Geringe-Menge-(01)

Die Geringe-Menge-Lüge – Ein Unrechtsurteil wird 20

Am 9. März dieses Jahres jährt sich der berühmt gewordene „Cannabisbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichtes zum 20. Mal. Aus diesem Anlass informiert das Hanf Museum Berlin in einer Sonderausstellung über die gesellschaftliche sowie juristische Diskussion und den Mythos von „Ein bisschen Gras ist doch erlaubt.“

Als am 17. April 1990 eine Frau die Justizvollzugsanstalt Lübeck betrat, um ihren wegen eines vermeintlichen BtM-Delikts in U-Haft sitzenden Ehemann zu besuchen, konnte keiner der Beteiligten ahnen, dass das Folgende deutsche Rechtsgeschichte schreiben würde. Wie dies in deutschen Knästen unzählige Male vorkommt, umarmte die Angeklagte ihren Ehemann bei der Begrüßung. Leider bemerkte ein Justizbeamter, dass sie ihm dabei ein Briefchen mit 1,12 Gramm Haschisch übergab. Das vom Amtsgericht Lübeck wenig später in diesem Fall gesprochene Urteil – Freiheitsstrafe von zwei Monaten – schien nicht nur dem Verteidiger, sondern auch der Folgeinstanz, dem Landgericht Lübeck, besonders hart. Der zuständige Richter am Landgericht, Wolfgang Nešković, sah sich an der Ausübung der einschlägigen Gesetze (§ 29f. BtMG) gehindert, weil die Vorschriften bezogen auf Cannabis verfassungswidrig seien. Seiner Meinung nach verstoße die Aufnahme der Cannabisprodukte in die Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil dort Alkohol und Nikotin nicht aufgeführt seien. Dergestalt am urteilen gehindert, übergab Nešković den Fall und seine „abweichende Rechtsauffassung“ dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung.

Schnell schlossen sich weitere mutige Richter und Richterinnen mit ihren insgesamt sieben Fällen an, und die Sache bekam politisch-mediales Gewicht. Das Verfahren passte aber auch sehr gut in den Zeitgeist. Die Neunziger Jahre hatten eine bis dahin für unmöglich gehaltene Hanfeuphorie erlebt. So mancher „Freak“ sah mit der bevorstehenden Wiederzulassung des Nutzhanfanbaus die vollständige Legalisierung der Pflanze in greifbare Nähe gerückt. Mit Von Hanf ist die Rede und Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf waren zwei Bücher auf Deutsch erschienen, die noch heute zu den Standardwerken zählen und manchen vom Weltenretter Cannabis träumen ließen. Beinahe wöchentlich öffnete irgendwo im frisch vereinigten Deutschland ein Headshop und beschleunigte dank damals noch völlig legalen Samenhandels die erste Eigenanbauwelle der bundesrepublikanischen Geschichte. Die Zeit war reif für eine ergebnisoffene Debatte.

Leider war das Bundesverfassungsgericht dies nicht. In seiner am 9. März 1994 verkündeten Entscheidung wiesen die höchsten deutschen Richter die Lübecker Vorlage zurück und bestätigten die Gültigkeit des Betäubungsmittelgesetzes. Bereits der Vergleich von Cannabis mit den legalen Rauschmitteln Alkohol und Tabak sei unzulässig.