Viele westliche Staaten scheinen heutzutage ihre Zukunft immer düsterer zu sehen, der gesellschaftliche Pessimismus wird immer stärker und stärker. Wo ist der einstige Glaube an den Fortschritt geblieben? Der weit verbreitete Glaube daran, dass in Zukunft alles besser wird – schließlich hat genau dieser Glaube die Moderne nachhaltig geprägt. In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts konnten die allermeisten Menschen das „Space-Age“ (Weltraumzeitalter) kaum erwarten – heute dagegen sehen wir fast nur noch die möglichen bzw. zu erwartenden Probleme der Zukunft und keine möglichen bzw. zu erwartenden Lösungen.
Unsere westlichen Gesellschaften sind heute in einer Situation, in der sie so bisher noch nie waren: ganz verschiedene Verlusterfahrungen kommen aus ganz verschiedenen Ecken zusammen und summieren sich zu einem Schreckensgebilde namens „Zukunft“. Wer kann noch ruhig schlafen, wenn immer neue Kriege ausbrechen, die Umweltverschmutzung unaufhaltsam zunimmt, die Lebenserwartung und die Geburtenzahlen steigen, wenn Millionen Menschen auf der Flucht sind und unser blauer Planet trotzdem einfach nicht größer oder gesünder werden will?
Okay, vermutlich können so ziemlich alle dabei ruhig schlafen – schließlich sind das Probleme, die der
Einzelne gar nicht lösen kann. Warum also sich um die Zukunft sorgen? Weil sie früher oder später auch das eigene Leben betrifft.
Verlust und Fortschritt hängen heutzutage eng miteinander zusammen. Hier im Westen leben wir in Gesellschaften, in denen der Fortschritt nicht nur wichtig, sondern fast schon verpflichtend ist. Zumindest gilt das für die Moderne – also für die Epoche seit der industriellen Revolution, die ja auch Aufklärung, Demokratisierung und die Wissenschaft in den gesellschaftlichen Fokus rückte. In dieser Zeit des permanent erwarteten Fortschritts leben wir auch heute noch, obwohl so mancher Fortschritt heute gar nicht mehr als solcher angesehen wird. Es ist aber eine statistische Tatsache, dass sich unser Leben in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten immer weiter verbessern konnte.
Vielleicht haben wir aus dieser stetigen Verbesserung eine überzogene Erwartungshaltung entwickelt, die nun mit den aktuellen Ereignissen kollidiert – denn natürlich kann man nicht behaupten, dass es den Menschen in der Ukraine, im Gazastreifen oder im Iran heute besser geht als noch vor fünf oder zehn Jahren. Für die meisten Länder des Westens gilt das aber nach wie vor. Hier geht es den Menschen besser als gestern, und die Erwartung ist hoch, dass das auch in Zukunft so bleibt. Deshalb versprechen
uns ja alle Politiker auch bei der nächsten Wahl wieder eine strahlende Zukunft – ob die dann aber wirklich kommt, steht auf einem ganz anderen Blatt.


