Cannabisklage

Die Cannabisklage vor Gericht

Rechtsstaat am Ende?

 

Schon in der ersten THCENE-Ausgabe von 2018 hatten wir mit Rechtsanwalt Volker Gerloff über die Chance gesprochen, die Legalisierung von Cannabis vor Gericht zu erstreiten. Juristisches Ziel der Cannabisklage war und ist es, die Bundesregierung zu zwingen, eine Rechtsverordnung zu erlassen, mit der Cannabis aus den Anlagen I und III zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gestrichen werden soll. Am 28. November 2018 gegen 10:30 Uhr kam die Klage nun erstmals vor das Verwaltungsgericht Berlin – und die Verhandlung dauerte (nur) 90 Minuten…

Zur Begründung seiner Cannabisklage hatte Anwalt Gerloff zahlreiche wissenschaftliche Studien und Experten angeführt, wonach das Kiffen nach derzeitiger Erkenntnislage weder für die körperliche und geistige Gesundheit noch für die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens eine erhebliche Gefahr darstellt. Insbesondere der Vergleich zu Alkohol und Tabak lasse das Cannabis-Verbot absurd erscheinen und sei ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Alkohol und Tabak seien sehr viel gesundheitsschädlicher, aber trotzdem legal, argumentierte Anwalt Gerloff, der dem Gericht durch einen mehrfach aktualisierten Schriftsatz immer neue Argumente und Erkenntnisse vorgelegt hatte, die eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland sinnvoll erscheinen lassen. So habe sich u.a. das in Deutschland geltende Verbot hinsichtlich der Gefahrenprävention als nicht effektiv erwiesen, weil die Quote der Konsumenten „drastisch nach oben“ gehe. Das strenge Verbot sei daher „völlig wirkungslos“.

Der von Gerloff anwaltlich vertretene Kläger Thomas Herzog führt zudem an, dass das Verbot von Cannabis unzulässig seine Berufsfreiheit einschränke – für das Gericht spielten all diese Argumente jedoch keine Rolle. In der Öffentlichkeit und in den Parlamenten werde seit vielen Jahren über die Legalisierung von Cannabis gestritten – selbst wenn das Betäubungsmittelgesetz verfassungswidrig sei, könne dieser Zustand nicht durch das Verwaltungsgericht, sondern nur durch den Gesetzgeber beseitigt werden, teilte das Gericht mit. Im Zweifelsfall sei hier aber eine Verfassungsklage möglich.

Markus Riehl vom Bundesgesundheitsministerium (BGM) und Rechtsanwalt Peter Kothe vertraten die Bundesregierung in der Verhandlung und waren einhellig der Meinung, dass die Bundesregierung nicht einfach eine Verordnung kippen könne, ohne dass Bundestag und Bundesrat die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Sie wiesen die Vorwürfe des Klägers zurück und sahen den Fall eher beim Bundesverfassungsgericht an der richtigen Stelle.

Zudem seien die Gesundheitsgefahren des Cannabis-Missbrauchs vor allem bei Jugendlichen und Heranwachsenden „medizinisch erwiesen“, sagte Oliver Ewald, einer der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums nach der Verhandlung. Die Entwicklung einer Cannabis-Abhängigkeit sei „keine Seltenheit“, das Risiko für psychische Störungen, wie etwa Depressionen, Angsterkrankungen und Psychosen erhöhe sich. Dies gehe auch aus der Ende 2017 veröffentlichten Studie „Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse“ (CaPRis) hervor.

Tatsächlich stützte sich das VG Berlin in seiner inhaltlichen Bewertung der Cannabisklage vielfach auf die CaPRis-Studie, die Rechtsanwalt Gerloff schon im Vorfeld zu entkräften versuchte. So hatte er schon am 11. November in seinem letzten (dem Gericht vorliegenden) Schriftsatz über viele Seiten hinweg die CaPRis-Studie kritisch analysiert und dazu u.a. geschrieben (Zitate aus dem anwaltlichen Schriftsatz):

Da sich die Beklagte positiv auf die CaPris-Studie stützt, dazu folgende weitere Anmerkungen: Leider fehlt es schon dem Forschungsauftrag durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) an Objektivität. Zum Thema „Cannabiskonsum zum Freizeitgebrauch“ sollten nur die Risiken des Konsums untersucht werden, nicht jedoch der persönliche Benefit und die positiven Aspekte. „Auch eine Analyse des unproblematischen Cannabis-Konsums zu Rauschzwecken war nicht Teil des Forschungsauftrages.“

Man könnte die CaPRis-Studie auch als statistische Arbeit bezeichnen. In den zitierten systematischen Reviews und Metaanalysen werden umfangreiche Berechnungen durchgeführt, um statistische Häufigkeiten und damit vor allem Tendenzen darzustellen. Ganz deutlich muss deshalb auf den Unterschied zwischen dem hier dargestellten rein statistischen Zusammenhang (Cannabis-Konsum tritt gehäuft auf in Zusammenhang mit …) und einer echten Kausalität (Cannabis-Konsum führt zu …) hingewiesen werden. Diese Unterscheidung ist insbesondere in den Bereichen psychosoziale Folgen, Fahrsicherheit und psychische Störungen ergebnisrelevant.

Vor allem die dichotome Erfassung (ja/nein) des Cannabiskonsums ist bei derartigen Studien als problematisch anzusehen. Hierbei bleibt unklar, wie hoch die Dosierung war und ob es sich eventuell um synthetische Cannabinoide handelte. Außerdem wird nicht unterschieden zwischen einer akuten Cannabis-Intoxikation und die Konzentrationen von Resten von zeitlich länger zurückliegendem Konsum ohne akuten Rauschzustand. Dass hier eine Abgrenzung stattfinden muss, ist offensichtlich.

Seit 2005 hat es trotz dieser Schieflage keine Übersichtsarbeiten zum Thema Fahrverhalten gegeben. Über den tatsächlichen Einfluss von Cannabis auf das Fahrverhalten trifft daher auch die CaPRis-Studie keine Aussage, denn es konnte „aufgrund des Fehlens systematischer Arbeiten keine methodisch valide Bearbeitung des Themas vorgenommen werden“. Es erscheint demnach fraglich, ob „Cannabis beeinträchtigt die Fahrtüchtigkeit“ tatsächlich eine zulässige Schlussfolgerung aus der CaPRis-Studie ist.

Im Zusammenhang mit der CaPRis-Studie wird oft der steigende Gehalt an THC im Cannabis hervorgehoben. Fakt ist, dass der durchschnittliche THC-Gehalt in der zitierten Publikation (Cascini et al., 2012) in den Jahren 2003/2004 einen Spitzenwert von über 12 % erreichte, danach aber wieder deutlich abgesunken ist. Außerdem ist zu beobachten, dass der THC-Gehalt nicht bei allen Cannabis-Proben gestiegen ist, sondern vielmehr der Bereich, in dem er sich bewegt, immer größer wird. Wie aus der ursprünglichen Publikation ersichtlich wird, verbergen sich hinter einem Durchschnittsgehalt von 12,4 % (2004) THC-Gehalte von 4,6 % bis zu 20,2 %. Es sind also Cannabis-Sorten auf dem Markt, die bzgl. ihres Gehalts mit herkömmlichen Sorten vergleichbar sind, aber auch solche, bei denen der THC-Gehalt etwa fünfmal so hoch ist. In anderen Jahren kann diese große Streuung der THC-Gehalte ebenfalls beobachtet werden. Es wird für den Konsumenten also immer undurchsichtiger, was genau im Cannabis enthalten ist, und damit auch die für ihn richtige Dosierung. Hier würde man sich wirklich ein Fachgeschäft wünschen, das Ware mit deklariertem Gehalt verkauft, und so den mündigen Verbraucher bei der Auswahl unterstützt.

Volker Gerloff hatte aber nicht nur die CaPRis-Studie kritisch analysiert, sondern weitere überzeugende Argumente für eine Cannabis-Legalisierung zusammengetragen und vorgelegt. Hier nur drei ausgesuchte Beispiele:

Die Neue Richtervereinigung (NRV) wies in einer Stellungnahme vom 13.03.2016 auf die Unhaltbarkeit des Cannabisverbots hin. Selbst in dem Standardkommentar für Strafrecht (Fischer, StGB, 63. Aufl., vor § 52 Rn 13a) wird festgestellt, „dass die Prohibitionspolitik von Rauschmitteln kriminalpolitisch, aber auch strafrechtlich gescheitert ist. Eine Gesellschaft, die 5 % ihrer Mitglieder wegen des Konsums von Rauschmitteln kriminalisiert, während sich zugleich weitere 30 % der Bevölkerung legal und staatlich gefördert totsaufen oder -rauchen, verhält sich evident irrational.“

Die NRV-Erklärung zeigt auf, dass pro Jahr mehr als 50.000 Personen nach dem BtMG verurteilt werden und die meisten dieser Verurteilungen den bloßen Umgang mit Cannabis betreffen. Die Verurteilungen betreffen weiter insbesondere junge Menschen, deren Lebenslauf oft nachhaltig zerstört wird. Die staatliche Cannabis-Prohibition hat den kriminellen Schwarzmarkt etabliert und bindet erhebliche personelle und sachliche Ressourcen bei Justiz und Polizei.

Prof. Otto Lesch (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Ruhestand, Wiener Universitätsklinik; Vorstand der International Academy of Law and Mental Health) erklärt in einem Beitrag vom 6. November 2018 nochmals das geringe Risiko einer Abhängigkeit durch den Konsum von Cannabis. Dabei weist er insbesondere auf die Tatsache hin, dass es jährlich zahlreiche direkte Tabak-Tote und direkte Alkohol-Tote gibt, Cannabis-Tote dagegen bis heute nicht zu verzeichnen sind. Bezüglich des Schutzes der Jugend vertritt Prof. Lesch die durchaus weitverbreitete Ansicht, dass Cannabis gerade durch die Prohibition für Jugendliche interessant gemacht wird. „Je klarer man den Standpunkt vertritt, dass Hanf eine fasrige, schnell wachsende, überall vorkommende Pflanze ist, die man medizinisch als Salbe und Medikament verwenden kann, desto uninteressanter wird sie für den Massenkonsum von Jugendlichen“.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, äußerte zur Idee einer Tabak-Prohibition: „Wer raucht, hört besser heute als morgen damit auf. Aber muss ich dieses Ziel mit einem Gesetz zu erreichen versuchen, dass ein Klima der Angst erzeugt und Menschen gesellschaftlich ausgegrenzt, die ein legales Produkt konsumieren?“ (Die Welt vom 28.08.2006, Freiheit für Wirte und Gäste). Die Drogenbeauftragte ist bekannt für ihre Logik, dass Cannabis verboten sei, weil es illegal ist und insbesondere Alkohol und Tabak frei zugänglich seien, weil sie legal seien. Es muss als irrational und nicht mehr nachvollziehbar angesehen werden, dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung bezüglich einer Tabak-Prohibition die Werte eines freiheitlichen Rechtsstaats zutreffend betont, dieselben Werte jedoch bezüglich der Cannabis-Prohibition konsequent ignoriert.

Rechtsanwalt Volker Gerloff zeigte sich natürlich enttäuscht vom Verlauf des Gerichtstermins Ende November 2018 und der Abweisung der Klage und schickte uns dazu folgendes Statement:

Laut Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Berlin wurde die Klage als unzulässig zurückgewiesen, weil es offensichtlich fernliegend sei, dass der Kläger einen Anspruch auf Legalisierung von Cannabis haben könnte – die Frage der Legalisierung sei so umstritten, dass es sich um eine rein politische Frage handele, die nur vom Gesetzgeber beantwortet werden könne. Es mag zwar sein, dass das bestehende Cannabis-Verbot die Grundrechte des Klägers verletzt – trotzdem könne das Verwaltungsgericht dagegen nichts tun, solange der Gesetzgeber eine Legalisierung von Cannabis ablehne. Die Berufung oder die Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen, womit das Gericht feststellt, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweise.

Aus meiner Sicht ist es schon nicht hinnehmbar, dass ein Gericht eine Klage dreieinhalb Jahre „liegen lässt“, sich in der ganzen Zeit nicht zur Zulässigkeit der Klage äußert, dann die Verhandlung terminiert und das persönliche Erscheinen des Klägers anordnet (diese Anordnung macht eigentlich nur Sinn, wenn der Kläger auch zur Sache befragt werden soll und das wiederum macht nur Sinn, wenn die Klage zulässig ist und über die Begründetheit verhandelt werden soll), um dann festzustellen, dass die Sache eigentlich ganz einfach sei und die Klage selbst schon unzulässig sei.

Das Ärgerliche an dem Urteil ist aber, dass das Verwaltungsgericht hier so wenig Selbstbewusstsein zeigt. Die Klage dreht sich um die Frage, ob die Bundesregierung verpflichtet ist, eine Verordnung zu erlassen, die Cannabis von der Anwendung des BTMG ausnimmt. Diese Verpflichtung muss sich (aus meiner Sicht) zwingend ergeben, wenn das bestehende Cannabis-Verbot gegen Grundrechte des Klägers verstößt. In diesem Fall ist schließlich jede Staatsgewalt aufgerufen, die erkannte Grundrechtsverletzung schnell und effektiv zu beenden. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit dazu, da § 1 Abs. 2 BTMG sie befugt, eine entsprechende Verordnung zu erlassen.

Das Gericht hat, nicht ganz zu Unrecht, darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung diese Verordnung nicht allein erlassen kann, da es der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Daraufhin wurde der Klageantrag jedoch angepasst: die Bundesregierung sollte verpflichtet werden, einen Verordnungsentwurf zu erstellen und diesen zur Abstimmung in den Bundesrat zu geben, zusammen mit den Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts, die dann im Wesentlichen die Grundrechtswidrigkeit des Cannabisverbots darstellen würden. Falls das Gericht diesen Antrag auch als „zu gewagt“ ansehen würde, wurde hilfsweise beantragt, festzustellen, dass der Nicht-Erlass der Verordnung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Wenn das Verwaltungsgericht nun sagt, es könne zwar sein, dass das bestehende Cannabis-Verbot grundrechtswidrig ist, aber „das kleine unbedeutende Verwaltungsgericht“ sei nicht befugt, diese andauernden Grundrechtsverletzungen zu benennen oder gar zu beseitigen, wenn der Gesetzgeber diese Grundrechtsverletzungen okay findet – dann ist der Rechtsstaat am Ende.

Der „Witz“ an einem Rechtsstaat ist schließlich vor allem, dass das Recht und insbesondere die Verfassung alle Staatsgewalten bindet und die Justiz die Staatsgewalt ist, die notfalls die Exekutive zur Einhaltung des Rechts zwingen kann. Die Bundesregierung als Verordnungsgeberin ist hier aber nichts anderes, als Teil der Exekutive.

Durch die Möglichkeit, mittels einer Verordnung durch die Bundesregierung das Cannabis-Verbot aufzuheben, besteht die besondere Situation, dass es nicht um eine Gesetzesänderung durch das Parlament geht, sondern eben „nur“ um den Erlass einer Verordnung. Das ist wichtig, weil das Parlament (als Gesetzgeber) nur vom Bundesverfassungsgericht „zurechtgewiesen“ werden darf.

Das Verwaltungsgericht wendet nun ein, dass die Bundesregierung von ihrer Verordnungsermächtigung nur dann Gebrauch machen dürfte, wenn das Cannabis-Verbot offensichtlich und absolut unstrittig verfassungswidrig wäre.

Dagegen sind jedoch vor allem 2 Punkte einzuwenden:

1.) Wenn ein Zustand verfassungswidrig ist, dann ist dieser Zustand zu beenden – die Tatsache, dass ein verfassungswidriger Zustand aus ideologischen Gründen in der Politik für gut gefunden wird, muss irrelevant sein.

2.) Der Grundsatz, dass Grundrechtsverletzungen schnell und effektiv zu beenden sind, muss dazu führen, dass der Erlass einer abhelfenden Verordnung als zulässig erachtet wird, da so am schnellsten und am effektivsten Abhilfe geschaffen werden kann.

Da das Verwaltungsgericht weder die Berufung noch die Revision direkt zugelassen hat, muss nun – sobald das Urteil schriftliche vorliegt – die Zulassung der Berufung beantragt werden. Das ist ein sehr aufwendiger Prozess und der Kläger ist nicht in der Lage, diesen Prozess finanziell zu stemmen. Ob es mit der Klage weitergeht, wird also vor allem davon abhängen, ob Geldgeber*innen und Spender*innen gefunden werden, die eine tragfähige Finanzierung ermöglichen.