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RISE OF THE ROGUE STATES – An EARTH WARS story

Mitte Januar brach auf Hawaii die pure Panik aus. Ein offizieller Raketen(angriffs)alarm war ausgelöst worden und die Insulaner befürchteten für etwa 30 Minuten einen Atomwaffenangriff Nordkoreas. Von eben jenem „Schurkenstaat“, der in letzter Zeit immer wieder in den Nachrichten auftaucht, weil US-Präsident Trump Nordkoreas Staatschef beleidigte und dieser natürlich entsprechend (rhetorisch) reagierte. Vor allem Kim Jong-un’s Behauptung, er könne nun endlich jeden beliebigen Ort der USA mit seinen Atomwaffen erreichen, ließ einen Angriff auf Hawaii eher unwahrscheinlich werden. Denn warum ausgerechnet eine isolierte Inselgruppe atomar verwüsten, wenn man dadurch die postwendende totale Vernichtung durch das US-Mutterland zu befürchten hätte? Aber Angst ist nun mal nicht rationell – doch gilt nicht auch das Gleiche für die sogenannten „Schurkenstaaten“, die auf einer immer mal wieder aktualisierten Liste der USA verzeichnet sind? Sind diese Staaten nicht auch völlig gaga?

Mit dem politisch-propagandistischen Schlagwort „Schurkenstaaten“ bezeichnete und bezeichnet die US-Regierung eine wechselnde Gruppe von Staaten, die sich (nach ihrer Auffassung) aggressiv gegenüber anderen Ländern verhalten, die Stabilität weiterer Regionen untergraben und sich zugleich internationalen Verhandlungen verweigern – nüchtern betrachtet sind das alles Vorwürfe, die sich auch die USA (insbesondere derzeit) gefallen lassen müssen.

Und doch hat so eine Liste für die US-Politik große Vorteile – insbesondere die republikanischen Vorgänger des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump wussten nur zu gut: Waren die Umfragewerte im eigenen Land im Keller, bedurfte es eines Feldzugs gegen einen „Schurkenstaat“ – gegen einen äußeren Feind – der möglichst weit von den USA entfernt sein sollte, gleichzeitig aber von der Öffentlichkeit als ernsthafte Bedrohung empfunden wird. Denn so ein äußerer Feind kann eine gespaltene Zivilgesellschaft wieder zusammenschweißen – das hat schließlich schon öfters geklappt: Kaum hatte sich George H. W. (Papa) Bush entschlossen, 1991 in der „Operation Wüstensturm“ den irakischen Diktator Saddam Hussein nach dessen Überfall auf Kuwait militärisch zuzusetzen, schossen seine Umfragewerte in der Heimat wieder in die Höhe…

Zehn Jahre später sollte es George W. Bush seinem Vater gleichtun. 2001 erfolgte sein Angriff auf Afghanistan, und damit ein Krieg, den er wohlweislich als „Krieg gegen den Terror“ und nicht etwa als „Krieg gegen Osama Bin Laden“ bezeichnete – damit gelang es Bush Junior sogar, auch die Europäer mit ins Kriegsboot zu holen. Für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg hatte Bush Senior nur die Schützenhilfe des britischen Premiers Tony Blair gewonnen, doch verschiedene terroristische Anschläge in Europa veranlassten bald auch weitere Regierungschefs der EU, mit den USA Seite an Seite gegen „den Terror“ zu kämpfen.

Und so ist die heutige offizielle „Schurkenstaaten“-Liste der US-Regierung fast zwangsläufig eine Liste von „Staaten, die den Terrorismus unterstützen“. Darüber hinaus wurden und werden auch weitere Staaten, die nicht (mehr) auf dieser Liste stehen, gelegentlich ebenfalls als „Schurkenstaaten“ oder als Kandidaten für eine Auflistung genannt. In ähnlicher Weise wurden und werden von US-Regierungsvertretern auch Formulierungen wie die „Achse des Bösen“ oder „Vorposten der Tyrannei“ verwendet.

Zur Begriffsklärung: Der Begriff „Schurkenstaat“ ist die allgemein übliche deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „rogue state“. Diese Übersetzung vermag den Inhalt des Originals insofern nicht ganz zu transportieren, da „rogue“ nicht nur „Gauner“ oder „Spitzbube“ bedeutet, sondern auch „unberechenbarer und irrational handelnder Einzelgänger“, der „eine schwer einzuschätzende Gefahr für andere“ darstellt.

Ein typisches Erkennungsmerkmal, das einst die Bush-Regierung den Schurkenstaaten gab, ist die Unterstützung des (gegen die USA gerichteten) Terrorismus und das Streben nach Massenvernichtungswaffen, insbesondere Atomwaffen. Da die USA – die als bisher einziges Land Atomwaffen tatsächlich eingesetzt haben – diese tödlichen Waffen nicht exklusiv in ihrem Arsenal besitzen, war es schon immer ihr Bestreben gewesen, zu vermeiden, dass auch andere Staaten über die Abschreckungsmacht dieser Waffen verfügen. Allerdings mit eher geringem Erfolg, denn mittlerweile haben auch Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea eigene Atomwaffen. Doch nur eins dieser Länder steht aktuell auf der US-Liste der „Schurkenstaaten“ – schauen wir uns diese Staaten einmal genauer an.

Der allergrößte „Schurkenstaat“ scheint für die USA Syrien zu sein – dieses Land steht schon seit 1979 (und zwar ununterbrochen) auf der Liste. Seit dem Staatsstreich von 1963 regiert hier die arabisch-sozialistische Baath-Partei das Land (inzwischen nur noch Teile des Landes) diktatorisch. Das störte die USA aber lange Zeit gar nicht weiter, erst Ende der 70er Jahre warf man dem Land verstärkt vor, islamistische Kämpfer in den Irak einzuschleusen und palästinensischen Untergrundkämpfern Unterschlupf zu gewähren. Als dann auch hinter Attentaten auf Politiker im Libanon syrische Agenten vermutet wurden, landete Syrien 1979 auf der Schurkenstaaten-Liste und blieb dort bis heute. Der 2011 auch in Syrien einsetzende „arabische Frühling“ führte zu einem andauernden blutigen Bürgerkrieg, in deren Folge nun der IS etwa die Hälfte des ehemaligen Staatsgebietes kontrolliert. Insofern gehört halb Syrien sicherlich zu Recht auf die Liste – bei der anderen Hälfte könnte man sich streiten, ob Assad nicht vielleicht doch ein demokratisch legitimiertes Staatsoberhaupt ist.

Seit 1984 steht auch der Iran auf der Liste der „Schurkenstaaten“, da dieses Land (aus Sicht der USA) nach der islamischen Revolution von 1979 zum „aktivsten Sponsor des Terrorismus“ geworden sei. Zuvor war der Iran ein Verbündeter der USA im Kalten Krieg, doch danach kam die Hilfe eher aus der damaligen Sowjetunion. Tatsächlich war die besagte islamische Revolution von 1979 die direkte Folge der bis dato maximalen Ausbeutung des Landes durch westliche Ölkonzerne und der Installierung des nicht minder schurkischen Autokraten-Regimes von Schah Mohammed Reza durch die CiA und ihre Helfershelfer. Seitdem gab es viele Jahre lang fast keine direkten Kontakte zwischen den Regierungen und obwohl beiden Staaten von internationalen Beobachtern eine Vielzahl gemeinsamer Interessen zugeschrieben werden, sind schon mehrmals Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen verstrichen. Nicht zuletzt ist die Dämonisierung des Feindes sowohl im Iran als auch in den USA innenpolitisch immer noch recht nützlich. So verwundert es auch nicht weiter, dass US-Präsident Trump den Iran in seiner ersten Rede bei den Vereinten Nationen scharf attackierte: „Die Geißel unseres Planeten ist eine Gruppe von Schurkenstaaten. Wenn die vielen Rechtschaffenen sich nicht den wenigen Gemeinen entgegenstellen, wird das Böse triumphieren.“

Trump bezeichnete den Iran zudem als „wirtschaftlich ausgelaugten Schurkenstaat“, der vor allem Gewalt exportiere – daher könne man dieses mörderische Regime nicht so weitermachen lassen. Und das Abkommen über das iranische Atomprogramm sei sowieso einer der schlechtesten Verträge, die jemals abgeschlossen wurden, obendrein eine Erniedrigung für die USA. Trump erklärte zudem, „sehr bald“ darüber entscheiden zu wollen, ob die USA von diesem Abkommen einseitig zurücktreten. Als Reaktion darauf twitterte der iranische Außenminister Mohamed Dschawad Sarif: „Solche Hassreden gehören ins Mittelalter und nicht ins 21. Jahrhundert!“ Es sei für Teheran zudem unwürdig, auf diese Rede überhaupt einzugehen.

Das dritte Land auf der Liste ist der Sudan – dieses Land steht nach Meinung vieler Analysten nur deshalb auf der Liste, weil Osama bin Laden 1991 in den Sudan floh, nachdem er in Saudi-Arabien zur „persona non grata“ erklärt und gesucht wurde (weil er das Königshaus von Saudi-Arabien öffentlich kritisiert hatte). Auf Druck der USA und Saudi-Arabiens verwies der Sudan Osama bin Laden 1996 des Landes, der daraufhin nach Afghanistan floh. Trotzdem steht nun seit 1993 auch der Sudan auf der US-Liste der „Schurkenstaaten“ – offiziell wirft man dem Land auch die Unterstützung radikaler Palästinenserorganisationen (wie z.B. der Hamas) vor. Trotz des Nachgebens in Sachen Osama bin Laden war und ist der Sudan für die USA weiterhin ein schurkischer Terrorstaat. Und so kam es 1998 (nach den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania) sogar zu einer militärischen „Vergeltungsaktion“ der USA auf eine sudanesische Arzneimittelfabrik, in der eine Giftgasfabrik vermutet wurde. Eine tatsächliche Verstrickung des Sudans in die Bombenanschläge auf die US-Botschaften oder die Produktion von Giftgas konnte bis heute nicht nachgewiesen werden.

Der vierte und derzeit letzte gelistete „Schurkenstaat“ ist nach Auffassung der US-Amerikaner Nordkorea. Das Land wurde schon 1988 als „Terrorstaat“ auf die Liste gesetzt – damals warf man dem Land vor, terroristische Gruppen zu unterstützen und japanischen Terroristen Asyl zu gewähren. Man sah Nordkorea auch direkt in terroristische Angriffe verwickelt (z.B. beim Bombenattentat auf den Korean-Airline-Flug 858 im Jahr 1987), befürchtete aber noch keine atomare Aufrüstung des asiatischen Landes. Als Bush Junior dann aber in seiner Brandrede vom Oktober 2001 auch heftig gegen Nordkorea wetterte (obwohl das Land mit dem 11. September nichts zu tun hatte) und dabei  Kim Jong-il (den damaligen Präsidenten Nordkoreas) als „Pygmäen“ bezeichnete, den man stürzen wolle, nahm Nordkorea diese Drohung wohl durchaus ernst und suchte nach Wegen, sich gegen eine militärische Intervention der USA abzusichern.

Offensichtlich entschied man sich für die atomare Aufrüstung – am 10. Februar 2005 gab Nordkorea dann ganz öffentlich bekannt, nun auch über einsatzfähige Kernwaffen zu verfügen, die man fortan auch testen wolle. Es folgten verschiedene Tests, die von der Weltöffentlichkeit mit großer Besorgnis beobachtet wurden, aber eine Atommacht militärisch anzugreifen, das hat sich bisher noch niemand getraut. Überhaupt hat sich nur ein einziges Land je „getraut“, Atomwaffen tatsächlich einzusetzen – dabei starben über 250.000 Menschen (vor allem Zivilisten). Doch dieses Land stand nie auf der Liste – dieses Land führt die Liste.

Aber zurück nach Nordkorea: Dort war mittlerweile die Entwicklung einer eigenen Atombombe gelungen und so verkündete Nordkorea im Februar 2005 öffentlich, dass man nun auch über einsetzbare Kernwaffen verfüge, die man bald testen werde. Der erste (unterirdische) Kernwaffentest wurde – nach offiziellen nordkoreanischen Angaben – am 9. Oktober durchgeführt und von amerikanischen, südkoreanischen und russischen Seismologen indirekt bestätigt. Trotzdem (oder vielleicht auch gerade deshalb) wurde das Land am 11. Oktober 2008 nach gut 20 Jahren von der Liste der „Schurkenstaaten“ entfernt. Dies geschah gegen die Zusicherung, das nordkoreanische Atom(waffen)programm umgehend zu beenden. Aber was so ein richtiger „Schurkenstaat“ ist, der hält sich natürlich nicht an derartige Zusicherungen und so testete Nordkorea trotz zunehmender internationaler Sanktionen weiterhin seine Atomwaffen – so wie am 25. Mai 2009, als zusätzlich auch mehrere Kurzstreckenraketen abgefeuert wurden, was in der Weltöffentlichkeit große Besorgnis auslöste. Auch ein Ende November 2010 in der New York Times veröffentlichter Bericht beunruhigte die westliche Welt, wonach das nordkoreanische Kernwaffenprogramm viel weiter fortgeschritten sei als bislang angenommen. 2015 berichtete dann das Wall Street Journal, dass Nordkorea nach chinesischen Erkenntnissen derzeit über 20 Atombomben verfüge. Seit 2016 testet Nordkorea nun wohl auch Wasserstoffbomben – das (bislang) letzte Mal am 3. September 2017. Das war unmittelbar vor der Generaldebatte der UN-Vollversammlung, in der auch heftig über Nordkoreas Atommacht-Ambitionen diskutiert wurde. US-Präsident Trump erklärte dabei: „Keine Nation der Welt hat ein Interesse daran, dabei zuzusehen, wie sich diese Bande von Kriminellen mit Raketen und Nuklearwaffen ausrüstet. … Wenn wir gezwungen sind, uns selbst oder unsere Verbündeten zu verteidigen, dann haben wir keine andere Wahl, als Nordkorea total zu zerstören!“

Man erkennt hier, wie fein der Sinn für Diplomatie bei Präsident Trump ausgeprägt ist und so verwundert es auch kaum, dass er Nordkorea am 20. November 2017 wieder ganz offiziell auf die Liste der „Schurkenstaaten“ gesetzt hat. Damit die Welt auch weiß, wer hier „der Gute“ und wer „der Böse“ ist…

Kommen wir nun zu den ehemaligen „Schurkenstaaten“ – also Staaten, die zwar jahrelang auf der US-Liste standen, inzwischen aber davon entkommen konnten. So wie der Irak, der 1979 das erste Mal auf die Liste kam – just in dem Moment, als Saddam Hussein hier die Macht ergriff. Doch die USA merkten schnell, dass man sich mit Saddam arrangieren (und ihn im Krieg gegen den Iran unterstützen) kann und so wurde der Irak 1982 wieder von der Liste gestrichen, damit US-Firmen wieder ganz legal Waffen an den Irak verkaufen konnten. Und das machten sie in Folge auch in einem großen Umfang – obwohl Saddam Hussein in seinem Krieg gegen den Iran schließlich auch Giftgas einsetzte, ebenso wie gegen die eigene Bevölkerung. Aber das alles war den USA offensichtlich nicht schurkisch genug. Erst als Saddam Hussein (im Glauben gelassen, auch für diese Invasion das OK der USA zu haben) im Nachbarland Kuweit einmarschierte und so den Zweiten Golfkrieg auslöste, lieferte er den USA einen „guten“ Grund, selbst militärisch zu intervenieren und den Irak in Folge zu „befreien“. Dazu musste der Irak erstmal wieder ein „Schurkenstaat“ sein und so verwundert es nicht, dass das Land ab 1990 erneut auf der schurkischen Liste landete. Erst 2003 – nachdem die USA den im März des Jahres begonnenen Irak(blitz)krieg geführt und das Land militärisch besetzt hatten – wurde dem Irak mit Bushs „Mission accomplished!“ auch der Schurkenstaat-Status wieder aberkannt. Logisch – schließlich hatte man das Land ja erfolgreich vom „Bösen“ befreit…

Schon lange kein „Schurkenstaat“ mehr ist der Südjemen, den es so heute gar nicht mehr gibt. Das Land kam 1979 auf die Liste, als sich hier mit dem Südjemen (auch „Demokratische Volksrepublik Jemen“ genannt) aus der vormaligen britischen Kolonialherrschaft heraus ein Staat gebildet hatte, der einen „wissenschaftlichen Sozialismus“ praktizieren wollte und daraufhin vom „Ostblock“ unterstützt wurde. Das reichte in den Zeiten des Kalten Krieges offensichtlich schon aus, um von den USA als „Schurkenstaat“ abgestempelt zu werden, denn mehr als ein paar Grenzstreitigkeiten mit dem Nordjemen hat sich der Südjemen damals nicht zuschulden kommen lassen. Ähnlich wie in der DDR ging das Experiment jedoch gründlich schief und mit der Wiedervereinigung (mit der Jemenitischen Arabischen Republik) im Jahr 1990 verabschiedete sich der Jemen nicht nur von der Idee des Sozialismus, sondern auch von der US-Liste der „Schurkenstaaten“.

Ebenfalls 1979 landete Libyen wegen „seiner Unterstützung des internationalen Terrors“ auf der Liste der USA. Nach einem unblutigen Militärputsch kam hier 1969 „Revolutionsführer“ Gaddafi an die Macht und versuchte fortan, auch andere Regierungen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Israel und den USA zu bewegen, was ihm in den 80er Jahren teilweise auch gelang. Nach der Versenkung zweier libyscher Kriegsschiffe durch die US-Marine im März 1986 mit 35 libyschen Opfern und dem im April 1986 (im Gegenzug von libyscher Seite) organisierten Bombenanschlag auf die vor allem von US-amerikanischen Soldaten frequentierte Westberliner Disko „La Belle“ mit 3 Toten, bombardierte die US-amerikanische Luftwaffe in der Nacht vom 14. zum 15. April 1986 die beiden größten libyschen Städte Tripolis und Benghasi. Auch wenn man Menschenleben nicht einfach gegeneinander aufrechnen kann – wenn man sich das Verhältnis von 3 Toten auf US-Seite und 105 Toten auf Seite der Libyer anschaut, kann man sich schon fragen, wer hier eigentlich der größere Schurke ist. Vermutlich immer der Schwächere, weil der Stärkere nun mal die Deutungshoheit besitzt – das schien auch Muammar al-Gaddafi einzusehen, als er sich offiziell vom Terror distanzierte und Ende 2003 die Zerstörung seiner Massenvernichtungswaffen verkündete. Am 10. März 2004 unterzeichnete auch Libyen den Atomwaffensperrvertrag und räumte damit der Internationalen Atomenergie-Organisation umfassende Kontrollmöglichkeiten der Nuklearanlagen des Landes ein, woraufhin die USA und andere westliche Länder wieder diplomatische Beziehungen zu Libyen aufnahmen. So wurde Libyen 2006 von der Liste der „Schurkenstaaten“ gestrichen.

Kuba, der „Brückenkopf des Ostblocks“ (geopolitisch vor der eigenen Haustür), war den USA spätestens seit ihrer missglückten Invasion in der Schweinebucht ein dauerhafter Dorn im Auge – wurde er doch von der damaligen Sowjetunion unterstützt, ebenso wie vom Rest der ehemaligen Staaten des Ostblocks. Der sowjetische Versuch einer Stationierung von Atomwaffen auf der Insel hatte 1962 zu der Kubakrise geführt, die fast in einem Atomkrieg mündete. Auf die Liste der „Schurkenstaaten“ kam Kuba aber erst 20 Jahre später – 1982 setzte Ronald Reagan Kuba auf die Liste, da man dem karibischen Inselstaat (wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht) die Unterstützung zahlreicher revolutionärer/terroristischer Bewegungen (wie z.B. der baskischen ETA) zur Zeit des Kalten Krieges unterstellte. Aber erst im Bericht von 2013 – also 24 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bzw. des Ostblocks – wurde positiv vermerkt, dass solche Unterstützungen merklich schwächer geworden seien und Kuba zudem Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Kolumbiens und der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC unterstützt und hier sogar als Vermittler operiert. Ende Mai 2015 wurde Kuba schließlich (im Zuge der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Kuba) von der Liste gestrichen.

Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems und der Auflösung der Sowjetunion war der Kalte Krieg zu Ende gegangen – die USA und ihre Verbündeten haben ihn gewonnen und waren davon selbst ganz überrascht. Vorübergehend erkoren die Washingtoner Haudegen nun den internationalen Drogenhandel zum neuen internationalen Hauptfeind und schickten ihre Truppen nach Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien – meist mit dem Auftrag, dort Coca-Felder abzubrennen und Drogenbaronen in Cali, Medellín, Santa Cruz, Tijuana oder Guadalajara das Handwerk zu legen. Das geschah allerdings mit nur geringem Erfolg, auch wenn man einige Drahtzieher wie Pablo Escobar erwischte. Doch dann trat mit dem 11. September 2001 eben jenes „katalytische Ereignis“ ein, auf das die USA gewartet zu haben schienen – fortan konnte die US-Regierung (zusammen mit der NATO und anderen) weltweit ihren „Krieg gegen den Terror“ führen, der sich derzeit überwiegend gegen die sogenannten „Islamisten“ richtet. Durch mehrere hundert völkerrechtswidrige Drohnenangriffe der USA wurden dabei schon mehrere hundert unschuldige Zivilisten (vor allem in Pakistan, Afghanistan und im Jemen) getötet. Und so wie Franklin D. Roosevelt einst den feinen Unterschied zwischen „Hurensöhnen“ im Allgemeinen und „unseren Hurensöhnen“ hervorhob, so unterscheiden die USA auch heute zwischen Islamisten und „unseren Islamisten“. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch, dass die Taliban in Afghanistan oder das IS-Kalifat nie auf der Liste standen, da die USA die Taliban nie als legitime Regierung eines Landes anerkannten.

Merke: Um verachtet zu werden, muss man schon anerkannt sein.

Welche Länder man nun tatsächlich als „Schurkenstaaten“ bezeichnen kann, liegt ganz im Auge des Betrachters. Noam Chomsky (seit den 60er Jahren einer der bekanntesten intellektuellen Kritiker der US-amerikanischen Geopolitik) verwendete das Schlagwort einmal in einem ganz anderen Kontext und bezogen auf eine ganz andere Region:

“Es gibt zwei Staaten, die im Nahen Osten Unheil anrichten, die ständig Aggressionen, Gewalt, terroristische und illegale Handlungen ausüben. Beide sind große Atomwaffen-Staaten mit riesigen Nuklearwaffenarsenalen und über ihre Atomwaffen wird nicht diskutiert: Die USA und Israel. Es gibt einen Grund dafür, warum in internationalen Umfragen die Vereinigten Staaten von einer überwältigenden Mehrheit als die größte Bedrohung für den Weltfrieden angesehen werden – kein anderes Land kommt dem nahe. Es ist schon interessant, dass sich US-Medien weigern, das zu veröffentlichen – aber es bleibt ein Fakt. … Der Iran hat z.B. sehr geringe Militärausgaben, selbst nach den Maßstäben der Region, ganz zu schweigen von den Vereinigten Staaten. Die strategische Doktrin des Iran ist rein defensiv und darauf ausgelegt, einen Angriff so lange abzuwehren, bis die Diplomatie greift. Doch die Vereinigten Staaten und Israel – diese beiden Schurkenstaaten – wollen diese Abschreckung nicht tolerieren. Kein strategischer Analyst mit ein bisschen Hirn glaubt, dass der Iran jemals eine Atomwaffe einsetzen würde. Denn wenn sie dazu bereit wären, würde man ihr Land einfach verdampfen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die herrschenden Kleriker – was immer man auch über sie denkt – alles zerstören wollen, was sie haben.”

Das Gleiche kann man sicherlich auch über Kim Jong-un und andere Diktatoren sagen. Aber sind die USA tatsächlich selbst ein „Schurkenstaat“, nur weil sie sich z.B. bis heute weigern, internationale Verträge wie das „Abkommen gegen Folter und andere grausame, inhumane und entwürdigende Behandlung oder Bestrafung“ zu unterschreiben und weltweit illegal Menschen foltern bzw. per Knopfdruck aus der Ferne (oder manchmal auch noch persönlich) töten? Weil sie schon lange ihre geopolitischen Interessen weltweit durchsetzen und gleichzeitig anderen Staaten derartige Ambitionen am liebsten verbieten?

Klar, da möchte man am liebsten JA sagen – aber kann man wirklich ein ganzes Land auf so ein Schlagwort reduzieren und damit all das Gute und Fortschrittliche ausblenden, was es in diesem oder jenem vermeintlich schurkischen Land (auch) zu entdecken gibt?

Wir sagen NEIN und machen bei dieser Schwarz-Weiß-Malerei einfach nicht mit.