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Samen vs. Stecklinge

Die Frage ist fast so alt wie das Homegrowing selbst, und vor allem Anfänger stehen bei ihrer Beantwortung oft ratlos wie der Ochs vorm Berg: Ist es besser für den Heimgärtner, seine Pflanzen aus Samen zu ziehen oder aber aus Stecklingen? Natürlich gibt es darauf keine allgemeingültige, in jedem einzelnen Fall richtige Antwort – zu sehr hängt diese von den Möglichkeiten und Zielsetzungen des growenden Individuums ab. Dieser Artikel soll aufzeigen, wo die Vor- und Nachteile beider Kultivierungsarten liegen und welche Anforderungen sich jeweils  aus ihnen ergeben.

Doch zunächst ein Rückblick, wie sich beide Kultivierungsarten über die Jahrzehnte entwickelt und verbreitet haben. In den 70er Jahren, als das Homegrowing, vor allem indoors, noch in den Kinderschuhen steckte, wurde weltweit fast nur mit Samen gearbeitet. Und zwar mit solchen, die aus importiertem Gras aus Asien oder Afrika herausgelesen wurden – in Ermangelung von systematisch und professionell gezüchteten Samensorten. Selbst frühe Anbaubücher wie der Marijuana Growerʼs Guide von Mel Frank und Ed Rosenthal (1978) befassten sich noch nicht mit der Stecklingskultur, sondern schilderten ausschließlich den Anbau mit aus Samen gezogenen Pflanzen. Zu dieser Zeit ging es erst einmal darum, den Sinsemilla-Anbau weiter zu propagieren, also die frühzeitige Trennung weiblicher und männlicher Pflanzen mit dem Ziel, unbestäubte und dadurch maximal üppig blühende weibliche Kulturen zu realisieren, was in den USA bereits häufig von Homegrowern praktiziert wurde. Heutzutage ist schwer vorstellbar, dass dieses simple und naheliegende Prinzip auch in Holland erst noch bekannt gemacht und eingeführt werden musste.

Als einer der Ersten machte sich dieses Prinzip der holländische Grow- und Coffeeshop-Pionier Wernard Bruining 1980 mithilfe des kalifornischen Grow-Veterans „Old Ed“ zueigen. Zusammen führten sie in Holland den ersten dokumentierten Sinsemilla-Grow durch, der ein durchschlagender Erfolg wurde: Bulldog Coffeeshop-Besitzer Henk de Vries kaufte die gesamte Ernte für 14.000 Gulden pro Kilo auf und wollte unbedingt mehr davon haben. Von da an gab es kein Halten mehr, die Sinsemilla-Praxis eroberte in Windeseile ganz Holland und trug viel zum Aufblühen der dortigen Coffeeshop-Branche bei. „Nederwied“ wurde ein großer Verkaufsschlager und dominierte schnell die Angebotslisten der Shops. Und schon bald übertrugen die Holländer das Prinzip der vegetativen Vermehrung, also das Arbeiten mit Mutterpflanzen und Stecklingen, vom kommerziellen Zierpflanzen- und Gemüseanbau auf den boomenden Cannabisanbau. Die uniformen Stecklingspflanzen lieferten – anders als samenbasierte Pflanzen – berechenbare, gleichbleibend gute Erträge und Qualitäten, dadurch kamen sie den Versorgungsbedürfnissen der Coffeeshops sehr entgegen. Also stellten zumindest kommerzielle holländische Grower ihren Anbau ganz auf Stecklinge um, und das holländische Beispiel machte in der Folgezeit weltweit Schule. Auch manche Homegrower stellten auf Stecklinge um, vor allem solche mit kleinem kommerziellem Nebenerwerb. Doch gegen Ende des letzten Jahrtausends bekam die Stecklingskultur auch im kommerziellen Bereich ernsthafte Konkurrenz: Feminisierte Samen wurden auf dem Markt eingeführt und boten genau wie Stecklinge auch den Vorteil, dass das Geschlecht (weiblich) vorab bekannt ist und der Grower seine Kultur somit von vornherein flächenmäßig optimal – ausschließlich mit weiblichen Pflanzen – bestücken kann, zudem nicht mehr den doch etwas grausamen Akt der Liquidierung männlicher Pflanzen vollziehen muss. Allerdings hatten Femi-Samen viele Jahre lang oft noch die Kinderkrankheit des leichten Zwitterns, und auch die meist hohen Preise sorgten dafür, dass größere kommerzielle Operationen nach wie vor mit Stecklingen abgewickelt wurden. Heutzutage aber sind die meisten Femi-Sorten, zumindest solche alteingesessener Qualitätssamenbanken, verlässlich stabil rein weiblich, und es gibt kommerzielle Grower, die 5.000 oder mehr Femi-Samen auf einmal kaufen, um damit großflächig ihren Anbau aufzuziehen.

Nunmehr kommen wir zum Vergleich beider Kultivierungsmethoden.