„Wir wollen ein WOW-Erlebnis kreieren, an das sich alle Teilnehmer noch lange erinnern. Wir wollen gemeinsam die Welt verändern“. Mit diesen Worten legte Alex Rogers, Gründer und Gesicht der International Cannabis Business Conference (ICBC), in einem Interview in unserer letzten Ausgabe die Messlatte für das Event sehr hoch. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Dieses Ziel wurde mit der ICBC (10. bis 12. April in Berlin) durchaus erreicht.
Bereits beim Aufbau der Stände am Vorabend der Konferenz konnte man erahnen, dass hier irgendetwas anders ist und dass es sich bei der ICBC um keine klassische Hanfmesse handelt. Es herrschte eine umtriebige und geschäftstüchtige Atmosphäre, die sich jedoch stets auf einem unaufdringlichen und sympathischen Level bewegte – man hatte den Eindruck, dass wirklich alle gemeinsam an etwas Großem arbeiten.
Zwar gab es im ersten Stock des Berliner Maritim Hotels in der Friedrichstraße auch einen Bereich, der die Grundzüge einer Messe erfüllte, doch waren die Stände inhaltlich weit weg von dem, was man sonst so kennt. Viele noch nie zuvor auf deutschem Boden gesehene Anbieter aus Kanada und den USA offerierten hier ihre Produkte und Dienstleistungen, die vorwiegend den Bereich des medizinischen Cannabis abdeckten: Extraktions-Technik, Healthcare-Distribution, Anwälte, Unternehmensberater, legale Hanfproduzenten, Importeure und Exporteure.
Der VIP-Empfang zur Eröffnung der ICBC war gut besucht, doch für ein Netzwerk-Event mit Kennenlern-Anspruch meinte es der DJ vielleicht etwas zu gut – es war schlichtweg zu laut, um lockere „Und, was machst du so?“–Gespräche zu führen. Die Häppchen im Berlin-Style mit Mini-Bouletten und einem Klecks Kartoffelsalat waren ortstypisch gewählt und bald zog auch ein dezenter aber deutlicher (Medizinalhanf)Geruch durch das Hotel. Gegen 23:30 zerstreute sich die Menge, denn alle wußten: Da kommen noch zwei anstrengende Tage.
Am Dienstag ging es schon um 8:45 Uhr mit der Eröffnungsrede los – also zu einer Uhrzeit, an der man schon erkennen konnte, dass es sich hier um ein geschäftlich orientiertes Publikum handelte. Beinahe pünktlich begrüßte Veranstalter Alex Rogers die ca. 200 Frühaufsteher mit den Worten: „Berlin – make some noooiiise!“.
Und Berlin machte noise. Aus 32 Ländern gab es Registrierungen für die Konferenz: Australien, USA, Kanada, Israel, Kroatien und natürlich die deutschsprachigen Nachbarn. Alex fand alles „beautiful“: Die Location, die er vor eineinhalb Jahren gebucht hatte, als ihn alle für verrückt erklärten, dieses Wagnis beim damaligen politischen Stand in Deutschland einzugehen. Die „people“, die sich hier eingefunden hatten – und die im Lauf seiner Ansprache auch immer zahlreicher wurden. Das Wetter. Der Plan. Das Ziel. Das Ziel war ja, die Welt zu verändern. Wir „beautiful people“ können hier und heute die Welt verändern. Wir können uns gemeinsam gegen den „war on drugs“ stellen und zeigen, dass dies der falsche Weg ist. Und, ach ja, bloß nicht vergessen: „Make some noise!“ So überschwänglich, wie das vielleicht klingen mag, so bedeutend fühlte es sich fast an – und alle Anwesenden schienen es zu spüren.
Aufgeputscht von der motivierenden Eröffnungsrede kam dann leider doch recht schnell die relativierende Ernüchterung in Form der ersten Rednerin Dr. Eva Milz. Zwar wurde die Cannabispatienten-erfahrene Ärztin erst kurzfristig ins Programm genommen und referierte inhaltlich auch ziemlich stark, doch leider trug sie ihre Berichte nach dem Schema „Die Patienten kommen zu mir und erzählen mir…“ recht ungeordnet und willkürlich vor.
Für das überwiegend internationale Publikum wurden alle Vorträge in englischer Sprache gehalten, doch per „Stöpsel im Ohr“ konnte man das komplette Programm, das von zwei Simultan-Dolmetschern hervorragend übersetzt wurde, auch ohne Englischkenntnisse prima verfolgen.
Der restliche Vormittag stand zunächst voll und ganz im Zeichen der Neuregulierung des Marktes für medizinisches Cannabis in Deutschland: Die Regeln für Produzenten, Apotheken und Patienten, Testverfahren und Standardisierung und schließlich der Vortrag von Dr. Franjo Grotenhermen.
Ebenfalls spannend präsentierte sich das Panel über Extraktion und Konzentrate. Hier wurden die modernsten, saubersten und effizientesten Methoden zur Herstellung sowie verschiedene Anwendungsmöglichkeiten von Extrakten vorgestellt, insbesondere die Extraktion mit dem CO2-Verfahren, der Kohlenwasserstoff-Methode und dem Destillationsverfahren.
Zum Abschluss des ersten Konferenztages kam eine Legende zu Wort: Tommy Chong, Schauspieler, Aktivist und mittlerweile auch Geschäftsmann wurde live auf der Bühne interviewt und stand anschließend dem Publikum für Fragen und Autogramme bereitwillig und ausführlich zur Verfügung.
Auch während der Vorträge war der Messebereich stets gut gefüllt. Die Kontaktfreudigkeit der Besucher war groß, man kam schnell ins Gespräch und ohne Umschweife wurde das Thema auf den Kern der Sache gelenkt: Business. Making Money. Insofern machte die Business-Konferenz ihrem Namen alle Ehre, der Rahmen stimmte und verhungern musste auch niemand – Snacks und Drinks waren durchgehend vorhanden, ganz nach dem Motto: We care for you.
Grundsätzlich wurde auf der ICBC die Geselligkeit groß geschrieben: Am zweiten Abend wurde zu einer exklusiven After-Party in den Berliner Szene-Club „Gretchen“ eingeladen – hier performte u.a. auch die HipHop-Legende KRS-One exklusiv vor ca. 300 ICBC-Teilnehmern. Das „Care Paket“ für die Party umfasste einen Shuttle Bus, eine Bar voller Cocktails, Essen und natürlich jede Menge „Smoke“. Bis in die frühen Morgenstunden wurde gefeiert – das machte sich dann auch am Mittwochmorgen bemerkbar, als nicht mehr ganz so viele Teilnehmer wie am Morgen des Vortages zusammenkamen, um die erste Rede des Tages zu hören.
Angekündigt war eigentlich „nur“ die Eröffnungsrede des US-Kongressabgeordneten Dana Rohrabacher, dem großer Einfluss auf die Cannabis-Reform in den USA zugesprochen wird.
Doch bevor der „Headliner“ Rohrabacher die Bühne betrat, pinselten ihm sage und schreibe drei „Vorbands“ (Veranstalter, Co-Veranstalter und ein Mitstreiter Rohrabachers) den Bauch und statteten den Abgeordneten mit einer ordentlichen Portion Vorschuss-Lorbeeren aus. Rohrabacher selbst, seines Zeichens Republikaner, Trump-Befürworter und Freund der rechtspopulistischen Breitbart-News, glänzte in seiner Rede in erster Linie durch emotionales Storytelling im US-Style: Die Kette im Hudson River, die seine Urahnen gegen die Briten installiert hatten und damit die amerikanische Unabhängigkeit retteten. Die Haie und Krokodile im Pool, in den er bei seinem Kampf für Cannabis sinnbildlich geschubst wurde. Sein erster Kontakt mit US-Präsident Reagan, als er in dessen Vorgarten campte und Ronald ihn just in dem Moment, als Nancy ihn wegschicken wollte, zurückpfiff. Doch die Krönung war die Kriegsgeschichte über seine drei Söhne, die sich direkt nach 9/11 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatten und von denen zwei wohlbehalten zurückkamen – einer jedoch vor Schmerzen zuckend am Boden lag, bis schließlich ein Arzt verkündete: „Gebt diesem Mann Cannabis!“ – und seit dem Moment hatte er nie wieder Schmerzen.
Praise the Lord.
Praise America.
Und dann präsentierte Rohrabacher ein Basecap mit dem Aufdruck „Make Marihuana great again“. Noch Fragen?
Traurig aber wahr: Wahrscheinlich ist Dana Rohrabacher trotz seiner (ultra)rechten Gesinnung, aus der er auch gar keinen Hehl machte, die am ehesten respektierte Version eines politischen Befürworters der Hanflegalisierung in den USA.
Apropos USA: Im „Marketing-Panel“ zur Zielgruppenfindung und Markenbildung wurde dann endgültig klar, worum es auf der ICBC im Grunde geht: Amerikanische Marken passen ihre Produkte und PR-Maßnahmen auf die Regionen an, die sie nun dank ihres Vorsprungs in Sachen Technik und Erfahrung erobern. Strategisch und taktisch rollt die US-Marketingmaschine über den neu zu erschliessenden europäischen Markt und hinterlässt die Botschaft: Wer mitmachen will, darf gerne mit uns kooperieren. Wer nicht – der eben nicht.
Doch kann man das überhaupt als Vorwurf formulieren? Dr. Ognjen Brborovic, Präsident der Cannabis-Kommission im kroatischen Ministerium für Gesundheit, bringt das, was wir schon während der Messe diskutierten, treffend auf den Punkt: „Hier – in eurem Land und vor allem auf dieser Messe – passiert sehr viel, aber keiner merkt, dass etwas passiert. Das ist typisch deutsch. Man stürzt sich nicht unvorbereitet auf etwas Neues, man lässt es erstmal kommen und jammert dann hinterher, dass man zu langsam war und andere den Kuchen bereits verteilt haben.“
Weitere Bestätigungen für diese Vermutungen lieferte das Panel „Eine Lobby für Cannabis“, das sich mit der sich verändernden weltweiten Cannabis-Politik vor dem Hintergrund von mittlerweile 50 Jahren Aktivismus beschäftigte. Die Kern-Botschaft: „Cannabis-Aktivismus ist nicht nur ein richtiges und wichtiges Signal, sondern Grundlage für einen erfolgreichen Einstieg ins Geschäftsleben.“
Im Klartext: Aktivismus ist gut und schön – aber man verdient kein Geld damit…
Rein rationell muss man sicherlich beide Seiten der Medaille genau betrachten: Ist es wirklich so schlimm, die technologische Entwicklung und die Erfahrungen von jemandem anzunehmen, der sie bereits seit einigen Jahren machen konnte? Muss man das Rad neu erfinden? So lange die heimische Struktur eingebunden wird und ein „klassisches Win-Win“ daraus entsteht, können alle Beteiligten davon profitieren.
Nachdem auch das Konferenzprogramm des zweiten Tages gegen 17 Uhr zu Ende ging, war für den Abend wieder After-Party-Time angesagt. Dieses Mal im Soda Club, einer netten Location in der bekannten Berliner Kulturbrauerei. Allerdings wollte hier kaum so richtige Stimmung aufkommen. Die Tanzfläche blieb weitgehend leer – nur der VIP-Bereich war voll (und verqualmt). Das Feedback der meisten Partygänger lautete: Die Party im Gretchen war viel besser. So verließ auch Tommy Chong ziemlich früh den Club – nur Ed Rosenthal zeigte Steher-Qualitäten und blieb bis in die Morgenstunden.
Zusammenfassend kann man zur allerersten Berliner ICBC sage, dass hier sicherlich jeder Teilnehmer irgendetwas daraus ziehen konnte – ob nun geschäftliche Kontakte, interessante Gespräche, inhaltsreiche Vorträge, Panels oder Parties. Am meisten gewinnt wohl der Veranstalter: Er hat es geschafft, in einem im Auf- und Umbruch befindlichen Markt ein Event zu platzieren, dass den Nerv der Zeit getroffen hat. Wir hoffen und wünschen Alex Roger und seinem ganzen ICBC-Team, dass dies im nächsten Jahr (auch ohne zweifelhafte Hilfe vom rechten politischen Rand) erneut so gut gelingt.