Im Griff des Überwachungskapitalismus 3.0

Im Griff des Überwachungskapitalismus 3.0

Schon 2019 warnte die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff in ihrem Bestseller „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ vor den Gefahren, die von den Tech-Giganten Facebook, Google & Co ausgehen. Denn deren Geschäftsmodell – das auf dem Extrahieren unserer persönlichen Daten basiert, die dann genutzt werden, um unser Kaufverhalten zu manipulieren – beutet uns nicht nur als „freien Rohstoff“ aus, sondern untergräbt und zerstört dabei auch unsere demokratischen Institutionen. Doch wie das folgende Interview mit Shoshana Zuboff zeigt, geben sich die neuen Herrscher über unsere Daten nicht damit zufrieden, sie nur zu nutzen, um unser Kaufverhalten vorherzusagen…

In Ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ stellten Sie die These auf, dass die Entstehung der auf ausgiebiger Datenerfassung basierenden Geschäftsmodelle von Facebook, Google & Co – von Ihnen als „Überwachungskapitalismus“ bezeichnet – mit der Entstehung des staatlichen Sicherheitsapparates nach den Anschlägen des 11. September 2001 zusammenfiel. Denken Sie, dass die Corona-Krise eine ähnliche, Veränderungen auslösende Wirkung haben wird?  

Genau das erhoffen sich die Technologieunternehmen mit Sicherheit. Zu unserem Glück sieht die Lage jetzt aber ganz anders aus, als noch vor 20 Jahren. Ich glaube nicht, dass diese Rechnung so einfach aufgehen wird. Die USA haben 2001 ein Trauma erlebt, das ihre Politik der folgenden 20 Jahren bestimmt hat. Vor den Anschlägen ging es der Politik hauptsächlich um umfassende Datenschutz-Gesetze. Nach dem 11. September dauerte es dann gerade mal zwölf Stunden – und die gesamte Diskussion verlagerte sich von Datenschutz-Bedenken zu einem umfassenden Informationsbewusstsein. Es wechselte von der Frage „Wie kontrollieren wir das Silicon Valley?“ zu „Wie nutzen wir diese neuen Technologien, um deren Überwachungspotenzial flächendeckend einsetzen zu können?“

2001 machte Google gerade mal einen Umsatz von rund 86 Millionen US-Dollar. Heutzutage verfügt das Unternehmen über eine Marktkapitalisierung von über einer Billion Dollar. Wie war das innerhalb so kurzer Zeit möglich? Es geschah aufgrund einer grundsätzlich illegitimen Wirtschaftslogik, die damit begann, sich etwas anzueignen, das ihr nicht gehört – so wurden riesige Vermögen gemacht. Dieses spektakuläre Wachstum wäre ohne eine gewisse Rechtsfreiheit nicht möglich gewesen. Das Fehlen von Gesetzen zum Schutz privater Daten ermöglichte es den Tech-Giganten Systeme zu entwickeln, die so konstruiert sind, dass die Benutzer der Plattformen im Dunkeln bleiben. Das Ergebnis ist eine digitale Wirtschaft, die von einer Logik dominiert wird, die im Wesentlichen die privaten Erfahrungen der Menschen für kommerzielle Zwecke missbraucht. Wir dachten, wir würden alle auf dem Weg ins digitale Jahrhundert und zu einer voranschreitenden Demokratisierung mit freiem Zugang zu sämtlichem Wissen sein. Stattdessen haben wir nun ein feudales gesellschaftliches Muster, das auf enormen Unterschieden basiert. Nicht wir haben Zugang zu allen Arten von freiem Wissen, sondern Internetplattformen wie Facebook, Google & Co haben fast vollständigen Zugang zu unseren privaten Daten und damit zu unserer Privatsphäre.