Gentleman

Gentleman – A new day dawn

 

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Vor Kurzem erschien mit New Day Dawn das sechste Studioalbum des mittlerweile 38-jährigen Kölners, der nach 20 Jahren im Musikgeschäft zu einem internationalen Reggae-Headliner avancierte. New Day Dawn ist das bisher persönlichste Gentleman-Album voll eingängiger, mal kraftvoll-dynamischer, mal entspannt-dubbiger Tracks zwischen Roots-Reggae und Elektro-Dancehall, die einem ganz schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen.

Wir trafen den sympathischen Ausnahmekünstler in einem Kreuzberger Apartment und nutzten die Gelegenheit, mit ihm ein ausführliches Gespräch über sein neues Album, Politik und Religion zu führen. Und natürlich wollten wir auch wissen, warum er nicht mehr „dampft“ und was er heute (noch) von Cannabis hält.

Warum klingt der Titel deines neuen Albums so nach bewusstem Neuanfang? Hat sich denn so viel in den letzten Jahren verändert?

Einen Neuanfang erlebt man doch an jedem neuen Morgen – das ist genau das Thema, das ich damit anschneiden wollte. Denn du hast ja Tag für Tag aufs Neue die Möglichkeit, Sachen mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten – das ist oft nur eine persönliche Entscheidung. Das Jahr 2012 war für mich persönlich ein ziemlich beschissenes Jahr. Aber das auch nur wieder aus einer bestimmten Perspektive gesehen – was ja wie gesagt auch immer eine Frage der persönlichen Entscheidung ist. Ich hatte irgendwann einfach keinen Bock mehr auf die ganzen „bad news“ und habe mich gleichzeitig an dem Spagat versucht, einerseits keinen Bock mehr auf schlechte Neuigkeiten zu haben, andererseits die Welt aber auch nicht durch eine rosa Brille zu sehen. Denn natürlich läuft in der Welt so einiges schief und es gibt noch viel zu viel Ignoranz – irgendwie scheinen wir unsere Fehler immer aufs Neue zu wiederholen. Gleichzeitig gibt es aber auch immer mehr gesellschaftliche Strömungen, die mir auch Hoffnung machen. Schließlich sind wir mittlerweile im Jahr 2013 und wir sind immer noch da. Und wir haben durch das Medium Internet heute Möglichkeiten, die wir so vorher noch nicht hatten. Ich glaube, die größte Herausforderung im New Day Dawn ist es, damit richtig umzugehen. Dass wir es nutzen, um Sachen zu verändern und gleichzeitig darauf achten, dass wir uns nicht darin verlieren und die existenziellen Fragen dabei nicht verloren gehen. Denn das ist dabei auch ein bisschen meine Sorge, die ich auch in meiner Single You Remember verarbeitet habe: Ich selbst vermisse schon einige Dinge aus meiner Vergangenheit, obwohl ich viele Sachen aus der Gegenwart durchaus schätze. Aber ich vermisse in unserer schnelllebigen, globalisierten Welt ein bisschen das Persönliche – und doch bin ich froh, hier und jetzt im Jahr 2013 zu sein.

Das klingt optimistisch…

Es tut sich ja auch etwas in der Welt. Die Occupy-Bewegung hat versucht, den Banken zuzusetzen, und immer mehr Leute machen inzwischen den Mund auf, wenn sie Ungerechtigkeiten oder sinnlose Verschwendung von Steuergeldern für große Bauprojekte erleben. Oder wenn Luxus-Eigentumswohnungen Kunst und Kultur aus den Stadtzentren verdrängen. Oder dass Facebook und YouTube schon Regime gestürzt haben. „Another Drama“ ist zum Beispiel so ein Song, in dem es um den Arabischen Frühling geht, der ja inzwischen zum Winter geworden ist. Letztes Jahr im April hatten wir in Kairo einen Auftritt – das war noch vor der Wahl, und als wir dort mit dem Tourbus am Tharir-Platz vorbeifuhren, konnte man die Revolution irgendwie riechen. Auch darin geht es auf New Day Dawn – dass man manchmal erst lernen muss, mit neu gewonnener Freiheit umzugehen. Selbst unser Vogel Fips, den ich geschenkt bekam und dem ich schließlich die Freiheit schenken wollte, drehte zwar erst ein paar Runden, kam dann aber wieder zurück. Er wollte zurück in seinen Käfig – obwohl er funktionierende Flügel hatte. Er kannte es nicht anders.

Warum hast du auf diesem Album nicht wieder mit anderen KünstlerInnen kooperiert?

Ich mochte einfach den Gedanken, mal ein reines Gentleman-Album zu machen. Das war kein Plan, sondern hat sich irgendwie von selbst ergeben. Ich hatte das Gefühl, New Day Dawn kommt ohne Features aus, obwohl ich gerne mit anderen Artists arbeite. Ich finde, das Album ist aber dennoch sehr vielseitig – dieses Mal bin ich halt der rote Faden und versuche mich an dem Spagat zwischen handgemachtem Roots-Reggae und progressiver elektronischer Dancehall-Musik. Zudem ist es das erste Album, welches ich auch maßgeblich selbst produziert habe – da ist ganz viel Eigenregie mit drin. Vorher habe ich immer auf fertig produzierte Musik geschrieben, aber dieses Mal habe ich am Klavier Sachen entworfen, die ich dann zusammen mit zwei Soundtüftlern ausproduziert habe. Die eine Hälfte des Albums mit Giuseppe Coppola – unserem Schlagzeuger – und die andere mit Ben Bazzazian, der zuvor ja auch schon It No Pretty gemacht hat. Dadurch ist das Album – wie ich finde – gleichzeitig abwechslungsreich und doch in sich geschlossen.

Hast du – thematisch oder musikalisch – einen Lieblingssong auf New Day Dawn?

Das wechselt auch mit jedem new day dawn – es kommt halt immer auf den Vibe drauf an, in dem ich mich gerade befinde. Memoires  ist zum Beispiel ein Song, der mir viel bedeutet. Darin habe ich etwas verarbeitet, was mir so noch nie passiert ist: Dass dein bester Kumpel nicht mehr da ist, weil er stirbt. Erst durch und nach diesem Song hatte ich das Gefühl, irgendwie damit klarzukommen. Aber auch der Titelsong New Day Dawn liegt mir sehr am Herzen, genauso wie You Remember oder In My Arms. Ich könnte jetzt noch mehr aufzählen, denn es gibt wirklich keinen Song auf dem Album, der mir nicht wichtig ist.

Sonst wäre er wahrscheinlich gar nicht auf dem Album gelandet…

Ganz genau.

Was hältst du eigentlich von deutscher und internationaler Politik? Wie sehr interessierst du dich dafür, und engagierst du dich selbst auch mal politisch? Zum Beispiel im Wahlkampf?

Ich bin ja Musiker und kein Politiker geworden. Vor manchen Politikern zieh’ ich meinen Hut und vor vielen anderen nicht. Deshalb kann man ja eigentlich auch gar nicht von „den Politikern“ reden, denn auch hier gibt es ja solche und solche. Aber ich würde mich niemals für irgendeine Partei einsetzen. Ich gehe natürlich wählen, denn das ist es ja, was eine Demokratie ausmacht – aber wo ich dann mein Kreuzchen mache, ist dann doch eher Privatsache. Irgendwie fehlen mir in der Politik die guten Charaktere und vor allem Glaubwürdigkeit – obwohl die Politik ja eigentlich davon leben sollte. Aber die Politik entfernt sich immer mehr von den Menschen, anstatt sich für sie einzusetzen – deshalb gehen auch immer weniger Menschen zur Wahl. Ich kann nur sagen, dass ich wählen gehe, um den Rechten keine Stimme zu überlassen. Aber viel mehr will ich mich zu Parteien eigentlich gar nicht äußern. Als Musiker habe ich auch eine gewisse Verantwortung und muss bis zu einem bestimmten Punkt auch politisch sein – aber eben nicht ausschließlich. Musik muss dir in erster Linie Vibes vermitteln – denn die tiefgründigsten Texte nützen nichts, wenn du sie nicht mit einer schönen Melodie kombinierst. Musik hat eine unglaubliche Kraft, Sachen in Bewegung zu bringen. Und Musiker können zwar politisch sein, aber Politiker tun sich häufig schwer, musikalisch zu sein. Irgendwie glaube ich auch, dass die ganz hellen Köpfe gar nicht in die Politik gehen. Die würden sich das niemals antun.

Hast du als Sohn eines evangelisch-lutherischen Pastors eigentlich ganz bewusst eine „eigene“ Religion gesucht – und über die Reggae-Musik gefunden? Und würdest du dich selbst als gläubigen Rastafari sehen?

Ein gläubiger Rasta bin ich nicht, aber ich habe sehr viel von dem Rasta-Movement gelernt und auch viele Rastas getroffen, die in einem unglaublichen Einklang mit sich selbst und sehr naturverbunden leben. Für mich ist Selassie I. aber nicht mein Gott. So wie ich das bis jetzt verstanden habe, steht im Zentrum der Rastafari-Bewegung die Rückkehr nach Afrika – um Menschen, die vor langer Zeit verschleppt wurden, zu ihren Wurzeln und ihrer Identität zurückzuführen. Aber auch für meine eigene Lebensphilosophie habe ich mir eine ganze Menge von den Rastafaris abgeguckt – zum Beispiel, bewusster mit mir und meiner Umwelt umzugehen. Als Sohn eines Pastors war die Kirche für mich nicht der Ort, an dem ich Gott gefunden habe. Dort war es immer kalt und wir mussten auf harten Bänken knien oder ganz lange stehen – auch musikalisch war das nicht so mein Ding, was einem hier geboten wurde. Aber ich habe Respekt vor Menschen, die in die Kirche gehen und hier ihren Glauben finden. Wenn die Kirche einen besseren Menschen aus dir macht, dann ist das auch gut so.

Glaubst du an Gott?

Ich glaube an Gott und auch an das Gute im Menschen – aber ich glaube nicht an die Kirche und in dem Sinne auch nicht an Religion. Aber ich finde, dass der Koran ein wunderschönes Buch ist und es gibt auch viele schöne Geschichten in der Bibel. Trotzdem tun viele Menschen immer noch so, als ob dieses Buch geradewegs vom Himmel gefallen ist. Dabei führen doch nur die verschiedenen Interpretationen solcher Bücher zu Konflikten und Kriegen. Trotzdem finde ich es inzwischen gut und richtig, dass es Religionen gibt – früher war ich da noch absolut dagegen und hab immer nur dagegen gewettert. Mittlerweile habe ich aber erkannt, dass Religion auch einiges zusammenhält und eine Moral hervorbringen kann, die Kriege verhindert. Aber mein Gott ist eher ein Spirit, ein Gefühl, etwas Göttliches, was ich auch in der Musik, der Natur oder in einem guten Gespräch finde. Es ist dieses Gefühl, dass wir immer noch staunen können – und nicht alles immer nur wissenschaftlich-rationell sehen und erklären können. Ich finde, Wissenschaft und Religion müssen sich nicht zwangsläufig im Wege stehen – denn wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich mich doch eher als religiösen Menschen sehen. Das heißt nicht, dass ich die Wissenschaft nicht interessant oder wichtig finde – aber auf jede Frage eine Antwort zu haben, kann einem das Staunen verderben. Und das fände ich schade.

Du kommst in deinen Texten immer sehr nachdenklich und ernsthaft rüber – hast du es auch schon mal mit Humor versucht?

Klar, ich habe auch schon eine ganze Reihe Texte geschrieben, die einen gewissen Humor haben – sonst klingt man ja auch schnell verbittert oder als ob man mit einem erhobenen Zeigefinger daherkommt. Mein Humor kommt aber vielleicht nicht immer und überall an – ich habe auch schon erfahren, dass Menschen nichts stärker trennt als die Unterschiedlichkeit des Humors. Allerdings wüsste ich jetzt gar nicht so genau, wie ich meinen eigenen Humor beschreiben sollte – manchmal kann ich jedenfalls auch über ganz alberne Sachen extrem lachen. Aber ich weiß, was du meinst, vielleicht sollte ich da einfach mal eine neue Schiene fahren. Vielleicht Kabarett oder so…

Ich fände es witzig, wenn die Textzeile Remember: people are people in deinem Song No Time To Play tatsächlich eine Anspielung auf die Thematik des gleichnamigen Hits von Depeche Mode wäre. Thematisch passen würde das ja schon – aber ist das wirklich so?

Nein, mit „people are people“ wollte ich eigentlich nur sagen: Wir sind doch alle nur Menschen. Weiter nichts. Aber ich hatte früher tatsächlich eine ganze Reihe dieser bunten Depeche-Mode-Platten und fand die Band und ihren Sound auch ganz groß. Vielleicht ist da ja doch irgendwas ganz unbewusst mit reingerutscht – aber es war keine bewusste Entscheidung.

Du bist ja nun schon sehr viel in der Welt herumgekommen – hast du nach deinen Tourneen überhaupt noch Lust auf ganz private Fernreisen?

Das weltweite Touren hat ja leider nichts mit Reisen oder Länder kennenlernen zu tun. Im letzten Jahr waren wir zum Beispiel auf einer ausgedehnten Lateinamerika-Tour und spielten in Chile, Argentinien, Kolumbien, Costa Rica, Surinam, Venezuela – aber ich kann dir nichts von diesen Ländern erzählen. Das ist eben der Haken an der Sache: Es passiert viel zu viel in viel zu kurzer Zeit. Man sagt ja, die Seele braucht etwa zwei Tage, um irgendwo anzukommen. Doch dann ist der Körper ja schon wieder an einem ganz anderen Ort, und wenn es dann auch noch eine Zeitverschiebung gibt, kriegt man viele Sachen gar nicht mehr mit. Vielleicht sollte ich mir – wenn ich dann schon mal an so exotischen Orten bin – auch die Zeit für einen Spaziergang nehmen – aber selbst das lässt sich oft gar nicht mit dem Tour-Stress vereinbaren, auf dem du eigentlich nur Flughäfen, Hotelzimmer und die jeweilige Konzert-Location siehst. Und wenn ich dann mal wieder zu Hause bin, bin ich das auch richtig gern – bei meiner Familie in Köln.

Gibt es trotzdem ein Land, in dem du noch nicht oder nur auf Tour warst, in das du auch privat reisen möchtest?

Klar, ganz viele – vor allem in Südamerika. Ich habe mir fest vorgenommen, in nicht allzu ferner Zukunft für ein Jahr auf Weltreise zu gehen – und zwar ganz alleine. Vorausgesetzt, ich schaffe es, tatsächlich mal eine Musik-Pause zu machen. Bisher war es ja immer so, dass ich mit einem Album zwei Jahre international auf Tour war und mich danach gleich wieder an das neue Album gesetzt habe. Nicht weil ich musste, sondern weil ich wollte…

Apropos „wollen“ – wie wir gehört haben, kiffst du gar nicht mehr. Würdest du uns sagen, warum?

Ach, das sind doch alles nur Phasen – ich würde jetzt auch nicht sagen, dass ich nie wieder kiffen werde. Schließlich habe ich gerne gekifft – wobei ich finde, das Wort „kiffen“ hat inzwischen irgendwie einen faden Beigeschmack.

Du kannst es auch anders nennen – welches Wort bevorzugst du denn?

Dampfen, buffen, knarzen, smoken, harzen, barzen…

Okay, bleiben wir bei „dampfen“ – vermisst du die Dampferei nicht?

Ich vermisse es manchmal schon ein wenig, durch Cannabis in diese angenehme Gemütlichkeit zu verfallen. Aber dieses Gefühl ist nicht so stark, dass ich gleich wieder damit anfangen muss. Ich glaube, man kann gar nicht genau sagen, so oder so wirkt Weed auf Menschen – dazu sind wir alle viel zu verschieden. Ich persönlich bin aber immer gut darauf klargekommen – ich hatte nie irgendwelche Psychosen oder schlechte Erfahrungen damit. Aber ich habe irgendwann festgestellt, dass ich ein recht extremer Mensch bin. Ich beneide die Leute, die sich auf ihren Feierabendjoint freuen und den dann auch erst zum Feierabend rauchen – ich bin da eher der Typ, der morgens aufsteht und sich zum Kaffee schon den ersten zwirbelt. Es gab Zeiten, da habe ich von morgens bis abends durchgedampft – dadurch bin ich zwar kein schlechter Mensch, aber oft doch recht träge geworden. Ich bin auch viel weniger kommunikativ, wenn ich gedampft habe – dann will ich eigentlich nur noch meine Ruhe haben und gehe eben nicht ans Telefon, wenn es klingelt. Vielleicht rufe ich ja später noch zurück. Und meine To-do-Listen wurden länger und länger und vieles wurde einfach immer wieder verschoben. Ich war ein regelrechter Listen-Junkie – du ahnst gar nicht, wie viele Listen ich mir teilweise geschrieben habe – manchmal dauerte es fast ein Jahr, bis ich sie endlich abgearbeitet hatte. In meiner jetzigen Phase – in der ich nun mal nicht dampfe – brauche ich keine Listen mehr. Wenn etwas zu erledigen ist, dann mache ich das direkt – irgendwie habe ich beschlossen, einfach wieder mehr mitzukriegen. Und so hat es sich dann auch in den letzten Jahren ergeben, dass ich in der Zeit, in der ich Promotion für ein Album mache, einfach nicht dampfe. Und ich kann dann auch nicht einfach nur am Abend einen rauchen – da ist es für mich viel einfacher, für diese Zeit ganz darauf zu verzichten. Es ist für mich auch viel leichter zu sagen „Ich esse gar kein Fleisch mehr“, als „Ich esse nur ab und zu mal ein Steak“. Aber vielleicht werde ich ja irgendwann auch mal wieder dampfen…

Dann bist du zurzeit nur gerade in einer Nicht-Dampf-Phase?

Klar, schließlich hört man immer dann damit auf, wenn man einen Spliff ausdrückt – und ich fange halt seit einem halben Jahr einfach nicht wieder damit an. Bei der Promo zu Diversity war das auch schon so und ich vermute mal, dass ich in den nächsten Wochen und Monaten auch weiterhin auf Cannabis verzichten werde. Gerade nach längeren Pausen kann der erste Spliff bei mir auch tierisches Herzrasen verursachen – das hat dann gar nichts mehr mit „runterkommen“ zu tun. Das liegt dann aber vielleicht auch an dem hochgezüchteten Skunk-Weed – denn auf Jamaika ist mir sowas noch nie passiert. Auch New Day Dawn haben wir etwa zur Hälfte auf Jamaika produziert, und wenn ich dort drüben bin, habe ich eigentlich immer gedampft. Auch wenn ich eigentlich gerade eine Pause gemacht habe – sobald ich auf Jamaika war, verfiel ich dem Weed erneut. Das ist aber auch ein ganz anderes Weed auf der Insel – das gibt mir eine ganz andere, unglaubliche Energie. Es ist fast so, als ob ich in Deutschland wäre und gerade eine Pause mache, denn ich bin extrem kommunikativ.

Rauchst du das Weed auf Jamaika vielleicht pur?

Nein, ich mische das auch dort immer mit ein wenig Tabak – ich habe früher auch schon mal Knaster probiert, als ich vor etwa zehn Jahren damit aufhörte, Zigaretten zu rauchen. Irgendwann habe ich mich dann dabei erwischt, dass ich 25 Spliffs am Tag geraucht habe – obwohl ich eigentlich nur Tabak wollte. Das war auch so ein Trugschluss, wo man besser ehrlich zu sich sein sollte: Eigentlich wollte ich da gar nicht „high“ sein oder „runterkommen“, sondern einfach nur den Vibe des Tabak-Rauchens spüren. Aber in dem Moment, wo ich komplett mit dem Rauchen aufhöre, ist das dann viel einfacher – auch wenn ich in den ersten Tagen (vor allem nach dem Essen) schon das Verlangen spüre, mir einen kleinen Spliff zu drehen. Aber nach vier oder fünf Tagen vergeht das dann und dann muss ich auch nicht mehr so oft daran denken. Und im Augenblick weiß ich auch gar nicht, ob ich überhaupt wieder mit dem Dampfen anfangen werde…

Aber du wirst doch sicherlich noch mal nach Jamaika fahren, oder? Es klang ja so, als würde dir da immer schon am Flughafen die erste Tüte in die Hand gedrückt…

Das trifft es schon ziemlich genau – trotzdem würde ich Jamaika auch gerne mal ganz ohne Dampf mitkriegen.

Wenn du deine und die Erfahrungen deines Umfeldes einmal zusammenfassen solltest – wo siehst du die Vor- und wo die Nachteile des Cannabiskonsums?

Ich glaube, man kann die Wirkungsweise von Cannabis auf verschiedene Individuen nicht einfach verallgemeinern – was für den einen Entspannung und gewünscht ist, kann für den anderen schon ungewünschte Trägheit sein. Deshalb ist es so schwierig, hier eine allgemein gültige Aussage zu formulieren. Einerseits kenne ich Leute, die ultraviel dampfen und trotzdem alles auf die Reihe kriegen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch in meinem engeren Freundeskreis Menschen, die nach einer Pause wieder anfingen und plötzlich an einer Psychose litten und überhaupt nicht mehr darauf klarkamen.

Das klingt ja nach einer verdammt harten, gefährlichen Droge…

Für manche ist das sicher auch so – denn letztendlich ist das eine Kopfsache und sicherlich spielt auch der Tabak da mit rein. Ich konnte auch nicht einfach aufhören, sondern brauchte immer einen deutlichen Break – am besten eine Reise. Also bin ich mit meiner Frau in den Urlaub nach Sri Lanka gefahren und wir beschlossen, danach aufzuhören. Oder wir waren in Thailand, wo drastische Strafen auf Weed stehen. In meinem eigenen Umfeld habe ich es bisher auch noch nie geschafft, mal erfolgreich eine Dampf-Pause einzuläuten – tatsächlich brauche ich dazu immer eine Reise. Und irgendein konkretes Ziel – dieses Ziel ist meist die Phase der Album-Produktion, wo es ans Eingemachte geht: Die Songs zu mischen und ihnen den letzten Schliff zu geben. Dazu muss man den ganzen Tag im Studio sitzen und aufmerksam zuhören: Vielleicht sind ja hier oder da die Hi-Hats noch ein bisschen zu spitz. Dafür muss man einfach auf der Höhe sein, genauso wie in der darauf folgenden Promotion-Zeit, in der ich einfach möglichst wach sein will. Ohne diese Ziele hätte ich wahrscheinlich gar keinen Grund gehabt aufzuhören. Auch finanziell hat das manchmal ganz schön reingehauen – ich habe mir dann auch schon mal gedacht: Meine Güte, wie viel Kohle hast du dir eigentlich schon in die Lungen geballert! Es gab Zeiten, da habe ich mit meiner Frau ganz schön viel verdampft – wenn ich uns da mal was für einen Fuffi geholt hatte, war nach zwei Tagen schon wieder alles weg. Aber trotzdem wenn wir damals von früh bis abends geraucht haben, würde ich nicht sagen, dass uns Weed zu schlechteren Menschen gemacht hat – so, wie das zum Beispiel bei Kokain der Fall ist. Davon bin ich echt überzeugt: Wenn du regelmäßig auf Koks bist, dann wirst du früher oder später zum Arsch.

Hat deine zeitweise Abkehr von Cannabis vielleicht auch etwas damit zu tun, dass du nun schon seit geraumer Zeit Vater bist?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich habe meinen Konsum auch nie vor meinen Kindern verheimlicht. Aber ich fühle mich natürlich besser, wenn meine Kinder mich sehen und ich dann nicht gerade dampfe. Wenn mein 12‑jähriger Sohn schon jetzt damit anfangen würde, wäre mir das natürlich auch nicht recht. Ich glaube, am wichtigsten ist es zu erkennen, ob jemand ganz bewusst genießt oder irgendwie auf der Flucht vor der Realität ist. Ich finde es völlig okay, sich ab und zu mal zurückzuziehen, um richtig entspannen zu können. Und ich bin auch nach wie vor für eine Legalisierung von Cannabis, denn letztendlich sollte jeder sein Konsumverhalten selbst regelmäßig hinterfragen.

Das fällt aber insbesondere Jugendlichen oft schwer – da geht es ja eher ums Experimentieren und Austesten von Grenzen…

Klar, als ich so 17 oder 18 Jahre alt war, haben wir auch immer viele Eimer geraucht und uns dabei völlig weggeballert. Ich kann mich noch an ein paar Dialoge aus dieser Zeit erinnern: Einmal rief zum Beispiel ein Freund an und ich ging ans Telefon:

Hallo?

Tilmann, bist du das?

Ja.

Was ist denn?

Wieso? Du hast doch angerufen!

Ach so, alles klar – tschüss…

Das war natürlich eine schwachsinnige Kommunikation – aber das war ja damals auch nur eine Phase und danach kam die Weiterentwicklung. Obwohl – in meiner Anfangszeit als Musiker habe ich selbst bei Interviews oder auf der Bühne gedampft. Ich konnte einfach nicht in Maßen dampfen und war quasi immer unter Volldampf…

Hast du schon darüber nachgedacht, was du deinen Kindern einmal zum Thema Cannabis mit auf den Weg geben wirst?

So, wie ich meinen mittlerweile 12‑jährigen Sohn einschätze, ist Cannabis noch kein Thema für ihn. Aber natürlich wird das in seinem Umfeld bald der Fall sein – für mich als Vater ist es da am wichtigsten, ihm das Gefühl zu geben, dass er mit mir über alles reden kann. Schließlich hat er mich schon vor etwa zwei Jahren mal gefragt:

Papa, rauchst du eigentlich?

Ja, aber ich rauche keine Zigaretten, sondern Gras.

Was denn für Gras? Das von der Wiese?

Nein, Cannabis.

Und warum rauchst du das?

Weil es mich entspannt.

Bist du denn sonst immer unentspannt?

…und da wurde es auch schon schwierig. Mein Sohn hat mir da irgendwie einen Spiegel vorgehalten und plötzlich fühlte sich das für mich gar nicht mehr so gut an. Schließlich kenne ich auch Leute, die selbst im Beisein ihrer 6‑ oder 7‑jährigen Kinder den ganzen Tag lang knarzen – das finde ich einfach nicht cool. Insofern sollte man sich regelmäßig überprüfen und sich dabei auch ganz ehrlich fragen: Fühlt es sich noch gut und richtig an?

Hast du eigentlich auch Erfahrungen mit anderen Drogen außer den legalen und Cannabis gesammelt?

Ja, und im Nachhinein bin ich auch froh darüber, sie gemacht zu haben. Denn so kann ich gegebenenfalls auch meinen Kindern von meinen persönlichen Erfahrungen erzählen. Ich will einfach in meiner Familie ein Klima schaffen, in dem meine Kinder jederzeit zu mir kommen und mit mir über wirklich alles ganz offen reden können, ohne dass ich dabei irgendetwas verurteilen würde. Denn letztendlich kann ich es ja sowieso nicht verhindern, wenn meine Kinder irgendwann für sich entscheiden, auch mal diese oder jene Droge ausprobieren zu wollen. Im Idealfall spielt ja der Vater in der Familie auch eine andere Rolle als die Mutter – bei uns ist das ganz zwangsläufig so, weil ich oft nicht zu Hause bin, und wenn ich dann mal wieder da bin, ist ein anderer Bezug da, denn es ist nicht das Alltägliche. Aber wann immer ich zu Hause bin, ist mir unser offenes Verhältnis extrem wichtig. Denn was ich in unserer Generation immer wieder feststelle, ist, dass die Wenigsten zu ihren Vätern ein wirklich gutes, freundschaftliches Verhältnis haben. Und auch ich selbst fange gerade erst damit an, meinen Vater kennenzulernen – das will ich bei meinen Kindern auf jeden Fall anders machen. Bei uns soll es normal sein, dass man über Dinge spricht. Und wenn es dann soweit sein sollte, werde ich ihnen sagen: Ich kann euch eh nicht daran hindern, wenn ihr dieses oder jenes mal ausprobieren wollt – aber wenn ihr es macht, dann macht es wenigstens richtig. Ohne den Wunsch nach der Drogenerfahrung zu forcieren, würde ich ihnen Tipps aus meiner persönlichen Erfahrung geben, wie und unter welchen Umständen sie am besten ihre ersten eigenen Drogenerfahrungen machen können. Denn Unwissenheit über eine Droge kann manchmal mehr schaden als die Droge selbst. Aber natürlich wünsche ich mir, dass meine Kinder am besten gar keine Drogen konsumieren werden. Wenn sie es dann aber doch tun, dann bitte mit dem richtigen Bewusstsein.

Mehr Informationen über Gentleman und sein neues Album unter:

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