganda? Beides entspricht der Sichtweise von Millionen Menschen – je nachdem, wo sie wohnen. Daher wäre es vermessen, das eine als Propaganda und das andere als Wahrheit zu bezeichnen – entweder ist beides Propaganda (bzw. politisches Marketing) oder beides sind die jeweiligen nationalen Wahrheiten. Oder man misst mit zweierlei Maß, was nicht im Sinne einer friedlichen Koexistenz sein kann.

Selten gab es eine solches Missverhältnis zwischen der Uniformität vieler Mediendarstellungen (hier wie da) und dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach sachgerechter und angemessen komplexer Berichterstattung. Das gilt gleichermaßen für die russische wie für die amerikanische, die türkische oder die deutsche Bevölkerung. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn Russen die westlichen Massenmedien als Propaganda empfinden, solange es uns mit Russia Today & Co genauso geht.

Vielleicht haben ja beide Seiten recht.