Innere-Welten-(01)

Sicher die inneren Welten bereisen – ein Reiseführer

Das Rüstzeug des Psychonauten

 

„Um es ganz einfach zu sagen, wenn wir das psychedelische Modell 

ernst nähmen, wären wir gezwungen, unsere Leben vollständig zu ändern. 

Es fällt schwer, sich etwas revolutionäreres, und somit (von der 

konventionellen Warte aus) gefährlicheres und unterdrückenswerteres vorzustellen.“

Jim DeKorne, Psychedelischer Neo-Schamanismus

„Der psychedelisch Reisende [kann] das kollektive evolutionäre 

Bewusstsein von Millionen von Jahren der Vergangenheit und 

einer unendlichen Zukunft erschließen und erfahren.“

D.M. Turner, Der psychedelische Reiseführer

Wenn wir in den Urlaub fahren, bereiten wir uns am besten gut vor und machen uns auf einiges gefasst. Womöglich bereisen wir Gegenden, die wir nie gesehen haben, in denen Menschen leben, deren Kultur eine völlig andere ist als die unsere. Wir müssen uns darauf einstellen, es mit einer fremden Sprache zu tun zu haben, mit fremden Sitten und vielleicht gar mit andersartigen Moralvorstellungen und religiösen Überzeugungen. Bevor wir in den Urlaub starten, müssen wir uns die notwendige Zeit dafür nehmen, bei guter Gesundheit sein, die entsprechende Laune mitbringen, genügend Geld auf dem Konto und auch im Portemonnaie haben, die Flüge oder Fahrten müssen gebucht, die Unterkünfte reserviert werden. Alles vollkommen normale Vorbereitungen, die wir tätigen, um anschließend eine erholsame Urlaubszeit mit maximaler Chance auf Rekreation genießen zu dürfen. So etwa sieht die Planung einer Reise in der äußeren Welt aus, und nicht anders verhält es sich mit den Reisen, die der Psychonaut in den inneren Weltenraum des Geistes unternimmt. Niemand bzw. wahrscheinlich die allerwenigsten würden auf die Idee kommen, einfach spontan und aus einer Lust oder Laune heraus, jetzt sofort ins Auto zu steigen und ohne jede Vorbereitung in ein fremdes Land zu fahren. Und genauso sollte auch mit psychoaktiven Molekülen umgegangen werden, die unseren Geist in andere Gefilde katapultieren. Wie man sich am besten vorbereitet und was es alles zu beachten gilt, schauen wir uns jetzt einmal an.

Demut

Als ich den Kollegen und Ethnopharmakologen Christian Rätsch im Rahmen eines Interviews einmal fragte, was seiner Ansicht nach das wichtigste Rüstzeug des Psychonauten ist, antwortete er: „Die Demut. Die Demut vor der Natur.“ Und damit sind wir bereits dabei, unsere psychedelische Reisetasche zu füllen. Wer psychoaktiven Substanzen mit Gleichgültigkeit, Überheblichkeit oder falscher Lässigkeit begegnet, der ist für die Reise in den inneren Weltraum nicht gut gewappnet. Fehlende Demut vor der Natur und der Natur des Geistes, mangelnde Demut vor dem Mysterium des Lebens und ebenso fehlende Demut gegenüber dem Neurotransmitter, dem Mittler zwischen den Welten und Geisteszuständen, kann für den Reisenden in katastrophalen psychischen Verstrickungen enden, derer er sich nicht allein erwehren kann, und die er möglicherweise während der psychedelischen Sitzung nicht einmal seinen Mitreisenden zu vermitteln in der Lage ist. Machtvolle Entheogene, wie zum Beispiel die Tryptamin- und Phenethylaminhalluzinogene, sind im Grunde nicht geeignet, lapidar und nebenher „eingeschmissen“ zu werden. Die Folgen können nämlich für den Unbedarften ganz besonders unschön werden: Verwirrtheitszustände, Angst, Paranoia und psychotische Anwandlungen können aus die unreflektierte Zufuhr von Psychedelika resultieren.

Gute Gesundheit

Der Psychonaut sollte vor Antritt einer Reise bei guter Gesundheit sein. Sowohl physisch wie auch psychisch. Es ist nicht besonders sinnvoll, sich mit einem akuten Fieberschub auf einen psychedelischen Trip einzulassen – es sei denn, man ist Profi und weiß genau, was man tut, und hat ein klar definiertes Ziel vor Augen. Auch mit Herz-Kreislauf-Beschwerden, Organerkrankungen und anderen schwerwiegenden körperlichen Gebrechen sollte man sich am besten nicht auf einen psychoaktiven Trip begeben. Das Gleiche gilt für psychische Erkrankungen. Neigt ein Mensch dazu, rasch eine Psychose auszubilden, oder hat er anderweitige Probleme geistiger Natur, so sollte eine psychedelische Reise allenfalls in Begleitung eines erfahrenen Schamanen, Therapeuten oder Heilers geschehen. Wenn überhaupt. Der Alleingang des Laien muss zwar nicht, kann aber schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.

Bildung

Eine der wichtigsten Faustregeln des Psychonauten: Wisse, was du tust. Unwissenheit, Ignoranz und Naivität sind die denkbar schlechtesten Begleiter der psychonautischen Sitzung. Drogenwissen, Drogenkompetenz und auch Genusskompetenz sind Schlagworte, die nicht nur als Parolen verstanden, sondern so gut als möglich beherzt werden sollten. Hier schließt sich nur ein weiteres Mal der Kreis, den wir zu Anfang des Artikels mit unserer imaginären Urlaubsreise eröffnet haben. Die Vorbereitung ist das A und O der psychedelischen Erfahrung. Niemand würde auf die Idee kommen, sich in das Cockpit eines Flugzeugs zu setzen, die Maschine zu starten und ohne jede Kenntnis von Technik, Handwerk und Gepflogenheiten der Fliegerei in den Himmel abzuheben. Wieso sollte ich mich als (angehender) Psychonaut also völlig unbedarft an Moleküle wagen, deren Vehikel, Geschwindigkeit und Ziel (bezogen auf die Analogie zum Flugzeug und Urlaub) ich nicht einschätzen kann? Wer beispielsweise DMT nimmt, sollte nicht erwarten, dass die Wirkung der eines Glas Weins ähnelt. Ein Minimum an Bildung ist stets notwendige Voraussetzung für einen potenziell gelungenen psychedelischen Trip.

Das Mentoren-Modell

In aller Regel ist es keine besonders gute Idee, sich als Anfänger allein auf eine psychedelische Erfahrung einzulassen. Vielmehr sollte die wärmste Empfehlung beherzigt werden, sich einen (möglichst psychedelisch erfahrenen) Begleiter, Trip-Sitter und Mentor dazu zu holen, der die Sitzung überwacht, auf den Reisenden aufpasst und für die notwendige Ruhe und Ungestörtheit sorgt. Er wimmelt den Postboten ab, versorgt den Psychonauten mit frischen Getränken und leichten Snacks, beruhigt und interveniert, wenn es nötig ist, und sorgt überhaupt dafür, dass Umgebung und äußere Reize den benötigten Voraussetzungen entsprechen. Damit gelangen wir automatisch zum nächsten Punkt auf unserer Liste:

Dosis, Set und Setting

Das Modell von Dosis, Set und Setting sollte vom Psychonauten unbedingt verinnerlicht werden. Es ist von Essenz, die korrekte Dosierung unserer „Reisekräuter“ zu kennen und diese für den Trip auch auszuwählen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die eigene Erwartungshaltung sowie die aktuelle psychische und physische Befindlichkeit. Diese Punkte fassen wir unter dem Stichwort Set zusammen. Der Psychonaut sollte kurz vor dem Start der psychischen Rakete frei von Sorgen, Nöten und Ängsten sein, sich auf die kommende Erfahrung einstimmen und auch sonst einfach gut drauf sein, um anschließend auch gut drauf sein zu können. Kommen wir damit zum Setting, also auf die Umgebung, die ja in aller Regel auch einen immensen Einfluss auf das Set hat: Das Setting sollte angenehm, ästhetisch ansprechend und passend gestaltet sein. So ist es zum Beispiel deutlich schöner, in einer aufgeräumten und ordentlichen Szenerie mit glitzernden Lichtern, feinen Düften und frischen Farben zu sitzen als in einem Chaos aus Abfällen, Staub und herumliegenden Gegenständen. Das Telefon, die Klingel und andere Störquellen sollten vor Antritt der Reise abgeschaltet werden, damit die meditative Stimmung nicht auf dem Höhepunkt von alltäglichen Marginalien durchbrochen wird. Nichts ist schlimmer, als zum Beispiel auf dem Peak einer LSD-Erfahrung dem Vermieter erklären zu müssen, wieso der Rasen nicht wie vereinbart gemäht wurde. Derartige Störungen kann man vermittels der richtigen Vorbereitungen bereits im Voraus unterbinden. Unterm Strich heißt das: Alle inneren und äußeren Voraussetzungen sollten stimmen und der Reise entsprechend angemessen sein.

Kulturgüter

Eigentlich zum Punkt Set und Setting gehörend, kann es von erheblicher Bedeutung sein, für den psychedelischen Trip die passende Musik und visuelle Begleitung auszuwählen. Gemütlich dekorierte Räume oder „Freiräume“, anheimelndes Interieur und eine kuschelige Umgebung sind die besten äußerlichen Garanten für einen umfassenden Wohlgenuss der Reise. Zur Substanz bzw. deren Wirkungen passende musikalische Untermalung kann die Innenweltreise sogar maßgeblich steuern helfen und in eine bestimmte Richtung führen – genauso wie olfaktorische Reize, wie zum Beispiel der Duft von ausgewähltem Räucherwerk.

Rechtliches

Um möglichst keine innere Unruhe aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich grundsätzlich und idealerweise, Drogen nur an solchen Orten zu nehmen, an denen die jeweilige Substanz nicht der politischen Illegalisierung zum Opfer gefallen ist. Unschön, ein Molekül zu schlucken, wenn im nächsten Moment der strenge Blick des Wachtmeisters auf uns gerichtet und die Faust des Gesetzes zuzuschlagen bereit ist. Natürlich, und das wissen wir, ist es nicht gerade einfach, einen Ort auf diesem Erdenrund zu finden, an dem man in Ruhe und im Schutze der Legalität LSD, DMT, MDMA oder 2C-B zu sich nehmen kann. Aber auch hier gilt das weiter oben bereits bemühte Credo der Psychonauten: Wisse, was du tust, und wisse, wie es sich verhält. Und so ist es schlichtweg ein Faktum, dass zum Beispiel in Deutschland zwar der Besitz, die Herstellung und die Weitergabe vieler Psychoaktiva verboten sind, nicht jedoch der Konsum an sich. Genau aus diesem Grund ist es uns überhaupt möglich, uns über psychoaktive Erfahrungen auszutauschen, ohne Gefahr zu laufen, uns strafbar zu machen.

Der Bad Trip

Der erfahrene Psychonaut weiß, dass eine psychedelische Reise nicht immer nur in ekstatischen Gefilden ihr Ziel findet. Der erfahrene Psychonaut weiß um die Möglichkeit des sogenannten Bad Trips. Das ist eine Erfahrung, die zuweilen in psychische Abgründe führen kann, mit denen der Innenweltreisende sich unter Umständen konfrontiert sieht. Bad Trips sind nicht gleich Bad Trips. Mancher bezeichnet bereits eine kleine Stimmungsschwankung als solchen, andere empfinden die Sterbens- und Wiedergeburtserlebnisse potenter Psychedelika (wie zum Beispiel N,N- und 5-MeO-DMT) als furchtbaren Bad Trip. Eigentlich ist der Bad Trip meistens das Ergebnis der nicht suffizient vorbereiteten Reise. Wer alle Tipps dieses Reiseführers beherzigt, sollte im Großen und Ganzen vor einem echten Bad Trip gefeit sein. Solche Negativerfahrungen resultieren meist aus Unwissenheit oder einer falschen Erwartungshaltung, aus Momenten des Affekts, wenn beispielsweise auf dem Höhepunkt der Psychedelikawirkung der Vermieter oder Arbeitgeber vor der Haustür steht (siehe „Dosis, Set und Setting“) oder in Situationen, in denen den Reisenden das Gefühl beschleicht, die Kontrolle zu verlieren. Wisse, Psychonaut, dass der Kontrollverlust häufig Teil der psychedelischen Erfahrung und man entsprechend gut beraten ist, diesen als gegeben hinzunehmen. Um den Kreis zu schließen, siehe den Punkt „Bildung“. Darüber hinaus gehört der Bad Trip als Teil der Erfahrung durchaus dazu, wenn er denn in den Prozess der durch die Psychedelika induzierten Erkenntnisgewinnung sinnbringend einbezogen wird. Der erfahrene Psychonaut weiß, dass unsere Welt eine polare ist. Zum Licht gehört stets auch das Dunkel, zum Regen die Sonne und zum Angenehmen das Unangenehme. Wie alles in unserem Universum bewegt sich auch unsere ureigene Befindlichkeit in wellenförmigen Mustern. Alles bewegt sich auf und wieder ab, auf und wieder abwärts. Es ist ein dauerndes Wechselspiel – so auch bei der psychedelischen Erfahrung. Diese auch als negativ erlebten Momente in den Alltag und ins normale Leben integrieren zu können, ist die hohe Kunst der Psychonautik.

Hedonismus vs. Ritual?

Eine Frage, die oft erörtert werden soll, obwohl sie eigentlich nicht besonders wichtig ist. Solange die Motivation eine reine und ehrliche ist, spielt es keine Rolle, ob ein Psychonaut eine Substanz aus hedonistischen Gründen, also aus reinen Genussgründen, in seiner Freizeit konsumiert, oder ob er seine psychedelische Reise in einen rituellen Rahmen eingebettet und ausgerüstet mit einer expliziten Fragestellung antritt. Ein Beispiel? Die MDMA-Erfahrung im Setting einer Party kann ebenso tiefgreifende Erfahrungen manifestieren wie die MDMA-Reise im schamanischen Kontext, zum Beispiel im Rahmen eines Kreisrituals. Letztlich kommt es in der Psychedelik immer auf die Geisteshaltung an. Es kann genauso sinnbringend sein, vor dem Theaterbesuch eine kleine Dosis LSD zu nehmen, wie es für manchen gut ist, das Psychedelikum höher dosiert für eine psychotherapeutische Behandlung einzusetzen. Der hedonistische Gebrauch kann dabei genauso in ein Ritual eingebettet sein, wie der rituelle Gebrauch auch sinnentleert praktiziert werden kann. Wir wiederholen und merken uns: Es kommt schlicht und ergreifend auf die jeweilige Geisteshaltung an, ob eine psychedelische Erfahrung sinnbringend oder nutzlos ist.