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Free Assange

Seit April 2019 sitzt Julian Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, die dortigen Haftbedingungen wurden und werden immer wieder von unabhängigen Experten als „unmenschlich“ und „folterähnlich“ kritisiert. Am 20. April diesen Jahres ist nun die von den USA beantragte Auslieferung des WikiLeaks-Gründers noch wahrscheinlicher geworden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ befürchtet damit einen „furchtbaren Präzedenzfall“ für den Investigativ-Journalismus. Nichtsdestotrotz bilden wir uns hier im Westen immer noch sehr viel auf unsere vermeintlich uneingeschränkte Pressefreiheit ein, auch wenn wir im weltweiten Vergleich auch in diesem Jahr wieder mehrere Plätze nach unten abgerutscht sind (sogar Costa Rica und Jamaika liegen weit vor Deutschland im weltweiten Pressefreiheit-Ranking).

Mit dem „Afghan War Diary“ veröffentlichte WikiLeaks 2010 das größte Leak der US-Militärgeschichte, mitsamt Beweisen für Kriegsverbrechen und Folter. Kurz danach verdächtigten schwedische Behörden den WikiLeaks-Gründer öffentlichkeitswirksam der (angeblichen) Vergewaltigung, während ein geheimes US-Schwurgericht bereits gegen Assange wegen Spionage ermittelte.

Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, wollte sich zunächst gar nicht auf den Fall Assange einlassen. Erst als er ihn im Gefängnis besucht und alle Fakten recherchiert hatte, durchschaute er das groß angelegte Täuschungsmanöver der USA und begann den Fall als das zu sehen, was er wirklich ist: die gut belegte Geschichte einer politischen Verfolgung. An Julian Assange soll offenbar nach wie vor ein Exempel statuiert werden – zur Abschreckung all jener, die möglicherweise auch schmutzige Geheimnisse der Mächtigen ans Licht bringen wollen.

Was die Vergewaltigungsvorwürfe betrifft, lassen wir am besten Nils Melzer zu Wort kommen, der ab Ende Januar 2020 über die Erkenntnisse seiner Untersuchungen im Fall Assange berichtete. Er stellte dabei die mehr als berechtigte Frage, weshalb sich ein Mensch neun Jahre lang in einer strafrechtlichen Voruntersuchung zu einer Vergewaltigung befunden habe, ohne dass es je zu einer Anklage (geschweige denn zu einer Verurteilung) gekommen sei. Polizei und Staatsanwaltschaft in Schweden hätten den Vorwurf der Vergewaltigung gegen Assange konstruiert und die falschen Verdächtigungen unmittelbar der Presse gesteckt – offenbar in der Absicht, Assanges Ruf nachhaltig zu beschädigen. Denn tatsächlich hatte die betroffene Frau ihre nachträglich durch die Polizei manipulierte Aussage nie unterschrieben. Melzer erhob auch schwere Vorwürfe gegenüber US-amerikanischen, britischen, ecuadorianischen und schwedischen Behörden. Sie alle hätten den Fall durch Formalismen vorsätzlich jahrelang hinausgezögert, um Assange durch lange Isolierung und psychische Folter denkunfähig und so angreifbarer durch Schmutzkampagnen zu machen. Melzer, der die Sachverhalte dank seiner Schwedischkenntnisse anhand der Originalunterlagen prüfte, erklärte abschließend: „Wir müssen aufhören zu glauben, dass es hier wirklich darum gegangen ist, eine Untersuchung wegen Sexualdelikten zu führen.

Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange waren also ganz klar konstruiert. Aber was ist mit den Spionage-Vorwürfen der USA? Im März 2017 begann WikiLeaks unter dem Codewort „Vault 7“ eine Reihe von Dokumenten zu veröffentlichen, die einen tiefen Einblick in die Aktivitäten der CIA erlaubten. Zu den geleakten Dateien gehörten auch Hacking-Tools der CIA. Der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst bezeichnete den Leak daher als „den größten Datenverlust in der Geschichte der CIA“. Die Wut der Behörde und des von Präsident Trump neu eingesetzten CIA-Direktors Mike Pompeo auf WikiLeaks veranlasste Pompeo, die Gruppe um Assange 2017 als „nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst“ zu bezeichnen.

Am 11. April 2019 wurde Assange innerhalb der ecuadorianischen Botschaft auf Anforderung des dortigen Botschafters von der Londoner Polizei festgenommen, nachdem ihm der neue ecuadorianische Präsident Moreno das Asylrecht entzogen hatte. Moreno hatte sich von der Politik seines Amtsvorgängers Correa distanziert und verfolgt außenpolitisch das Ziel, die Beziehungen zu den Staaten Nordamerikas und Europas wieder zu verbessern. Auch er warf Assange vor, durch sein aggressives und respektloses Verhalten die Grundlagen des Asylrechts während seines Aufenthalts in der Botschaft so sehr verletzt zu haben, dass eine Weitergewährung des Botschaftsasyls untragbar geworden sei. Außenminister Valencia erklärte zudem, ihm lägen Garantien der britischen Regierung vor, dass Assange nicht in ein Land ausgeliefert werde, in dem seine Menschenrechte verletzt würden. Scharfe Kritik an der Entscheidung kam indes von Ex-Präsident Correa und seinem ehemaligen Außenminister, die Moreno vorwarfen, Assange „geopfert“ zu haben, um an in Aussicht gestellte Kredite des Internationalen Währungsfonds zu gelangen.

Als Ecuador Assange im Frühjahr 2019 nach sieben Jahren Botschaftsasyl der britischen Polizei auslieferte, verlangten die USA nur eine Stunde (!) später seine Auslieferung von Großbritannien. Grundlage war ein bereits 2017 gestelltes, bis dato aber geheim gehaltenes Auslieferungsersuchen.
Die USA werfen Assange unter anderem gemeinschaftliche Verschwörung (mit Chelsea Manning) zum Eindringen in Rechnernetze der US-Regierung vor. Großbritannien zierte sich zunächst noch ein bisschen, scheint dem Drängen der USA jetzt aber nachgeben zu wollen.

Daran stört sich hier im Westen kaum einer, obwohl Amnesty International direkt öffentlich anmerkte: „Sollte Julian Assange an die USA ausgeliefert oder auf andere Weise überstellt werden, würde Großbritannien ganz klar gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen.“
Auch Human Rights Watch veröffentlichte dazu einen Artikel, darin heißt es: „Das Einzige, was zwischen einer Strafverfolgung von Assange und einer großen Bedrohung der weltweiten Medienfreiheit steht, ist Großbritannien. Es ist daher dringend notwendig, dass es die gefährdeten Prinzipien verteidigt“.

Am 20. April lehnte der Oberste Gerichtshof Großbritanniens jedoch eine Berufung im Auslieferungsverfahren Assange ab. Der „Westminster Magistrates Court“ erließ damit den formellen Auslieferungsbeschluss, Empfängerin ist die erzkonservative britische Innenministerin Priti Patel. Nun liegt Assanges Schicksal allein in ihren Händen, nachdem der erste Berufungsantrag des mittlerweile 50jährigen Mitte März gar nicht erst angenommen wurde. Als Begründung musste (überaus schwammig) die „fehlende Rechtsgrundlage“ herhalten. Damit platzte für Assange eine der letzten Hoffnungen auf eine Wende zu seinen Gunsten.

Inwiefern man in diesem Fall überhaupt auf die britische Innenministerin setzen kann, zeigen ihre bisherigen politischen Positionen: Priti Patel gilt als Anhängerin des Thatcherismus und wird dem (sehr) rechten Flügel der Konservativen Partei Großbritanniens zugeordnet. Noch bis 2016 war sie eine Befürworterin der Wiedereinführung der Todesstrafe „zur Abschreckung“, sie stimmte gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und betreibt Lobbyismus für die Tabak- und Alkoholindustrie. Doch damit nicht genug – im Februar 2021 sorgte ihre Kritik an der Niederkniezeremonie der Black Lives Matter-Bewegung für eine landesweite kontroverse Mediendebatte. Kurz darauf verteidigte sie ganz offen das in Großbritannien umstrittene Polizeigesetz, welches Demonstranten mit langjährigen Haftstrafen bedroht, falls sie ein „schweres Missbehagen“ (was immer das auch heißt) auslösen. Und noch vor knapp einem Jahr beschloss das britische Unterhaus (Patels Vorschlag folgend) eine drastische Verschärfung des Ausländerrechts – u. a. mit lebenslangen Freiheitsstrafen für Schleuser. Und diese Frau hat nun das Schicksal von Julian Assange buchstäblich in ihren Händen.

Die weltweit für Presse- und Informationsfreiheit kämpfende Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) ist dementsprechend skeptisch. Da die britische Innenministerin das Auslieferungsverfahren überhaupt erst ermöglicht habe, „sehen wir keine großen Chancen, dass sie sich nun gegen eine Auslieferung entscheiden wird“, sagte die politische Referentin der deutschen Sektion von ROG, Lisa-Maria Kretschmer.

Von der deutschen Bundesregierung erwarte sie jedoch, sich deutlich gegen Assanges Auslieferung auszusprechen – „auch öffentlich“.
Ziel müsse es sein, die konstruierten Anklagepunkte fallen zu lassen, „damit eine Verfolgung auch in Zukunft nicht mehr möglich ist“. Sollte dem Australier vor einem US-amerikanischen Gericht der Prozess
gemacht werden, droht ihm eine Verurteilung zu lebenslanger Haft (das Strafmaß würde wohl bei 175 Jahren liegen).

Lisa-Maria Kretschmer ist zudem der Meinung, Assanges Auslieferung würde einen „absolut furchtbaren Präzedenzfall“ für investigative Journalisten schaffen. Als Konsequenz könnte jedem Journalisten, der an der Schnittstelle von Kriegsverbrechen, nationaler Sicherheit und Geheimdiensten arbeitet, das gleiche Schicksal wie Julian Assange drohen. Dabei seien Informationen über Kriege und Kriegsverbrechen
„unglaublich wichtig“ – auch angesichts der Berichte über Gräueltaten in der Ukraine. Zugleich attestiert sie Großbritannien und den USA angesichts ihres Umgangs mit Julian Assange ein großes Glaubwürdigkeitsproblem. Denn deren Kritik an anderen Ländern und Regierungen pralle immer öfter wirkungslos ab. Beispielhaft verweist Kretschmer hier auf China und Aserbaidschan, die Kritik am
Zustand der Pressfreiheit in ihren Ländern gewöhnlich mit dem Hinweis zurückweisen: „Schaut ihr doch erstmal, wie IHR mit Menschen umgeht, die journalistisch arbeiten!“

In einer Erklärung vom September 2021erklärte die bekannte Journalistin Laura Poitras (kooperierte mit den Whistleblowern Edward Snowden und Glenn Gleenwald), die Berichte über behördliche Versuche,
sie selbst, Glenn Greenwald und Julian Assange als „Informationsvermittler“ und nicht als Journalisten einzustufen, seien „erschütternd und eine Bedrohung für Journalisten weltweit. Dass sich die CIA nun auch verschworen hat, die Überstellung und außergerichtliche Ermordung von Julian Assange zu erreichen, ist ein staatlich gefördertes Verbrechen gegen die Pressefreiheit!“ Und Glenn Greenwald ergänzte unisono: „Ich bin nicht im Geringsten überrascht, dass die CIA – eine seit langem autoritäre und antidemokratische Institution – einen Weg gefunden hat, den freien Journalismus zu kriminalisieren und missliebige Journalisten auszuspionieren und andere Angriffe auf sie zu verüben.“

Trotz internationaler Kritik am Umgang mit Julian Assange haben sich weder frühere Regierungen für den prominenten Häftling eingesetzt noch die amtierende Ampelkoalition unter Olaf Scholz. Merkels letzter Außenminister Heiko Maas äußerte sich 2020 noch so: Der Bundesregierung lägen keine Informationen vor, aus denen hervorginge, „dass es sich um Verstöße gegen internationales Recht sowohl bei der Unterbringung als auch der Behandlung von Julian Assange handelt“. Annalena Baerbock forderte noch 2021 im GRÜNEN-Wahlkampf Assanges „sofortige Freilassung“ – von der neuen Außenministerin und Kriegsbefürworterin Annalena Baerbock sind solche Worte nun leider (gar) nicht mehr zu vernehmen. Nur die LINKEN-Bundestags-abgeordnete Sevim Dağdelen erinnerte am 11. April 2022 (dem 3. Jahrestag der Inhaftierung von Julian Assange im Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh) an die militärisch Verantwortlichen in den USA: „Nicht wer Kriegsverbrechen enthüllt gehört ins Gefängnis, sondern wer sie befiehlt und begeht!“
Die Regierung aus SPD, GRÜNEN und FDP müsse im Zuge ihrer „sogenannten ‚wertegeleiteten Außenpolitik‘ gegenüber der britischen Innenministerin Priti Patel auf die Freilassung von Assange drängen und dem Journalisten und WikiLeaks-Gründer politisches Asyl in Deutschland anbieten“.

Sevim Dağdelen hatte sich auch schon in der vergangenen Legislaturperiode in einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe für die Freilassung von Assange engagiert, dieser Gruppe gehörten übrigens Abgeordnete aller Fraktionen (außer der AfD) an. Es gebe auch nach wie vor den „erklärten Willen“, diese Arbeit fortzusetzen, erklärte DIE LINKE gegenüber der „Deutschen Welle“. Die andauernde Inhaftierung von Julian Assange „unter folterähnlichen Bedingungen“ ist aus Sicht der LINKEN ein „humanitärer und rechtsstaatlicher Skandal“ sowie „eine eklatante Verletzung der Pressefreiheit“.

Sollte also Großbritanniens Innenministerin Priti Patel der Auslieferung Assanges an die USA erwartungsgemäß zustimmen, dann bliebe seinen Anwälten nur noch eine einzige letzte Möglichkeit: innerhalb von vier Wochen den Einspruch ihres Mandanten gegen den Auslieferungsbeschluss erfolgreich zu begründen. Das ist die letzte Chance für einen Sinneswandel der politisch Verantwortlichen, auch ein weiterer Gang vor Gericht ist nicht ganz ausgeschlossen. Ein Sprecher von Premierminister Boris Johnson erklärte bereits, Innenministerin Patel müsse hier innerhalb von zwei Monaten eine endgültige Entscheidung treffen.

Nach dem bisherigen Stand des Auslieferungsverfahrens ist mit einer Aufhebung des Auslieferungsbeschlusses kaum noch zu rechnen. Und Julian Assange wird eine Auslieferung an die Vereinigten Staaten wahrscheinlich nicht lange überleben. Das wissen auch Freunde und Unterstützer von Assange und protestierten daher zu Hunderten in Brüssel gegen seine geplante Auslieferung an die USA. Seine Frau und Anwältin Stella Moris sowie der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn nahmen an der jüngsten Protestveranstaltung teil. Stella Moris erklärte hier: „Was in diesem Fall auf dem Spiel steht, ist nicht nur das Überleben meines Mannes oder die Möglichkeit für meine Kinder, einen Vater zu haben. Es ist die Seele der europäischen Werte, der demokratischen Werte, die hier auf dem Spiel steht.“

Der liberale Politiker Jeremy Corbyn lud Journalisten auf der ganzen Welt ein, an sich selbst und ihren Beruf zu denken und unterstrich dabei, wie wichtig es ist, für die Wahrheit und Pressefreiheit zu kämpfen, denn: „Julian hat das getan, und ihm droht für den Rest seines Lebens der Verlust der Freiheit. Wenn ihnen der freie Journalismus wichtig ist und sie das Recht auf Wissen schätzen, dann unterstützen sie Julian Assange!“

Und so können auch wir Euch nur bitten: Unterstützt Julian Assange!