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Alle Menschen sind gleich, aber nur wenn es sich um Europäer handelt

Das Jahr 2015 wird im kulturellen Gedächtnis Deutschlands unvergessen bleiben. Hunderttausende, ja Millionen von Flüchtlingen machten sich damals auf den Weg, um sich insbesondere aus lebensbedrohenden Bürgerkriegsgebieten zu retten und ins sichere und wohlhabende Europa zu gelangen. Die Große Koalition („Groko“ aus CDU/CSU und SPD) unter der Führung der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel beschloss die Sprachregelung, dass die Flüchtlinge in Deutschland willkommen seien. In Deutschland lebende Menschen wurden zur selbstlosen Hilfe gegenüber den Flüchtlingen aufgefordert, und das Ergebnis waren eindrückliche Bilder von an Bahnhöfen wartenden Deutschen, die den ankommenden Flüchtlingen Teddybären und Essenspakete in die Hand drückten.

Es gab sogar eine regelrechte „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge. Doch stimmen diese Bilder der bewussten medialen Selbstinszenierung überhaupt? Dazu Meier-Braun in Schwarzbuch Migration: „Im Januar 2016 äußerte sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel in diese Richtung, zu einer Zeit, als Deutschland weltweit für seine offene Flüchtlingspolitik und Willkommenskultur gelobt wurde.“ Oder vertritt Deutschland in Sachen Flüchtlingspolitik nicht doch einen ganz anderen Standpunkt? Wälzt Deutschland eventuell sogar die Kosten und Probleme der Flüchtlingsproblematik auf andere EU-Staaten ab – unter dem Mantel der supranationalen Zusammenarbeit und Vereinbarungen?

Die Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin am 21. März 2018 und das dabei vorgestellte Schwarzbuch Migration entwerfen ein ganz anderes Bild der Flüchtlingspolitik Deutschlands als das oben dargestellte: „Doch ist Deutschland so viel besser als der Rest Europas? Fühlen wir uns zu Recht als Weltmeister der Menschlichkeit?“ Allzu schnell geriet darüber in Vergessenheit, wie sehr die deutsche Migrationspolitik zuvor und unmittelbar danach (gemeint ist vor und nach 2015) darauf abzielte, die Grenzen abzuschotten und ihre Sicherung auf andere Staaten abzuwälzen.“ Diese Aussage klingt nach dem genauen Gegenteil der offiziell propagierten „Willkommenskultur“ des Jahres 2015. Grund genug für THCENE, der Veranstaltung beizuwohnen.

Sogenannte „Flüchtlingskrisen“ sind kein Phänomen, das uns im zweiten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende überraschend eingeholt hat. Vielmehr gab es in der Menschheitsgeschichte schon immer Migrations- und Flüchtlingsströme. Wenigen ist erinnerlich, dass Deutschland kurz nach der Wiedervereinigung, zu Beginn der 1990er Jahre, bereits von massiven Problemen im Umgang mit den Flüchtlingsströmen zu kämpfen hatte: Viele Aussiedler mit deutschen Wurzeln strömten aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks nach Deutschland, ebenso wie viele südosteuropäische und afrikanische Flüchtlinge. Damals spielten sich vor allem vor der italienischen Küste Dramen ab, deren Bilder stark an die heutigen erinnern. In Deutschland wuchs damals in der Politik und in der Gesellschaft starker Widerstand gegen die vermeintliche „Flüchtlingsgefahr“. Der rechte Mob zündete Asylbewerberheime an und Bundeskanzler Helmut Kohl verschärfte die Anti-Flüchtlingsrhetorik, indem er behauptete, die Grenzen der Belastbarkeit seien erreicht. Das gemeinhin als linksliberal geltende Blatt der Spiegel nahm sich spätestens ab 1992 der Thematik an und titelte in zwei Ausgaben „Wer nimmt die Flüchtlinge?“ und „Asyl“. Damals stammten die meisten Flüchtlinge noch aus den ehemaligen Ostblockstaaten des Balkans, aber die strukturellen Probleme waren ähnlich wie heute. Ähnlich doppelgesichtig war die Moral der Politik: Einerseits forderten die Politiker eine härtere Gangart gegen das Flüchtlingsproblem, andererseits riefen sie zur Einhaltung menschlicher Standards und Verhaltensweisen auf.

Anlässlich der Internationalen Woche gegen den Rassismus unternahm die Heinrich-Böll-Stiftung Berlin die Buchvorstellung des Schwarzbuchs Migration – Die dunkle Seite unserer Flüchtlingspolitik von Karl-Heinz Meier-Braun. Sowohl das Buch als auch die Veranstaltung wiesen deutlich auf die dunkle Seite der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik hin, die zu einem großen Teil von Doppelmoral geprägt ist. Davon wird im Folgenden noch die Rede sein.

Nicht nur Rechtspopulisten und Nationalisten à la Identitärer Bund (IB), PEGIDA und Compact versuchen der deutschen Öffentlichkeit einzutrichtern, dass die deutsche Flüchtlingspolitik nach wie vor von der Willkommenskultur des inzwischen zur Berühmtheit erlangten Jahres 2015 geprägt ist. Auch die Regierungspolitik sowie die betroffenen staatlichen Institutionen versuchen diesen Eindruck zu stärken. Allerdings mit unterschiedlichem Kalkül. Während die Rechten versuchen, die Massen gegen die ihrer Ansicht nach viel zu liberale und Deutschland bedrohende Flüchtlingspolitik zu mobilisieren, wollen sich die Politik, einschlägige Regierungsstellen und staatliche Institutionen gegen Kritik von der bürgerlichen Mitte und von Links immunisieren.

Sowohl bei der Veranstaltung mit Podiumsdiskussion als auch im C.H. Beck Verlag erschienenen Buch von Meier-Braun wird die Frage aufgeworfen, ob das Jahr der „Flüchtlingskrise“, 2015 also, eine historische Ausnahme war, was ja die politisch Rechte immer vehementer bestreitet. Fakt ist, dass sich Deutschland vor und nach 2015 von den Flüchtlingsströmen und Migrationsbewegungen abzuschotten versuchte. Dies geschah vor allem auf Kosten der südeuropäischen Nachbarn, also insbesondere Ländern wie Italien und Griechenland. Diese menschenverachtende Politik geht letztlich insbesondere auf Kosten der Flüchtlinge, die zum Beispiel zusammengepfercht in menschenunwürdigen Lagern auf den griechischen Inseln ausharren müssen, ohne Aussicht jemals das griechische Festland zu erreichen.

Die deutsche Politik versuchte laut Meier-Braun seit jeher in der Bundesrepublik Deutschland Flüchtlingsströme mit aller Macht zu kanalisieren und steuern. Denn Nachkriegsdeutschland war schon immer ein Einwanderungsland. Um auch heute nicht übermäßig mit dem Flüchtlingsproblem konfrontiert zu werden, unternimmt die Bundesregierung vieles Fragwürdige und das insbesondere in moralisch-ethischer und sozialkultureller Hinsicht. Sie schließt fragwürdige Deals mit autokratischen Regimes und Milizen, zum Beispiel mit dem Despoten Erdogan in der Türkei, der gerade dabei ist, einen militärischen Vernichtungsfeldzug gegen Kurden auf fremdem Territorium zu starten. Billigend nehmen die Bundesregierung und andere Verantwortliche immer mehr tote Flüchtlinge im Mittelmeer und in viel stärkerem Maße in der Sahara in Kauf. Es wird geschätzt, „dass dreimal so viele Menschen in der Wüste ums Leben kommen wie auf dem Mittelmeer, wo 2016 über 5.000 den Tod fanden. Davon will man in Europa, das seine Grenzen immer weiter nach Afrika vorverlagert und die Herkunfts- und Transitländer der Migranten bei der Grenzkontrolle aufrüstet, offensichtlich nichts wissen. Hauptsache die Zahlen gehen zurück und wir bleiben von Flüchtlingen verschont.“ Also findet permanent eine Aufrüstung der EU-Außengrenzen statt. In den überfüllten Auffanglagern in Italien und Griechenland herrschen wie gesagt menschenunwürdige Zustände, die nichts mit Humanität und gesicherten Lebensstandards zu tun haben. Abschiebungen aus EU-Ländern in die Krisen- und Herkunftsländer der Flüchtlinge werden beschleunigt und in Deutschland wird das Asylrecht zusehends ausgehöhlt.

Entscheidend ist natürlich für die Steuerung der Flüchtlingsströme, möglichst die Fluchtursachen zu beseitigen. Aber ob das mit dem sogenannten Marshallplan für Afrika geht, wie dies der deutsche Bundesentwicklungsminister vor kurzem sagte, steht in den Sternen. Meier-Braun bezweifelt dies sogar offen: „Ein Marshallplan für Afrika – das klingt in deutschen Ohren gut, hat dieses Konzept doch geholfen, das zerstörte Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen. Aber wie wirkt ein solches Motto in Afrika? Bei afrikanischen Beobachtern sind solche Ideen auf Kritik gestoßen. Der Kontinent brauche einen solchen Plan nicht. Afrika habe schon genug eigene Pläne, das Problem sei immer nur, dass die Umsetzung kritisiert werde.“ Die afrikanischen, selbstbestimmten Pläne zur Verhinderung der Fluchtursachen werden offensichtlich von den Deutschen und Europa nicht wirklich ernst genommen. Dies zeigt, dass das „europäische Überlegenheitsdenken“ gegenüber den Afrikanern bereits in der höchsten politischen Ebene verankert ist.

Die Buchvorstellung und anschließende Diskussion mit Karl-Heinz Meier-Braun, Cem Özdemir und Miriam Koch fand in der Berliner Böll-Stiftung statt. Der Autor des Schwarzbuch Migration, Meier-Braun, war langjähriger Leiter der Fachredaktion SWR International beim Südwestrundfunk in Stuttgart und zugleich Integrationsbeauftragter des Senders. Heute ist er unter anderem Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen. Özdemir ist Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen und war einer der Verhandlungsführer in Sachen „Jamaika-Koalition“, die inzwischen zugunsten der neuen „Groko“ beerdigt wurde. Miriam Koch ist Leiterin des Amts für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf sowie Mitglied der Flüchtlings- und Migrationspolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung. Moderiert wurde die spannende und höchst interessante Veranstaltung von Mekonnen Mesghena, seines Zeichens Referent für Migration und Diversity der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Veranstaltung war trotz der widrigen Witterungsverhältnisse zu Frühlingsbeginn bis auf den letzten Platz ausgebucht. Mesghena leitete durch eine Grundsatzrede gekonnt in die Veranstaltung ein. Er erinnerte die Zuhörerschaft an die historische Einzigartigkeit des Sommers 2015, der Deutschland in der Welt großen Respekt eingebracht habe, als Deutschland die weiter oben beschriebene Willkommenskultur für Flüchtlinge praktizierte. Andererseits hob er die fremdenfeindlichen Anschläge gegen Flüchtlingsheime hervor, die nach wie vor erschreckend sind und unbedingt eine politisch-justizielle Antwort des Rechtsstaats erfordern. Meshghena forderte zudem einen nachhaltigen Konsens in der Flüchtlingspolitik, da nur so eine breite gesellschaftliche Basis für dieselbe herzustellen sei. Es zeichne eben aufgeklärte Gesellschaften aus, dass die Flüchtlingspolitik und die Lösungsansätze für dieselbe immer weiter entwickelt werden. Nach der Vorstellung des Hauptredners Meier-Braun, von Koch und Özdemir, stellte er die Bedeutung von Meier-Braun als Autor in Sachen Flüchtlingspolitik vor, da Braun bereits vor dem Schwarzbuch Migration in diesem Gebiet umfangreich publizistisch tätig war und stets den Herrschenden und der Politik einen nicht immer angenehmen Spiegel ihrer Flüchtlingspolitiken vorgehalten habe.

Meier-Braun verwies gleich zu Beginn seiner Rede auf die Bemerkungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel vom selben Tag, als diese erklärt hatte, dass der Islam unbedingt ein Teil Deutschlands sei. Aber dieses Lippenbekenntnis geht Meier-Braun nicht weit genug, sondern es bedürfte klarer und weiterer Bekenntnisse zu einer positiven Flüchtlingspolitik durch die Bundesregierung. Meier-Braun sieht vielmehr 2015 als historische Ausnahme an, die aus der Not geboren wurde. Also nichts mit Willkommenskultur für Flüchtlinge, sondern eigentlich müsse das Thema der Veranstaltung heißen, „wie wir uns die Flüchtlinge vom Leibe halten“. Denn, so Meier-Braun weiter, die Grenzen seien, entgegen der Behauptungen von Nationalisten und Rechtspopulisten à la AfD (Alternative für Deutschland) und PEGIDA, inzwischen wieder hermetisch abgeriegelt, auch wenn die Verlagerung der eigentlichen Grenzen an die Außengrenzen der EU oder sogar bereits in die Herkunftsorte stattgefunden habe. Dennoch würden immer noch Monat für Monat etwa 10.000 neue Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Anschaulich schildert Meier-Braun die menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingsländern. Zudem beschuldigt er zahlreiche Staaten, mit denen Deutschland und Europa in Sachen Verhinderung der Flüchtlingskrise kooperieren, der Korruption, der Ausblutung des eigenen Volks und der Missachtung der Menschenrechte. Es versteht sich von selbst, dass solche Kooperationen sowohl moralisch-ethisch als auch menschlich unvorteilhaft sind, gerade von einem Staat, der sich als freiheitlich-demokratisch versteht und der sich der Wahrung der Menschenrechte als oberstes Ziel verschrieben hat. Ausschließlich diejenigen Drittwelt-Länder, die in Sachen Flüchtlingskrise mit Deutschland beziehungsweise der EU kooperierten, würden mit finanziellen Zuwendungen bedacht.

Nachdem Meier-Braun die historische Komponente der Flüchtlingskrise aufgezeigt hat, geht er wieder gegen kontemporäre, rechtspopulistische Politiker vor, die massiv für die Bekämpfung der Flüchtlinge eintreten. Ebenso kritisiert er die damals (wie zum Teil noch heute) verwendeten Konzepte, um den Flüchtlingskrisen zu begegnen wie die berühmt-berüchtigte „Rückkehrprämie“. Braun betonte in der Folge, dass hinter jedem Flüchtling ein individuelles, dramatisches Schicksal stehe. Die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung würden es geradezu erfordern, dass wir alle den Flüchtlingen offen und hilfsbereit gegenüber treten sollten. Er forderte zudem eine „Weltflüchtlingspolitik“, auch wenn diese aufgrund der einzelstaatlichen Souveränitäten nicht möglich sei. Zudem würden die Vereinten Nationen sich insbesondere schwer tun, eine weltweite Flüchtlingspolitik zu koordinieren – nicht zuletzt aufgrund einzelstaatlicher Alleingänge, wie am Beispiel Ungarn ersichtlich wird. Die nationalen Egoismen der einzelnen Länder seien zu groß, da die wohlhabenden Staaten immer zuerst an sich und ihre Wählerschaft denken würden.

Auch die Bekämpfung der Fluchtursachen sieht Braun sehr kritisch. Als erstes sei eine deutlich bessere finanzielle und sonstige Ausstattung des UN-Flüchtlingshilfswerks zu fördern. In Deutschland sieht Braun gute Ideen und Ansätze, die Flüchtlingsursachen zu bekämpfen, allerdings würde es permanent an der Umsetzung hapern. Good Governance und Aufsicht über die Regierungen in den Fluchtstaaten und den Staaten mit denen Europa kooperiert, seien unbedingt nötig. Seinen kurzen Vortrag schloss Braun mit der Forderung nach einer couragierten Zivilgesellschaft, die auch den Druck auf die Politik erhöhe. Zudem seien die anstehenden Wahlen die Möglichkeit, sich als mitwirkender Bürger für eine humane Flüchtlingspolitik einzusetzen. Dafür sprach er den Grünen eine Carte Blanche zu, da diese neben der Partei der Linken für eine progressive Flüchtlingspolitik stünden.

Beängstigend ist die während der Veranstaltung getätigte Aussage, dass sich Ausländer stark von fremdenfeindlichen Übergriffen fürchteten, sobald sie ins Umland von Berlin fahren würden. Das bedeutet, dass die rechtspopulistischen Fliegenfänger hier bereits mit ihrer Anti-Flüchtlingspolitik genug Erfolg hatten, sodass jeder sich Andersaussehende potenziell bedroht sieht.

Bevor die Diskussion für das Publikum geöffnet wurde, diskutierte Mesghena noch mit dem renommierten Buchautor aus Stuttgart. Das allbeherrschende Thema war einerseits das erneute Hochspülen der Flüchtlingsthematik und zugleich Hass und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen durch die politische Rechte. Meier-Braun forderte hier vermehrt politische Überzeugungsarbeit durch die Politik. Verunsicherten Menschen müsse erklärt werden, dass ihre Renten sicher seien und die Flüchtlinge keine Bedrohung ihrer Existenz seien. Anschließend berichtete Miriam Koch anschaulich auf kommunaler Ebene über die Flüchtlingsproblematik, was ja im Gegensatz zu Brauns globaler Perspektive steht. Dabei betonte sie die Vermittlung an die Bürger durch eine gezielte und gute Öffentlichkeitsarbeit. Gewohnt eloquent äußerte sich der beliebte schwäbisch-türkische Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir zu den genannten Themenkomplexen. Seine Standpunkte sind aus der umfangreichen Medienberichterstattung über ihn ausreichend bekannt. An dieser Stelle sei nur repräsentativ seine Aussage zu erwähnen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei und auf absehbare Zeit bleibe. Diesen Verdienst schreibt er nicht zuletzt der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu. Zudem betonte er selbstkritisch – in Richtung der eigenen Partei – die Unterschätzung kultureller Unterschiede von Menschen, die aus gänzlich anders gearteten Kulturkreisen stammten. Dies stelle eine demokratische Gesellschaft schon vor Probleme und hier seien Antworten dringend nötig. 2015 sei zu wenig Reflexion darüber erfolgt, was die Flüchtlingsströme mit der deutschen Gesellschaft anstellten. Diese Kritikpunkte richtete er sowohl kritisch an die gegnerischen Parteien, aber auch an seine eigene.

Die konstruktive Diskussion bewegte sich zwischen generellen Bekenntnissen zu einer humanen Flüchtlingspolitik und Detailfragen wie Unterkunftsbeschaffung für Flüchtlinge, Deutschkurse für Flüchtlinge und Schulpflicht für Flüchtlingskinder. Endlich meldete sich auch das Publikum mit lebhaften Fragen, Einlassungen und Bekräftigungen zu Wort.

Die Frage nach Lösungsansätzen ist und bleibt schwierig. In jedem Fall sollte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden, um in der Zukunft besser aufgestellt zu sein. Außerdem seien Lösungen auf europäischer Ebene zu suchen, die gerecht seien. Özdemir betont, dass es schwierig sei, in europäischen Ländern mit Rechtspopulisten an der Regierung, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Im Gegenteil: Jede politische Partei, die sich dort für die Aufnahme von Flüchtlingen ausspreche, habe keine Aussicht auf einen Erfolg bei den nächsten Wahlen.

Letztlich herrschte Konsens darüber, dass es letztlich doch nur auf eine Bekämpfung der Fluchtursachen hinauslaufen könne, um das Problem Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Dass dies alles andere als einfach ist, versteht sich von selbst. Gleichzeitig sei parallel dazu eine weitere Aufnahme der Flüchtlinge notwendig – und dies in einer deutschen Gesellschaft, die ihren ureigenen Verfassungswerten selbst treu bleibt.

Karl-Heinz Meier-Braun, Schwarzbuch Migration: Die dunkle Seite unserer Flüchtlingspolitik, C.H.Beck Verlag, ISBN-10: 3406721109, ISBN-13: 978-3406721106