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Psychonauten – Die Reise nach Innen

Philipp*, 46 Jahre alt, ist ein sogenannter Psychonaut – darunter sind Menschen zu verstehen, die mittels bewusstseinsverändernder Techniken – wozu auch die Einnahme psychoaktiver Substanzen gehören kann – die unendlichen Höhen, Tiefen und Weiten ihrer Psyche ergründen. Was das im Einzelfall zu bedeuten hat bzw. was genau sich der Laie darunter vorstellen kann, erzählt uns Philipp, ein sympathischer Mittvierziger, der seit seiner Jugend mit verschiedenen Bewusstseinszuständen experimentiert – mal mit und mal ohne Drogen.

Hallo, Philipp. Sei so nett und erkläre mal, was du unter dem Terminus Psychonautik verstehst?

Manche Personen denken ja, Psychonauten seien Personen, die sich permanent mit allen erdenklichen Substanzen berauschen. Das ist absolut falsch. Tatsächlich hat die Psychonautik vielmehr etwas mit Bewusstsein zu tun als mit Drogen. Psychoaktive Stoffe sind – neben anderen bewusstseinsverändernden Techniken – lediglich als geist-bewegende Werkzeuge zu verstehen. Es geht also in der Psychonautik nur sekundär um die Einnahme und Verinnerlichung von psychoaktiven Substanzen. Der eigentliche Fokus liegt vielmehr auf der Erforschung, Entwicklung und letztlich auf der Befreiung des Bewusstseins. Psychonauten sind also keine Menschen, die sich wahllos und unreflektiert irgendwelche Drogen reinpfeifen, sondern meist solche, die daran interessiert sind, bestimmte Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen, meist spiritueller Natur.

Du sagtest, dass es in der Psychonautik auch um die Befreiung des Bewusstseins geht. Was meinst du damit?

Damit meine ich, dass es um das Losreißen der mentalen Fesseln geht, die uns im Zeitalter kapitalistischer Leistungsgesellschaften bereits im Kleinkindalter systematisch angelegt werden. Denn erst wenn wir uns aus diesen illusionären „Matrix-Fesseln“ im Sinne einer geistigen Neuprogrammierung (Stichwort: Timothy Leary) befreit haben, können wir ein selbstbestimmtes Leben führen und endlich unser eigentliches Potenzial entfalten. Wäre das nicht toll? Im Moment sind die meisten von uns nämlich nur als „ferngesteuerte“ Marionetten unterwegs, die ordentlich „gehirngewaschen“ durch die Welt marschieren, ihren unbefriedigenden Alltag leben und dies ganz im Sinne der mächtigen Wirtschaftsdiktatur. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dies bestimmt nicht unserer ursprünglichen Bestimmung oder Berufung entspricht.

Wie hat dein psychonautischer Werdegang angefangen? Gab es bestimmte Schlüsselerlebnisse?

Ich denke, da gab es mehrere Schlüsselerlebnisse, wo eins zum anderen geführt hat. Schon als Kind habe ich mich unbewusst mit Psychonautik beschäftigt (lacht). Mir ist es als junger Kerl – in der Zeit, wo ich in den Kindergarten gegangen bin, und daran erinnere ich mich noch sehr gut – sehr leicht gefallen, bewusst zu träumen und die Träume zu lenken. Heute weiß ich, dass sich dieses Phänomen Luzides Träumen nennt. Aufgrund dieser intensiven Erfahrungen beim Träumen stellte ich mir irgendwann dann auch die Frage, ob unser Alltagsbewusstsein wirklich die einzige Realität ist oder ob es da noch mehr gibt? Als ich mit 17 Jahren das erste Mal „Psilos“ probiert habe, wusste ich dann, dass es zwischen Himmel und Erde deutlich mehr gibt als wir mit unserem – zugegeben sehr beschränkten Alltagsbewusstseins – wahrnehmen können. Dieser erste Pilztrip war quasi die Initialzündung.

Kannst du dich noch erinnern, wie dein erster Trip abgelaufen ist?

Klar, das bleibt unvergessen. Ich war zusammen mit zwei Freunden im Wald auf einer schönen Lichtung und wir haben eine gute Portion Psilocybe semilanceata verspeist. Danach bin ich zu 100% in die magische Welt der Pilze eingetaucht. Alles sah aus wie gemalt, ich habe Zwerge durch den Wald laufen sehen, alles war voller wunderschöner Muster. Der Höhepunkt dieser ersten Pilz-Erfahrung war, dass ich vollständig mit einer alten Eiche verschmolzen bin, als ich diese umarmt habe. Mein Bewusstsein war ganz und gar auf den Baum eingestimmt und ich spürte, dass es außer meinem Verstand nichts gibt, was mich auf der geistigen Ebene von der Eiche trennt. Der Baum und ich sind Eins, so die Erkenntnis dieses ersten Pilztrips.

Was waren weitere Erkenntnisse, die du für dich persönlich, dank psychonautischer Praxis, hast gewinnen können?

Wie gesagt, die erste wichtige Erkenntnis war, dass zwischen Himmel und Erde mehr passiert, als wir gewöhnlich wahrnehmen können. Weiterhin habe ich erfahren, dass Bewusstsein nicht an die Existenz eines materiellen Körpers gebunden ist, was in gewisser Weise impliziert, dass es nach dem Tod für uns in irgendeiner Form weiter geht. Diese Erkenntnis deckt sich übrigens mit den Aussagen moderner Quantenphysiker, die sagen, dass Energie niemals erlöschen, sondern lediglich umgewandelt werden kann. Weitere Erkenntnisse waren beispielsweise, dass alles Leben beseelt und gewissermaßen miteinander verbunden ist, unsere Ich-Identität im Grunde genommen eine Illusion ist – den Philipp und den Hannes gibt es in Wirklichkeit überhaupt nicht (lacht) – und dass paranormale Phänomene, wie Hellsehen, Telepathie und Vergleichbares, keine Hirngespinste sind, sondern durchaus real sein können. Auch das wird inzwischen von modernen und mutigen Quantenphysikern bestätigt. 

Wenn ich dir zuhöre, kommt mir gleich ein Zitat des berühmten Psychonauten Jim DeKorne in den Sinn: „Die psychedelische Selbsterfahrung ist das psychologische Äquivalent der Quantenphysik.“ 

Ja, dieses Zitat bringt es exakt auf den Punkt. 

Du sagtest eben, dass deine erste psychedelische Erfahrung durch Pilze induziert wurde. Welche Substanzen hast du denn noch ausprobiert?

Meine erste Substanz, die ich ausprobiert habe, war Alkohol. Das war mit 13 oder 14 Jahren. Ich habe fürchterlich gekotzt, wusste nicht mehr wo oben und unten ist und wäre fast von einem Auto überfahren worden, weil ich kurzzeitig im Delirium mitten auf der Straße gelegen habe. Danach habe ich bis auf kleine Mengen zu bestimmten Anlässen nie wieder Alkohol getrunken. Mit 15 habe ich dann das erste Mal Haschisch geraucht. Mir ging es danach so gut wie lange nicht. Gleichzeitig wurde ich noch skeptischer als ich ohnehin schon war, denn wie können die Erwachsenen behaupten, dass Alkohol gut und alles andere – unter anderem auch Cannabis – schlecht sei? Meine Erfahrungen jedenfalls waren genau entgegengesetzt. Mit 17 Jahren hatte ich dann meine erste, bereits angesprochene, psychedelische Erfahrung mit Zauberpilzen. Seitdem sind aber schon einige Jahre vergangen und inzwischen habe ich natürlich einige weitere Substanzen ausprobiert, zum Beispiel MDMA, LSD, Lachgas, Ketamin, DMT, Iboga, diverse „Shulgin-Phenethylamine“ und Meskalin. Auch Stimulanzien wie Koka-Blätter oder Khat habe ich auf meinen Reisen durch Südamerika und Afrika kennengelernt. 

Hattest du jemals Probleme mit der Polizei deswegen?

Nein, zum Glück nicht. Ich war, zugegeben, aber auch immer sehr vorsichtig und habe viele Substanzen bevorzugt im Ausland genommen, nämlich dort, wo sie rituell verankert sind. Ayahuasca habe ich beispielsweise erstmalig in Peru getrunken. Und wenn wir in unserem kleinen Kreise irgendwelche Sessions mit LSD, Pilzen oder DMT in Deutschland gemacht haben, dann haben wir im Vornhinein das perfekte Setting geschaffen, so dass wir ungestört auf „Seelenreise“ gehen konnten. Stell dir mal vor, du bist grad am „trippen“ und dann kommt die Polizei, behandelt dich wie einen Verbrecher und verhaftet dich. Das wäre ja wirklich die Hölle. 

Welche Techniken der Bewusstseinserweiterung hast du sonst kennengelernt?

Ich habe mich als junger Erwachsener eine ganze Zeit lang sehr intensiv mit Traumarbeit beschäftigt. Das finde ich auch heute noch  superspannend. Ansonsten meditiere ich seit ungefähr meinem 30. Lebensjahr täglich. Auch mit schamanischen Trommel- und Klangreisen sowie diversen Atemtechniken habe ich experimentiert, etwa dem Pranayama oder dem sogenannten Rebirthing. Die Effekte dieser Techniken sind erstaunlich und oftmals genauso tiefgehend wie die Einnahme psychedelischer Substanzen. Außerdem war ich einige Male in einem sogenannten Floating-Tank. Darin liegt man so, als sei man schwerelos, während die Sinne zeitgleich von Außenreizen abgeschirmt sind. Auf diese Weise fokussiert sich die Wahrnehmung automatisch auf die inneren Prozesse. Leider habe ich einen solchen Tank nicht zu Hause, dann würde ich nämlich viel öfter hineinsteigen.

Präferierst du eher die Einnahme psychoaktiver Substanzen oder die nicht-pharmakologischen Techniken?

Anfänglich fand ich die Substanzen besser, weil sie schneller ihre Wirkung erzielt haben. Als ich aber erfahren habe, dass selbige Zustände auch ohne Substanzen zu erreichen sind – schließlich geht es unterm Strich bei beiden Methoden um eine Freisetzung endogener Neurotransmitter – habe ich auch angefangen, diese gut zu finden. Eine ganze Weile habe ich dann einige dieser Techniken häufig miteinander kombiniert, beispielsweise Meditation auf Pilzen oder LSD, oder erst eine Schwitzhütte und danach eine DMT-Pfeife. Inzwischen muss ich gestehen, dass ich seit etwa 4 Jahren – abgesehen von der gelegentlichen Einnahme von Cannabis und grünem Tee – keine psychoaktiven Substanzen mehr zu mir genommen habe. Dies aus dem einfachen Grund, weil alle wichtigen „Bewusstseins-Türchen“ inzwischen mannigfach geöffnet wurden, so dass ich, vereinfacht formuliert, nur noch hindurch gehen muss. Bringe ich mich in einen meditativen Zustand, dann funktioniert das in der Regel sehr gut, es erfordert aber auch jahrelange Übung.    

Sind deine Erfahrungen während Meditationen denn tatsächlich vergleichbar mit einem alles überwältigenden „DMT-Durchbruch“?

Ja, das sind sie, zumindest für mich persönlich. Das, was ich am DMT so liebe, ist, dass mich diese Substanz ziemlich zuverlässig zu meinem wahren Selbst führt. Gleiches passiert aber auch bei der Meditation. Es ist aber so, dass die visuellen Eindrücke und Effekte bei einem Psychedelika-Rausch bei mir persönlich deutlich ausgeprägter sind als während einer Meditation. Hingegen kann bei einer Meditation – oder auch bei diversen Atemtechniken – der veränderte Bewusstseinszustand quasi „unbegrenzt“ beibehalten oder binnen von Sekunden abgebrochen werden. Bei psychoaktiven Substanzen ist das bekanntlich nicht so einfach.

Was machst du eigentlich beruflich?

Ich bin Lehrer an einer Schule für körperbehinderte Kinder und Jugendliche.

Kannst du deine Erkenntnisse aus der Psychonautik in deine Arbeit integrieren?

Ja, klar. Ich denke, dass psychedelische Erfahrungen und ein psychonautisches Weltbild – welches unter anderem auf der Erkenntnis basiert, dass es im Universum keine Hierarchien gibt – für die Arbeit mit Menschen, Tieren und Pflanzen nur positiv ist. Natürlich muss ich den Kindern auch den öden Schulstoff beibringen, gleichzeitig vermittle ich aber auch ganz andere Dinge. Dinge, die viel mit Bewusstsein zu tun haben. Dazu gehören beispielsweise Naturerfahrungen, genau wie eine Vermittlung ganzheitlichen Konsumverhaltens. Ich finde es enorm wichtig, dass „Bewusstseinstraining“ möglichst früh ansetzt, doch leider steht davon nichts auf dem offiziellen Lehrplan. Ich würde mir wünschen, dass es bereits in der ersten Klasse ein Schulfach geben würde, wo es ausschließlich um Meditation, Achtsamkeit und spirituelle Selbsterfahrungen geht. 

Welchen Tipp hast du für Leser, die sich ebenfalls für das interessante Feld der Psychonautik interessieren?

Folgt einfach der Stimme Eures Herzens. Ansonsten, was die Einnahme von Rauschmitteln als bewusstseinsverändernde Instrumente betrifft, rate ich dringend, die Theorie von Dosis, Set und Setting zu beherzigen, sich gründlich zu informieren und sich einen kompetenten Begleiter oder Anleiter zu suchen. Letzteres gilt natürlich auch für die anderen Techniken. 

Lieber Philipp, ich danke dir für das interessante Gespräch und hoffe, dass deine Vision eines Meditations-Schulfaches irgendwann zum Alltag eines jeden Schülers gehört. 

Das hoffe ich auch. Ich denke aber, dass jene Personen, die sich hierzulande die Lehrpläne für den Schulunterricht ausdenken, davon noch meilenweit entfernt sind. Es braucht Veränderungen im Kollektiv-Bewusstsein, dann wird es so etwas auch irgendwann geben.