Extremismus, Gewalt und Hass - die Rückkehr überholter Weltbilder

Extremismus, Gewalt und Hass – die Rückkehr überholter Weltbilder

Wir Menschen haben die Fähigkeit entwickelt zu lieben und ebenso zu hassen – und zwar nicht nur einzelne Individuen, sondern manchmal auch ganze Gruppen oder (in der deutschen Geschichte besonders ausgeprägt) sogar Völker und Nationen. Die Liebe zum Lieblingsfußballverein hat dabei nichts mit dem Hass auf politisch Andersdenkende zu tun – aber auch den gibt es in letzter Zeit wieder verstärkt. Dabei erzeugt Hass vor allem eins: soziales Unrecht, Gewalt und Krieg. Und wer will sowas schon in seiner unmittelbaren Umgebung?

Wir erleben derzeit eine politische Rückentwicklung, die auf irrationaler Angst beruht. Und das nicht nur in den USA unter Trump, sondern weltweit. Aber wie gehen wir mit der voranschreitenden Spaltung unserer Gesellschaften um? Der Frieden und das soziale Einvernehmen, dass wir in vielen westlichen Gesellschaften so lange gekannt haben, sind heute tatsächlich gefährdet, wenn wir die Gefahr auch weiterhin ignorieren oder totschweigen. Heute scheint sich Hass – insbesondere im Internet – wie eine Seuche auszubreiten. Oder ist das einfach nur ein neuer Trend, weil man dem vermeintlichen Gegner online eben NICHT persönlich gegenübersteht und man so seinen Hassgefühlen ganz ungezügelt nachgeben kann? Das Beunruhigende daran ist, dass – wenn man erstmal so eine Atmosphäre des allgemeinen Hasses geschürt hat – dieser Zustand nur sehr schwer wieder aufgehoben werden kann. Und wie es schient, sind wir bereits in diesem Teufelskreis gefangen, denn seit 2018 hat der Extremismus weltweit wieder starken Aufwind. Wir erleben die Rückkehr radikaler Ideologien, von den wir hofften, dass sie längst überwunden wären. Dabei nimmt die soziale und ideologische Spaltung der Gesellschaften und die Bereitschaft, extrem Weltbilder zu tolerieren oder ihnen sogar zuzustimmen, heute in einem erschreckenden Maße zu – und das hat keiner kommen sehen. Unsere Gesellschaft trägt hier eine nicht zu unterschätzende Mitverantwortung, denn sie lies und lässt Biografien zu, die im Hass enden: Der vom Stiefvater verprügelte Junge, der zum gewalttätigen Hooligan wird, der verstoßene Fabrikantensohn, der zum autonomen Terroristen wird – das alles sind nur Beispiele einer Entwicklung, die wir derzeit erleben.

Die Konfliktforscherin Sasha Havlicek versucht sich an einer Erklärung: „In vielen Fällen liegt ein frühes Trauma vor – und das fühlt zu dem verzweifelten Wunsch, irgendwo dazugehören zu wollen und eine Antwort auf die Frage zu finden: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Wir neigen dazu, bei terroristischen Gruppen nur die Gewalt zu sehen, dabei bieten sie ihren Mitgliedern auch emotionale Bindung, ein starkes Zugehörigkeitsgefühl und eine gewisse Geborgenheit.“ Das trifft auf die RAF sicherlich genauso zu, wie auf den NSU oder islamistische Selbstmordattentäter, die immer mal wieder für Schlagzeilen sorgen. Gewalt gegen diese Gruppen führt nur zu einem noch stärkeren Gruppenzusammenhalt – bisher hat noch keiner seine Überzeugungen aufgegeben, bloß weil er was auf die Fresse bekommen hat.

Wo Gewalt versagt, können Gespräche helfen – damit kann es tatsächlich gelingen, die Glaubensgrundsätze von Extremisten zu ändern. Extremisten wie Frank Meeink, der schon als Teenager zu einem Nazi-Skin wurde, der Gewalt als legitimes Mittel des „weißen Widerstandes“ sah. Er hatte keinen anderen Grund, auf sich stolz zu sein, als die Zugehörigkeit zur vermeintlich überlegenen weißen Rasse. Für seine Überzeugungen (und seine daraus resultierenden Taten) ging er sogar in den Knast. Nachdem er wieder entlassen wurde, begann seine Transformation durch einen erklärten Feind: „Als ich aus dem Knast kam, hatte ich keinen Job – schließlich stellt keiner einen Typen ein, der ein Hakenkreuz im Nacken trägt und im Gefängnis war. Da sagte mir ein Kumpel, er könne mir einen Teilzeit-Job bei einem Antiquitätenhändler besorgen – allerdings sei der Typ ein Jude und er fragte, ob mich das stören würde. Ich sagte: ‚Wenn ich nicht mit ihm reden muss, dann kann ich das schon machen‘. Daraufhin er: ‚Ich hab ihm auch schon erzählt, dass du Nazi bist und aus dem Knast kommst und es ist ihm scheißegal – solange du nur seine Möbel nicht kaputt machst.‘ Der Antiquitätenhändler entsprach dann auch so ziemlich jedem Vorurteil, das ich über Juden hatte und als das Wochenende nahte, ging ich davon aus, dass er mich bei der Bezahlung irgendwie betrügen würde. Es würde Streit geben und ich würde auf ihn losgehen – aber dann sagte er nur: ‚Ich glaube, ich schulde dir noch Geld, oder?‘ Daraufhin ich: ‚Ja, das ist richtig‘. Er fragte dann: ‚Wieviel?‘ und ich: ‚100 pro Tag – also 300!‘ Dann er so: ‚Stimmt‘ und dann zog er ein dickes Geldbündel heraus, zählte ab und sagte dabei: ‚Eins, zwei, drei – und hier noch ein Hunderter extra. Du machst gute Arbeit.‘ Dann fragte er: ‚Was machst du sonst so?‘ und ich antwortete: ‚Nichts – ich hab ein Hakenkreuz im Nacken.‘ Da sagte er: ‚Warum arbeitest du nicht in Vollzeit für mich?‘ Ich nahm sein Angebot an, dabei war ich zu dem Zeitpunkt noch überzeugter Neonazi und trug meine Springerstiefel. Eines Tages machte ich dann versehentlich etwas kaputt und sagte zu ihm: ‚Tut mir echt leid, ich bin so blöd…‘ Dabei ging ich davon aus, dass er mich nun feuern oder mir zumindest den Schaden vom Lohn abziehen würde. Aber er gab mir einfach meinen vollen Lohn und sagte: ‚Wir sehen uns dann am Montag, okay?‘ Und ich dann nur: „Okay, dann bis Montag…‘ Als ich an diesem Tag nach Hause kam, hab ich die Springerstiefel ausgezogen, in den Keller geschmissen und hab nie wieder nach ihnen gesehen.“ Heute erzählt Frank Meeink seine Geschichte jedem, der sie hören will. Und er hat viel über den Hass und seine Ursachen nachgedacht: „Die Sache ist doch die: Man kann niemanden zwingen ein guter Mensch zu sein. Wenn wir durch die Straßen marschiert sind, haben die Antifas oft Flaschen und Steine nach uns geschmissen und uns krass beschimpft. Wenn so eine Flasche auf mich zuflog, dann habe ich dabei nie gedacht: ‚Oha – ich überdenke meine politischen Überzeugungen vielleicht doch besser mal!‘ So funktioniert das nicht. Aber wenn jemand mit mir redet – dagegen kann ich mich kaum wehren. Wenn jemand eine Flasche nach mir wirft, dann weiß ich: ‚Das ist mein Feind, den mach ich fertig!‘ Aber wenn das nicht passiert, dann wird es schwierig. Also müssen wir hingehen und mit den Leuten reden. Heute weiß ich: Ich war wütend. Und ich wusste, dass ich einen Hang zur Gewalt habe – aber tief im Inneren war ich stets davon überzeugt, dass ich einer von den Guten war. Ich dachte bis zum Schluss, dass ich das Richtige tue.“

Konfliktforscherin Sasha Havlicek kennt Franks Fall und erklärt: „Niemand hört einfach so auf, ein Extremist zu sein. Viele dieser Gruppen bieten ihren Mitgliedern vermeintlich idealistische Ziele – etwas, was sie in ihrem Alltag nicht finden können. Was wir jedoch noch nicht ganz verstehen, ist der Knackpunkt, an dem ein Mensch mit extremistischem Weltbild schließlich zur Gewalt greift.“

Was wir inzwischen aber durchaus verstehen können, ist der Zusammenhang zwischen Hass, Gewalt und den allgemeinen Lebensbedingungen. Vielleicht habt Ihr ja auch schon mal den Film „Das Experiment“ gesehen, der auf tatsächlichen Begebenheiten beruht. Das echte „Stanford Prison Experiment“ wurde von Philip Zimbardo, einem Psychologie-Professor der Stanford Universität ersonnen und ging aus einem Seminar mit dem Titel „Psychologie der Haft“ hervor. Ziel des Versuchs war es herauszufinden, wie es einen verändert, Häftling oder Wärter zu sein. Zuvor hatte Professor Zimbardo per Anzeige nach College-Studenten gesucht, die an einem Experiment über den „Alltag im Gefängnis“ teilnehmen wollten, und er hatte im Keller der psychologischen Fakultät ein Gefängnistrakt nachbauen lassen. Die Teilnehmer wurden dann ganz zufällig und willkürlich (per Münzwurf) in zwei Gruppen aufgeteilt – in Häftlinge und Wärter. Am ersten Tag des Experiments wurden die Häftlinge unerwartet von der Polizei abgeholt, verhaftet und in den Gefängniskeller der Stanford Universität gebracht, wo sie gedemütigt, ausgezogen und entlaust wurden. Das ganz normale Prozedere eben, wenn man in einen Ami-Knast einfährt. Danach zog sich Zimbardo komplett aus dem Geschehen zurück und beobachtete nur noch. Das 1971 durchgeführte Experiment sollte eine Antwort auf die Frage liefern, welche Umstände Menschen dazu bringen, andere zu unterdrücken und zu quälen. Im Verlaufe des Experiments konnte man dann (ganz wissenschaftlich) beobachten, wie sich die Gruppe der Wärter mit der Zeit immer brutaler gegenüber den Häftlingen verhielt. Diese ließen die Häftlinge schon nach wenigen Tagen Fußfesseln tragen, Klos putzen und jede Menge Liegestütze machen. Dabei drückten sie die Häftlinge mit den Füßen nieder und brüllten sie an. Die Häftlinge ihrerseits wurden mit der Zeit immer niedergeschlagener und brachen teilweise zusammen. Das Ganze eskalierte dermaßen exponentiell, dass das auf 14 Tage angelegte Experiment schon am sechsten Tag abgebrochen werden musste. Dennoch hatte Zimbardo aus diesem Experiment auch seine Lehren gezogen – sein Fazit lautete: Hass und Brutalität gehen nicht vom Individuum aus, sondern allein von dessen sozialer und gesellschaftlicher Rolle, die von den Lebensumständen bedingt wird.

Allerdings wurde bei einer Neuauflage dieses Experiments von 2001 (bei dem sich keine Gruppe so richtig in ihre Rollen fügen wollte und auch keine Gewalt aufkam) durch intensive Recherchen in den Archiven der Stanford Uni entdeckt, dass 1971 den Wärtern von einem Mitarbeiter Zimbardos befohlen wurde, sie sollen alle „richtig harte Typen“ und möglichst „aktiv und engagiert“ sein. Zimbardo selbst erklärte seinen Zufallswärtern ganz klar: „Sie können ein Gefühl der Frustration schaffen – oder auch ein Gefühl der Angst.“ Und das machten die durchaus aktiven und engagierten Wärter dann auch. So konnte man im „Stanford Prison Experiment“ innerhalb kürzester Zeit eine zunehmende Entmenschlichung („Wir haben ja nur Befehle befolgt…“) beobachten, die sich immer schneller und radikaler weiterentwickelte, sodass das Experiment vorzeitig abgebrochen werden musste. In der BBC-Neuauflage von 2001 passierte dagegen so gut wie nichts. Hier wussten beide Gruppen, dass es eine Fernsehshow war und fast alle zeigten sich nur von ihrer besten Seite.

Ganz im Gegenteil zu den Vorkommnissen in Abu Ghraib von 2003 bis 2004 – da wurden Muslime fröhlich von US-Amerikanern gefoltert, die davon dann auch noch ein paar Selfies und Erinnerungsfotos machten, welche später selbstanklagend um die Welt gingen. Aber auch in Abu Ghraib ging die Brutalität nicht von den Individuen aus, sondern von der dort herrschenden Situation. Waterboarding & Co waren ja von der US-Administration als rechtlich legitime Mittel bei der Vernehmung potenzieller Staatsfeinde abgesegnet und empfohlen worden („…die Artikel der Genfer Konvention gelten nicht für Al-Kaida…“). Letztendlich sind Soldaten doch stets darauf trainiert, Befehle zu befolgen – man machte in Abu Ghraib also nichts, was man nicht durfte oder sollte. Außer vielleicht, die sadistischen Erinnerungsfotos zu schießen und dann auch noch öffentlich zu posten…

Offensichtlich befördert ein verordnetes Klima der Gewalt ganz klar ein menschenverachtendes Verhalten – Sasha Havlicek meint dazu: „Das zentrale Thema jeder Spielart des Extremismus ist die Entmenschlichung des anderen. Sobald es ein ‚wir gegen die‘ gibt, ist es erschreckend einfach, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Anführer extremistischer Bewegungen mobilisieren ihre Anhänger, indem sie ein Gefühl existenzieller Bedrohung erzeugen oder ein höheres Ziel in Aussicht stellen. Dem Einzelnen wird vermittelt: Egal, wie klein du dich bisher gefühlt hast – jetzt bist du jemand!“

Das bestätigt auch die persönliche Geschichte von Jesse Morton, einem ehemaligen hochrangigen Dschihadisten: „Für mich war die Welt immer nur schwarz oder weiß. Solange ich denken kann, habe ich nach der Wahrheit gesucht – nach der einen, absoluten Wahrheit. Als Kind wurde ich schwer misshandelt, mit 16 lief ich von zuhause weg und fing an, mit Drogen zu dealen, um irgendwie überleben zu können. Ich wurde schließlich mit einem Haufen Drogen erwischt und landete für 11 Monate im Gefängnis – da hat man viel Zeit zum Lesen. Dabei bin ich dann auch auf die Autobiografie von Malcom X gestoßen. Die hat mich zum Islam gebracht, denn ich konnte mich gut mit Malcolm X identifizieren. Wie er hatte ich zwar eine traumatische Kindheit aber eine gute Schulbildung – und ich wollte einfach so radikal werden wie er. Nach einem Jahr bin ich dann konvertiert und wurde zu Younus Abdullah Mohammad, Repräsentant des Islam. Mein Leben veränderte sich vollkommen – keine Drogen und kein Alkohol, 14 Jahre lang. Der Islam war für mich etwas Reines. Dann stieß ich auf die salafistische Ideologie des Dschihad und saugte sie auf. Kurz darauf gründete ich meine eigene Gruppe: ‚Die Brüder der muslimischen Revolution‘. Und wir sagten ganz öffentlich, dass wir Osama Bin Laden lieben und unterstützen. Mit der Zeit hatten wir es schon ganz gut raus, wie man Leute rekrutiert und radikalisiert. Wenn man als 40jähriger 22jährige für den Salafismus oder den Dschihad anwerben will, muss man wissen, wie die ticken und worauf die anspringen. Bei den Meisten dreht sich alles um Slogans und Gewalt. Und wenn der IS irgendwas zu bieten hat, dann ist es Gewalt.”

Tatsächlich war Jesse Morton in den Nullerjahren einer der aktivsten Anwerber für Al-Kaida in den USA und zahlreiche vereitelte Anschläge konnten mit seiner Webseite in Verbindung gebracht werden. Die hier verfügbaren Propaganda-Clips begannen alle mit der gleichen Grundaussage: Die ganze Welt führe einen erbarmungslosen Krieg gegen den Islam – daher müssten nun alle aufrechten Muslime ihre Brüder und Schwestern verteidigen. Das Ganze war gut und clever gemacht und sprach viele junge Glaubensbrüder an, sodass Jesse Morton alias Younus Abdullah Mohammad bald eine gewisse Berühmtheit in der Salafistenszene erlangte. Insofern muss man sich auch von dem Glauben befreien, dass Extremisten stets gescheiterte Existenzen mit mangelhafter Intelligenz sind. Denn es gibt auch kluge, charismatische und nachdenkliche Menschen, die dem politischen oder religiösen Extremismus verfallen. Diese Menschen werden oft zu sehr effektiven und erfolgreichen Anführern – manche bleiben ihrer extremen Ideologie bis zum Tod treu, andere wenden sich mit der Zeit von ihr ab. Auch Jesse Morton, der heute nicht mehr auf den Namen Younus Abdullah Mohammad hört, hat sich vom Salafismus verabschiedet – sein Umdenken begann, nachdem er (um seiner Verhaftung zu entgehen) aus den USA nach Casablanca in Marokko geflohen war. Hier unterrichtete er englisch an einer Universität, als der arabische Frühling begann: „Nach dem Unterricht redete ich oft mit meinen Schülern und mir wurde klar: Diese Menschen wollten etwas, was für mich immer selbstverständlich war – freie Meinungsäußerung und freie Wahlen. Gleichzeitig wurde ich mit ihren antiamerikanischen Vorurteilen konfrontiert – alle Amerikaner seien fett und nicht gastfreundlich. Da verteidigte ich dann zum ersten Mal die USA. 2011 wurde ich dann in Casablanca festgenommen und an die USA ausgeliefert. Für den Flug haben sie mir Fußfesseln, Augenbinde und Ohrenstöpsel verpasst – ich sah aus wie einer, der nach Guantanamo gebracht wird. Im Flugzeug legte dann der mich begleitende Secret-Service-Man einen Koran vor mich hin und fragte: ‚Wollen Sie den während des Fluges halten?‘ Und dann: ‚Ich muss Sie das fragen: Wollen Sie als Jesse oder als Younus angesprochen werden?‘ Ich glaube, er hat erwartet, dass ich ‚Younus‘ sage – aber ich sagte: ‚Jesse Morton‘. Denn ich wollte tatsächlich wieder Jesse Morton sein – das war der entscheidende Moment, damit begann meine Abkehr vom Extremismus.”

Jesse kam nach drei Jahren Haft wieder frei und arbeitete in verschiedenen Projekten zur Extremismus-Prävention, auch er hat immer fest daran geglaubt, das Richtige zu tun und auf der richtigen Seite zu stehen. Es war für Jesse extrem verstörend, als ihm klar wurde, dass er dafür verantwortlich war, dass so viele Leute wegen versuchter Anschläge und verschiedener Gewalttaten im Gefängnis saßen und er mit seiner damaligen (extremistischen Salafisten-) Sichtweise unrecht hatte.

Ironischerweise haben Neonazis und radikale Islamisten (die RAF gibt’s ja nicht mehr, aber für sie hätte das auch zugetroffen) ein gemeinsames Narrativ: „Unser Weg oder kein Weg – wir machen keine Kompromisse!“ Und auch der vermeintliche Feind ist oft der gleiche: Israel und die Juden. Eine solche Einstellung wird zunehmend populärer und ihre Anhänger organisieren sich mittlerweile international und haben ein erstaunlich breites politisches Spektrum. Das oberste Ziel ist stets die Spaltung der Gesellschaft – es wird polarisiert, was das Zeug hält, damit es schließlich wieder ein klares „Wir gegen die!“ gibt. Dabei sind dann „die“ aber nicht nur Juden, sondern gleich alle Andersdenkenden. Sowas kennen wir ja auch schon aus der deutschen Geschichte…

Wenn heutzutage irgendwo Neonazis aufmarschieren, ist die Antifa nicht weit. Weder in den USA, noch in Deutschland. Teile dieser antifaschistischen Bewegung entschuldigen oder akzeptieren ebenfalls Gewalt als Mittel ihres politischen Kampfes. Diese Einstellung teilen sie mit ihren erklärten Gegnern, die ja auch gerne mal draufhauen. Freiheit ist eben auch immer die Freiheit der Andersdenkenden und wie wir schon erfahren haben, scheint es keinen Neonazi umzustimmen, wenn man ihn gewaltsam attackiert.

Die Konfliktforscherin Sasha Havlicek hat mit ganz verschiedenen Aussteigern aus extremistischen Gruppen gearbeitet, sie sagt: „Als wir anfingen, mit Aussteigern ins Gespräch zu kommen, stellten wir fest, dass sich ihre Geschichten ähnelten, auch wenn ihre Überzeugungen grundverschieden waren. Ob ehemaliger Neonazi oder Salafist – wir haben die Aussteiger dabei unterstützt, ihre ganz persönlichen Erfahrungen weiterzugeben.“ Sasha Havlicek hat auch Jesse Morton dabei unterstützt, seine Abkehr vom radikalen Islam zu vollenden. Dieser bestätigt: „Für jeden Aussteiger kommt irgendwann die ultimative Frage: Wie geht es jetzt weiter? Wenn ein Aussteiger isoliert bleibt, nirgendwo richtig dazugehört und nichts hat, für das er sich engagieren kann, dann wird es irgendwann sehr problematisch. Das ist meine wichtigste Erkenntnis: Als Aussteiger braucht man ein Netzwerk, an das man sich wenden kann. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass Dschihadismus und Rechtsextremismus eine Menge gemeinsam haben – darüber sollte man ruhig mal reden. Denn wenn wir gewalttätigen Extremismus bekämpfen wollen, dann ist es immer vielversprechender auf den Betreffenden zuzugehen, als ihn auszuschließen oder sich irgendwie von ihm abzugrenzen.“

Alle extremistischen Gruppen verfolgen die klare Strategie Anhänger zu mobilisieren, andere Meinungen auszuschalten oder mundtot zu machen. Und sie verfügen über die Mittel, um ihre Zielgruppen innerhalb von Sekunden weltweit zu erreichen. Aber wir – die noch viel zu oft schweigende, nicht-extremistische Mehrheit – wir haben diese Mittel auch. Und damit haben wir die ungleich größere Macht – die Macht der vernunftbasierten, deeskalierenden Kommunikation.

Nutzen wir sie!