Soll man mit Kindern über Drogen sprechen? Diese Frage ereilt mich in meiner Funktion als Experte für psychotrope Substanzen annähernd wöchentlich – meist von Eltern, die ein akzeptanzorientiertes Verhältnis zu Drogen haben und sich nicht sicher sind, ob es eine gute Idee ist, den Sprösslingen ehrliche Aufklärung angedeihen zu lassen. Immerhin ist es in dieser Gesellschaft ein Wagnis, ehrlich zu sein, wenn es um berauschende Stoffe geht, denn was wir innerhalb der uns umgebenden sozialen Strukturen in dieser Hinsicht erleben, ist die pure Bigotterie, Doppelmoral und – man muss es so sagen, wie es ist – Verlogenheit par excellence. Der auf dem Pausenhof Zigaretten rauchende und auf Klassenfahrt Alkohol trinkende Lehrer erklärt den Kindern, wie schlimm es doch sei, „den Drogen“ zu verfallen. Dass ein solches Verhalten gerade den noch wenig konditionierten Kindern schleierhaft sein muss, ist vollkommen logisch. Wir sind in dieser Sache einfach nicht ehrlich – weder zu uns selbst und schon gar nicht gegenüber unserem Nachwuchs.
Dabei ist es ganz simpel und wäre eigentlich nicht wirklich der Rede wert. Denn wir bringen schon unseren Jüngsten bei, mit potenziell gefährlichen Gegenständen, Stoffen und Situationen angemessen und achtsam umzugehen. Die Beispiele, die ich dafür immer wieder wähle, sind eindeutig. Kinder müssen beispielsweise lernen, richtig mit Wasser und Nahrung umzugehen. Zu viel oder zu wenig ist ungesund und potenziell schädlich. Kinder müssen verinnerlichen, dass es keine gute Idee ist, mit der Schere oder dem Messer herumzutoben. Und Kinder sollten frühzeitig mitbekommen, dass man nach rechts und links schaut und sich der freien Fahrbahn versichert, bevor man die Straße sicher überqueren kann. Das sind alles Beispiele, die kein auch nur im Ansatz Vernunftbegabter in Zweifel ziehen würde. Beim Umgang mit Alkohol ist es dasselbe. In unserer Gesellschaft ist es nämlich durchaus üblich, auch noch so junge Steppkes an den Gebrauch dieser berauschenden Getränken heranzuführen. Kein Wunder, ist dies doch die Volksdroge Nummer Eins. Wie steht es aber um die Verwendung von illegalisierten Substanzen? Hier greift die Panik und Unverhältnismäßigkeit – und Eltern reagieren genauso konditioniert, wie sie ihre Kinder als konditionierte Wesen großziehen. Geht es um „Drogen“ ist der Ofen schnell aus. Wir müssen dabei nur beachten, dass unsere Jüngsten in der Realität – meist, wenn die Eltern nicht dabei sind – mit eben diesen Stoffen konfrontiert sind. Und dann müssen sie selbst entscheiden, was gut für sie ist und was sie tun. Daher hilft uns die Bigotterie an dieser Stelle nicht weiter, weshalb über Drogen nicht gesprochen, sondern lediglich das Diktat erhoben wird, die Finger von verbotenen Substanzen zu lassen. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht zielführend. Schon gar nicht bei Kindern und Jugendlichen, die erstens gerne die Autoritäten in Frage stellen und zweitens häufig eher unbedarft und experimentierfreudig sind. Wenn dann ein junger Mensch realisiert, dass zum Beispiel Werbung für Alkohol allgegenwärtig, der Stoff auch zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar ist und Politiker, Lehrer und Eltern die betörenden Säfte fließen lassen, als gäbe es kein Morgen, aber gleichzeitig mit erhobenem Zeigefinger auf jene schimpfen, die beispielsweise Cannabis rauchen, dann ist es kein Wunder, dass der reflektierende Jugendliche die Welt nicht mehr versteht.
Blicken wir den Tatsachen ins Auge: Unsere Kinder kommen zum Teil leichter an psychoaktive Drogen heran als so mancher Erwachsene. Schon auf dem Schulhof werden die verschiedensten Stoffe angeboten, aber den sinnvollen und risikoarmen Konsum solcher Drogen lernen unsere Sprösslinge nicht. Geht es um verbotene Früchte, wird stets ausschließlich betont, dass diese Substanzen nicht erlaubt sind und dass man davon einfach Abstand halten sollte. Wer sich daran nicht hält, hat häufig das Nachsehen. Und wenn etwas passiert, trauen sich Betroffene oftmals nicht einmal Hilfe zu suchen – aus Furcht vor Strafe und Repression, aus Scham und aus der Angst heraus, mit der Schule oder dem potenziellen Arbeitgeber Ärger zu bekommen. Dabei ist unsere Gesellschaft in dieser Hinsicht ganz besonders scheinheilig, denn der Rausch an sich – induziert durch Alkohol, Psychopharmaka etc. – wird allen anderslautenden Meinungen zum Trotz nicht geächtet, sondern lebendig zelebriert. Und er ist nur deshalb salonfähig, weil Alkohol & Co. nicht zu den „Drogen“ gezählt werden. Schon wieder diese Bigotterie. Die im Übrigen ganz gezielt von den Medien und der Gesellschaft beschworen wird. Man liest oder hört es fast jeden Tag – in etwa so: „Mann verunfallt mit Drogen und Alkohol im Blut“. Dass Alkohol eine Droge ist wie jede andere auch und, was das Sucht- und Gefahrenpotenzial angeht, sogar zu den risikoreichsten Stoffen überhaupt zählt, wird unserer Jugend nur ungern beigebracht. Wenn überhaupt. Stattdessen stellen sich ahnungslose Lehrkörper vor ihre Klassen und erzählen den Schülern, dass man von der Einnahme von Psilocybin- haltigen Pilzen Herzinfarkt, Schlaganfall und Drogensucht zu erwarten hätte. Nicht denkbar? Dieses Beispiel ist aus dem Leben gegriffen – und nicht etwa meiner Fantasie entsprungen. Genauso wie Politiker sich vor Fernsehkameras stellen und frank und frei behaupten, dass mit Alkohol ein maßvoller Umgang möglich sei, mit Cannabis hingegen nicht. So gesagt von Kanzlerin Angela Merkel. Für wie blöd hält die Frau „ihr Volk“ eigentlich? Und die bundesdeutsche „Drogenbeauftragte“ Marlene Mortler antwortete einst auf die Frage, wieso Cannabis verboten sei, mit dem Satz: „Weil Cannabis eine illegale Droge ist“.
Dieselbe Mortler macht allerdings gerne mal Werbung für Alkoholika – und lässt sich stolz von der Presse fotografieren. Mal ehrlich: Wer in der Öffentlichkeit so einen Unsinn verzapft, muss sich nicht wundern, wenn er oder sie nicht ernstgenommen wird. Noch nicht mal von Kindern und Jugendlichen.
Es ist in unserem Kulturraum durchaus normal, sich fettest die Schüttung zu geben – und darauf stolz zu sein. Wie oft hört man Leute sich brüsten, wie viel sie vertragen, welche Unmengen Bier, Wein und Schnaps sie saufen, ohne umzufallen. Dabei ist es genauso normal, von derselben Klientel übelste Lästereien gegen Menschen zu hören, die sich für ein anderes Rausch- und Genussmittel entschieden haben. Im Klartext: Der rotzbesoffene Typ an der Theke ist stolz auf sein Bier an einem Abend, aber stellt sich über diejenigen, die zum Beispiel einen Joint rauchen – über die „drogensüchtigen“ Subjekte. Ganz im Ernst: Wie sollen unsere Kinder das verstehen? Wie soll man ihnen erklären, weshalb es normal ist und zum guten Ton gehört, schon morgens zum Sektempfang sich den Rüssel vollzuschütten, während beispielsweise Personen, die Cannabis als Medizin zu sich nehmen, als asoziale Junkies gebrandmarkt werden? Die Antwort: Es ist nicht erklärbar. Und so entwickeln sich auch unter Kindern und Jugendlichen zwei Lager. Die einen, die zu Hause lernen, dass man mit jedem Rauschmittel vernunftbasiert umgehen kann (und das sind leider die wenigsten Haushalte, die ihrem Nachwuchs das beibringen), und die anderen, die in die Fußstapfen der Eltern treten und mit dem Schnapsglas in der Hand auf „Drogenopfer“ schimpfen. Wir fordern es schon lange: Ein Fach namens Rauschkunde in der Schule einzuführen. Und das am besten direkt ab der Grundschule. Denn schon die Jüngsten sind mit der Realität konfrontiert und sehen tagein, tagaus betrunkene Menschen oder solche, die sich andere Substanzen verabreichen. Den Kindern den Unterschied zu erklären – auch, dass sämtliche Drogengesetze auf dem Fundament der Willkürlichkeit fußen – ist gar nicht so einfach, denn sie lassen sich noch nicht so dermaßen verblenden, wie dies bei Erwachsenen häufig der Fall ist.
Ich habe einmal im Rahmen eines Interviews, das der Schweizer Tagesspiegel mit mir führte, davon gesprochen, dass reines Heroin nicht halb so gefährlich ist, wie immer erzählt wird. Dass Heroinabhängige mit klinisch reinem Stoff auch alt werden können. Als der Journalist mich darauf fragte, ob ich auch meinen Kindern sagen würde, dass reines Heroin okay sei, gab ich zur Antwort: „Ich habe meinen Kindern zumindest keine Märchen erzählt, die sie mithilfe einfacher Recherchen entlarvt und widerlegt hätten“ (nachzulesen auf www.tagesanzeiger.ch/leben/der-mensch-faellt-unters-betaeubungsmittelgesetz/story/12544873).
Denn genau das ist der springende Punkt: Hatten wir als Kinder und Jugendliche keinerlei Möglichkeit, uns suffizient zu informieren – abgesehen von Buchläden und örtlichen Bibliotheken – so fällt es heutzutage schon Grundschülern nicht schwer, via Internet alle möglichen Informationen nachzuschlagen und zu recherchieren. Wir hatten die Möglichkeit, entweder den Lehrern, Eltern oder Drogenberatern zu glauben – oder es zu lassen. Das sieht heute schon ganz anders aus, wo jeder Vierjährige bereits Handy und Tablet nicht nur sein Eigen nennt, sondern sogar noch bedienen kann. Mit der neuen Technologie und den mittlerweile nicht mehr ganz so neuen Medien ist es jedem innerhalb von Minuten möglich, alle denkbaren Themen nachzuschlagen. Und das ist eine reelle Gefahrenquelle, auch wenn man das nicht glauben mag. Denn wenn ein Kind oder Jugendlicher die Aussagen der Erwachsenen einmal widerlegt hat, besteht die Gefahr, dass unser Nachwuchs uns bald gar nichts mehr abnimmt oder glaubt. Nach dem Motto: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Dabei müssen Eltern gar nicht mal bewusst lügen. Es genügt bereits, wenn sie selbst fehlinformiert sind und ihre Falschinformationen an die Jugend weitergeben. Denn die weiß sich zu helfen: Einmal kurz gegoogelt und schon ist die Info als Finte entlarvt.
Da sind wir schon am Casus knacksus angelangt. Es geht um Ehrlichkeit. Ehrlichkeit mit sich selbst und vor allem mit Kindern und Jugendlichen. Wie soll man dem Nachwuchs glaubhaft vermitteln, dass zum Beispiel Cannabis eine böse und gefährliche Droge ist, wenn man selbst hackebreit vom Bier vor dem Fernsehgerät sitzt? Für unsere Generation war das ja vielleicht noch normal. Aber heute haben sich die Zeiten einfach geändert. Heute beeindruckt die autoritär auf den Tisch geschlagene Faust kaum noch jemanden; heute geht es mehr als jemals zuvor um Argumente. Und die gehen den Drogenkriegern, Alk-Freaks und Prohibitionisten allmählich aus.
Allerdings ist es mit den Volksdrogen so eine Sache. Die kulturelle Einbettung beispielsweise der riskanten Droge Alkohol ist derart mit den alltäglichen Gepflogenheiten verwoben, dass es schwer ist, einen sinnvollen Umgang mit den Randerscheinungen des Konsums zu pflegen. Wie kann es sein, dass „Drogen“ grundsätzlich verteufelt und mit asozialen Assoziationen belegt werden, wo doch zu jeder Tages- und Nachtzeit überall Alkohol verfügbar ist – und sogar in allen Medien groß dafür geworben wird? Zwar hat es unsere Gesellschaft hinbekommen, Tabakwerbung zum großen Teil aus dem öffentlichen Bild verschwinden zu lassen. Auch die Alkoholreklame zu verbieten, werden wir aber so schnell nicht schaffen, denn die Wirtschaftslobby der Alkoholindustrie ist schlichtweg zu mächtig und beeinflusst unsere Politik genauso wie Banken und andere Interessengemeinschaften, die mit unseren (Sehn-)Süchten einen Haufen Geld zu scheffeln bestrebt sind. Das macht es nicht nur solchen Menschen schwer, die mit Abhängigkeit und Trinkproblemen zu kämpfen haben, sondern suggeriert schon Kindern und Jugendlichen, dass das Trinken von Alk absolut in Ordnung ist. Und so eine bigotte und unehrliche Gesellschaft will, wenn es um Rauschmittel geht, glaubhaft sein? Kinder, die anfangen nachzudenken, werden uns das wohl kaum auf Dauer abkaufen – sie erkennen die gespaltenen Zungen der „Autoritäten“ noch eher als die Erwachsenen.
Aber auch Eltern, die ihre Kinder mit Ehrlichkeit und sachgemäßer Aufklärung ordentlich erziehen, sehen sich einer Gefahr gegenüber. Man weiß nämlich nie, wie der Lehrer oder die Eltern der Mitschüler reagieren, wenn das Kind vor der ganzen Klasse erklärt, dass Cannabis eine nutzbringende Medizin sein kann, der Alkohol hingegen tendenziell eher weniger. Da kann es schon passieren, dass entsprechende Schüler stigmatisiert und die Eltern zum Rektor vorgeladen werden. Juristisch betrachtet ist die schlimmste und gefährlichste Nebenwirkung des Drogengebrauchs die Strafverfolgung. Gesellschaftlich gesehen istes das Stigma. Trotzdem sollten Eltern, die verantwortungsvoll handeln wollen, gerade solche prekären Themen nicht unter den Teppich kehren.
Kleiner Leitfaden für das Gespräch über Drogen
Kinder stärken, auf dass sie sich nicht den zahlreichen Versuchungen des täglichen Lebens ergeben. Liebe, Mitgefühl, Geborgenheit und Ehrlichkeit sind die Säulen, die dem Kind bzw. dem Jugendlichen Halt geben und Orientierung bieten. Ein von den Eltern geliebtes und gestärktes Kind wird sich potenziell vernünftiger verhalten, weniger rebellieren und bei anfallenden Problemen das klärende Gespräch mit Mutter oder Vater suchen. Verängstigte, orientierungslose Kinder, die keinen Rückhalt im Elternhaus genießen, werden im Konfliktfall eher nicht zu den Erziehungsberechtigten gehen.
Derart gestärkte und ehrlich aufgeklärte Kinder und Jugendliche können kompetenter entscheiden, was sie wollen und was sie tun – und sie werden weniger schnell zu Mitläufern.
Ehrlich sein, keine Märchen erzählen, die das Kind und der Jugendliche rasch als unwahr entlarven kann. Nichts beschönigen, aber auch nichts verteufeln – Kinder und Jugendliche merken das irgendwann und dann büßt man als Erziehungsberechtigter, Lehrer, Drogenberater, Polizist etc. seine Glaubwürdigkeit ein.
Kindern und Jugendlichen frühzeitig beibringen, dass es Dinge gibt, die Erwachsenen vorbehalten sind, zum Beispiel Autofahren, koffeinhaltige bzw. alkoholische Getränke trinken, mit Strom hantieren und so weiter. Dabei darf man Kindern gegenüber so ehrlich sein und betonen (und auch durchsetzen), dass Rauschdrogen – egal welcher Natur – in den Händen von Minderjährigen nichts verloren haben, da sich deren Körper noch in der Entwicklung befinden und nicht mit chemischen Stoffen von außen beeinflusst werden sollten.
Dennoch ehrlicherweise die Unterschiede aufzeigen – gerade wenn Kinder danach fragen. Viele, die keine Erfahrung mit psychotropen Stoffen haben, neigen dazu, die Alkoholwirkung als Referenzrausch zu benutzen. Sie glauben, alle „illegalen“ Drogen wirken wie Alkohol, nur schlimmer. Kompetente Eltern werfen nicht Alkohol, Opiate, Amphetamine, Cannabis und Psychedelika in einen Topf, sondern klären über die Unterschiede auf. Wer keine eigene Erfahrung hat, informiert sich in suffizienten Medien, derer es heute eine Vielzahl gibt.
Auf Nachfrage oder in einer Situation der Diskussion über Psychoaktiva dürfen auch Kinder und Jugendliche (natürlich entsprechend ihres Alters und ihres Entwicklungsstandes) erfahren, dass die gesellschaftlich geächteten Substanzen auf Grundlage reiner Willkür und der kulturellen Gepflogenheiten verboten sind. Wieso sind Stoffe erlaubt, mit denen man sich das Leben nehmen kann und die in eine starke Abhängigkeit führen können, wohingegen andere Drogen, die weder lebensbedrohlich sind, noch Sucht und Abhängigkeit hervorrufen, als „Werk des Teufels“ verrufen sind? Junge Menschen können das im Zweifel noch weniger nachvollziehen als ausgewachsene Personen. Und das ist nur allzu verständlich.
Drogen- und Genusskompetenz vermitteln. Kindern nicht nur beibringen, dass zum Beispiel Fast Food, Salz, Zucker, Fett sowie Tabakerzeugnisse und alkoholische Getränke in Massen äußerst ungesund sind, sondern auch, dass mit so gut wie jedem Stoff ein verantwortungsvoller Umgang möglich ist. Das Credo der ehrlichen Aufklärung lautet: sinnvoller Gebrauch, statt kompromissloser Askese. Machen wir es beim Fernseh- und Internetkonsum nicht genauso?
Verhältnismäßigkeit wahren. Nur weil mit dem Auto täglich auf dieser Welt tödliche Unfälle passieren, käme niemand auf die Idee, das Fahrzeug per se zu verteufeln und zu verbieten. Diese Tatsache lässt sich auch gut auf Drogen ummünzen.
Fazit
Unterm Strich können wir festhalten, dass Ehrlichkeit am längsten währt. Idealismen helfen uns in der Drogenfrage nicht weiter, weil sie grundsätzlich verklärt sind, weil sie bloß einzelne, zutiefst individuelle Ansichten repräsentieren und weil sie immer zu Lasten der Fakten gehen. Wer sein Kind beispielsweise zum Vegetarier erziehen möchte, sollte es tunlichst unterlassen, dem Nachwuchs die eigene Erfahrung vorzuenthalten. Viele Vegetarier oder Veganer hatten nämlich im Laufe ihres Lebens die Wahl. Sie haben übers Elternhaus und die Gesellschaftsstrukturen kennengelernt, was Fleisch und Fisch sind, wie diese Nahrungsmittel schmecken und auch, unter welchen Umständen diese hergestellt werden – und sich dann dagegen entschieden, diese Konsumgüter für sich zu wählen. Ein Kind, das auf dem Pausenhof mit dem Wurstbrot des Mitschülers konfrontiert wird und nie die Erfahrung machen durfte, wie tierische Lebensmittel schmecken, kann sich de facto für gar nichts aus eigenem Antrieb entscheiden, wenn zu Hause ein striktes Fleischverbot durchgesetzt wird. Das Kind hat also die Wahl, heimlich an der Wurststulle des Kumpels zu knabbern oder die Idealismen der Eltern blind nachzuäffen. Dabei wäre der erste Fall noch zu bevorzugen, denn auf der Grundlage eigener Erfahrung lassen sich die kompetenteren Entscheidungen fällen. Das ist bei den Drogen nicht anders. Wenn also Sohn oder Tochter mal am Joint des Freundes gezogen haben und dann auch noch so ehrlich sind, dies den Eltern zu erzählen, so sollte man diese Vertrauensbasis nicht durch überzogene Reaktionen aufs Spiel setzen. Im Zweifelsfall wirkt ein klärendes, ehrliches und unaufgeregtes Gespräch Wunder und gibt dem Jugendlichen Kraft, eigene vernunftbasierte Entscheidungen zu treffen, ohne nur Abziehbild der elterlichen Ideologien zu sein.
Auch wenn es für viele Eltern schwer ist, wir können unsere Kinder nicht vor allen Gefahren des Lebens schützen. Wir können sie nur auf das vorbereiten, was sie später erwarten wird. Verbote, die noch dazu nicht sinnvoll begründet werden können, führen in vielen Fällen nur dazu, dass junge Menschen das Tabu brechen und sich ausprobieren wollen. Und in diesem Fall ist ehrliche Aufklärung und damit eine
kompetente Vorbereitung aufs Leben immer noch der beste Schutz.