Der neu publizierte Coffeeshop Guide Amsterdam 2015, ist das erste Buch das alle Coffeeshops in Amsterdam beschreibt – sozusagen ein Lonely Planet für Coffeeshops. Aber das Buch ist mehr: die Atmosphäre von Amsterdam wird auf besondere Weise wiedergegeben und erzählt warum das Phänomen Coffeeshops hier seinen Anfang nahm. Ein Buch das nur in Amsterdam möglich ist. Wir trafen uns mit den Autoren der Guide zu einem Gespräch, das dann ganz ander als erwartet ausfiel.
Vorab: Ihr habt uns gebeten, eure Namen zu ändern, habt uns dann aber als Pseudonyme eure eigenen angegeben.
Karl: Ja. Wir arbeiten undercover-undercover. Das heißt, wir verschleiern die Wahrheit mit der Wahrheit. Das Coffeeshop-Guide-Business ist knallhart. Auch während des Interviews tragen wir schwarze Masken und falsche Bärte darunter. Wir haben auch unsere Augen gefärbt und Kontaktlinsen im Haar.
Was hat euch auf die Idee gebracht, einen Reiseführer für die Coffeeshop-Szene in Amsterdam zu schreiben?
Roeland: Tja. Das ist eine gute Frage. Eines Tages saßen wir an einer Gracht in Amsterdam und schauten auf das Wasser. Plötzlich begann sich etwas im Wasser zu bewegen. Fische. Hunderte von Fischen schwammen ganz knapp unter der Wasseroberfläche. Es schien, als ob sie sich vor uns versammelten. Wir schauten nach oben. Die Bäume voll mit Vögeln. Plötzlich landete ein kleiner Vogel auf meinem Knie. Er pickte einige Krümel von meiner Jeans und begann mit mächtiger Stimme zu sprechen: „Ihr werdet meiner Stimme gehorchen und die Coffeeshops dieser Stadt verzeichnen. Dann sollt ihr diese frohe Botschaft den Menschen überbringen, dass dieses Wissen Eigentum sei von allen Völkern.“ Wir sahen einander in die Augen und dachten unmittelbar dasselbe: „Seit wann können Vögel sprechen?“ Dann gingen wir nach Hause und lebten glücklich und zufrieden…
Bis?
Karl: …bis ich eines Tages Roeland fragte:
„Hey, besteht eigentlich ein Guide für Coffeeshops?“
„Nein! Coffeeshops dürfen keine Werbung machen. Ist verboten.“
„Aber wir sind doch kein Coffeeshop.“
Die lange Diskussion darüber, wie freie Meinungsäußerung unausgegorener Drogengesetzgebung gegenüberzustellen ist, endete damit, dass wir uns ans Werk machten. Dabei kalkulierten wir das Risiko mit ein, dass unser Buch auch vom Markt geholt und eingestampft werden könnte. Die Gesetzgebung in den Niederlanden ist nämlich äußerst vage, wenn es um Drogen geht. Aber dazu kommen wir vielleicht später. Ich komme mehr aus der Schreiber- und Verlagsecke und Roeland weiß alles über Coffeeshops. Er kann aus der Hüfte den Unterschied zwischen Indica- und Sativa-Pflanzen erklären – und das so, dass man es versteht.
Roeland: Außerdem stehen wir auf Grün. Ich würde niemals einen Rasen mähen. Das ist eine Barbarei. Wie Heckenscheren. Oder Vegetarier – das sind alles Mörder.
Wie seid ihr an die Arbeit rangegangen?
Das war harte Arbeit. Wir verließen das Haus morgens um sechs Uhr dreißig. Viele, viel zu viele Coffeeshops öffnen bereits um sieben Uhr. Kaum zu glauben, wie viele Menschen sich schon vor dem Frühstück einen Joint reinziehen. Ein paar Coffeeshops in der Haarlemmerstraat haben das als Marktlücke entdeckt und bieten gratis Frühstück zum Joint an. Der Amsterdamer ist ein sehr geschickter Geschäftsmann. Oder Frau, viele Coffeeshop-Besitzer sind Frauen. Meistens tut das den Läden sehr gut. Wo waren wir?
Wie seid ihr an die Arbeit rangegangen?
Karl: In aller Frühe zogen wir los. In die Coffeeshops rein, alles durchtesten, eine genaue Beschreibung machen, den Dealer mit Fragen bewerfen, weiter testen, Lachflash bekommen, raus aus dem Coffeeshop und rein in den nächsten. Ein hundsnormaler Büroalltag sozusagen.
Roeland: Manchmal gab es auch eine Nachtschicht, weil am Abend die Coffeeshops eine völlig andere Atmosphäre haben: Die Musik ist viel lauter, es ist voll. Zum Glück müssen die Coffeeshops um ein Uhr nachts schließen. Das Leben ist hart!
Karl: Die Recherchephase ging über eineinhalb Jahre. Dann alles aufschreiben, Roeland die Menüs, ich die Beschreibung der Coffeeshops, von Native Speakern gegenlesen lassen. Jedes Jahr fragen wir einen Amsterdamer Künstler, um die Gestaltung etwas aufzufetten. Das Cover kommt von ihm und im Inhalt stellt er sein Werk vor. Unser Buch bekommt da mehr Charakter. Es ist überhaupt ein schönes Buch. Mein Lieblingsbuch. Voriges Jahr waren es die fabelhaften Bilder von Jaring Lokhorst. Dieses Jahr ist es Raul Balai; El Bastardo, wie er sich nennt. Ein Typ, der so ziemlich genau das vertritt, was wir an Amsterdam so interessant finden, die Multikulturalität und die fantastische Zivilcourage.
Roeland: Dann geht’s ab in den Druck. Wir haben das Prinzip, alles in Amsterdam machen zu lassen – ist etwas teurer, aber ich mag das Prinzip. Und wenn die Polizei vor der Türe steht und behauptet, dass alles illegal sei, was wir hier tun, dann können wir immer noch erzählen, dass Arbeitsplätze, bla bla bla.
Karl: Das Spiel wiederholt sich jedes Jahr. Die Testphase ist etwas kürzer, wir checken einfach, ob sich was an den Coffeeshops verändert, wie viele noch übrig sind.
Wie viele Coffeeshops sind in eurem Guide vertreten?
Das ist schwer zu sagen, weil es sich noch während wir hier sprechen verändert. Es sind nach letzter Zählung noch etwa 180 Shops übrig.
Wie haben die Betreiber der Coffeeshops reagiert? Fällt euch eine besondere Geschichte ein, die sich bei eurer Recherche ereignet hat?
Karl: Einmal hat ein Vogel auf Roelands Kopf gemacht. Das war sehr lustig. Sonst eigentlich nichts zu erzählen. Wir gehen in einen Coffeeshop rein, der Betreiber hört, was wir vorhaben, holt sein Gewehr unter dem Tresen raus und beginnt auf uns zu schießen. Wir retten uns meistens mit einem beherzten Sprung in die Grachten. Nicht ungefährlich, das Ganze. Letztes Jahr fiel ein kleines Mädchen von einer Brücke ins Wasser. Ihr Vater sprang nach. Das Mädchen überlebte, der Vater nicht. Aber im Ernst: Meistens reagieren die Coffeeshop-Betreiber sehr positiv auf unser Projekt. Ein paar Coffeeshops verkaufen unser Buch ganz großartig.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Shops und deren Grasangebot getestet?
Karl: Das ist eine teuflisch scharfe Frage. Ja. Wie ein Stück roter Chilischote. Das erinnert uns an den Super Skunk, den wir 1976 geraucht haben.
Roeland: 1976 war ich noch gar nicht geboren.
Karl: Ach ja, natürlich. Das war das Jahr, als die ersten Coffeeshops ihre Türen öffneten. „Rusland“ und das „Bulldog“ im Red Light District. „Mellow Yellow“ war schon eine Zeitlang offen. (Das heutige Mellow Yellow hat übrigens nur noch den Namen. Wer das ursprüngliche Interieur sehen will, kann das in einem Museum in Haarlem.) Wir haben einen Artikel in unserem Buch darüber, welches nun eigentlich der erste Coffeeshop in Amsterdam (und auf der Welt) war. Damals tarnten sie sich noch als Teehaus, oder eben als Kaffeehaus. Im Mellow Yellow begannen sie damit, dass der Dealer nicht hinter dem Tresen, sondern davor stand. So wie ein Kunde, der zufällig, mit den Taschen voller Gras, reinschneit. Waren ziemlich harte Jungs, die Pioniere. Später zogen sie nach Westen, fanden Gold und gründeten San Francisco.
Kriterien: Wir erzählen etwas über die Atmosphäre, wie es sich darin anfühlt; ich stehe auf kleine Geschichten, die sich ereignet haben, oder was schräg daran ist. Was wir nicht verraten ist, wie uns das Gras geschmeckt hat. Das wäre nicht ehrlich. Denn die Qualität ist keine feste Größe und ist abhängig von Ernte und Lieferant, aber da sind eure Leser vermutlich größere Experten als wir. Dafür zählen wir auf, was es zu rauchen gibt und was es kostet. Das teilen wir schön in Sativa und Indica ein.
Wie hat sich die Szene in der Hanfmetropole in den letzten Jahren verändert? Man hört immer wieder, dass konservative Politiker die Coffeeshops einschränken oder sogar komplett schließen wollen…
Roeland: Opa Ivo lebt im kleinen Städtchen Den Haag im Südwesten der Niederlande – Den Haag verhält sich zu Amsterdam ungefähr so wie Rothenburg ob der Tauber zu Berlin. Opa Ivo hasst alles, was nicht schön und ordentlich ist, er magʼs nicht wild und laut. Er mag keine jungen Menschen. Aus völlig undurchsichtigen Gründen wurde er 2010 von Ministerpräsident Mark Rutte von der regierenden rechtsliberalen Partei VVD zum Justizminister bestellt. Über Mark Rutte behaupten böse Zungen, dass er noch niemals Sex hatte.
Wer behauptet das?
Karl: Böse Zungen und das königliche Volk der Niederlande.
Warum hatte er noch niemals Sex?
Roeland: Keine Ahnung.
Wahnsinn. Der Mann ist Ende Vierzig.
Karl: Noch niemals Sex.
Wahnsinn.
Roeland: Opa Ivo hasst Coffeeshops und alles, was mit Drogen zu tun hat. Die derzeit sehr produktiv und vielschichtig geführte Diskussion über das Problem, dass die Belieferung der Coffeeshops (die Hintertüre der Coffeeshops) immer noch nicht gesetzlich geregelt ist, prallt an Opa Ivo ab wie an einer Feuermauer.
Fakt ist, dass Ivo Opstelten gerne das ganze Coffeeshop-Business abdrehen möchte. Er war zuständig für die Weedpass-Diskussion, dass Ausländer keine Coffeeshops mehr besuchen dürfen. Und da wird der Unterschied zwischen der hinterwäldlerischen Politik in Den Haag und der, die in der offenen Stadt Amsterdam gemacht wird, deutlich. Amsterdam (und viele andere Städte) sagten sofort: „Mit uns sicher nicht! Bei uns darf jeder rein.“ Leider mussten Kompromisse gemacht werden, die nun so lauten, dass Coffeeshops in Schulnähe schließen müssen – das sogenannte „afstandskriterium“. Das passiert leider jetzt gerade in Amsterdam. Dann ergeben sich so bizarre Geschichten wie die, dass auf dem Nieuwezijds Voorburgwal vor ein paar Jahren eine Schule errichtet wurde, mit ein paar Dutzend Schülern bloß, und laut des neuen Gesetzes jetzt zwölf Coffeeshops, die teilweise schon seit über fünfundzwanzig Jahren dort beheimatet sind, zumachen müssen. Coffeeshop-Besitzer sind sehr erfinderisch und haben auch das nötige Kapital und es kam die Idee auf, die Schule zu kaufen und irgendwo anders abzusetzen. Der Direktor, der von der Idee hörte, sagte als erste Reaktion: „Ich sage mit Sicherheit nicht sofort Nein!“ Leider ging sich das zeitlich nicht mehr aus, und jetzt müssen so feine Coffeeshops wie Homegrown Fantasy, Utopia oder eins der beiden Abraxas schließen.
Hattet ihr auch Kontakte zu den Zulieferern der Shops – den Growern und Kurieren – und direkt miterlebt, wie das Gras letztendlich aus dem Growraum im Coffeeshop landet?
Karl: Das ist gar nicht so schwierig. Man muss sich bloß mal vor einen Coffeeshop setzen und ein wenig warten. In einem ordentlichen Coffeeshop gehen pro Tag gut mal zwei, drei und mehr Kilo über den Ladentisch. Laut Gesetz darf man nur fünfhundert Gramm lagern. So sieht man bald einen sogenannten „Runner“ vorbeikommen, meistens ein Kerl auf einem Moped, der Nachschub bringt. Der holt das Zeug irgendwo aus einem Lagerraum in der Stadt. Wie der grüne und braune Stoff dort hinkommt, da möchten wir eigentlich nicht zu dicht dabei sein. Besonders die größeren Margen kommen über weniger saubere Wege, da braucht man sich keine Illusionen machen. Da geht’s Hand in Hand mit Menschenschmuggel und kriegt eine Dimension, wo wir lieber die Finger von lassen. Aber nicht alles ist so. Eine Freundin von uns hatte einmal ein paar Pflanzen zu viel, und hat diese ganz einfach an den Coffeeshop ums Eck verkauft.
Habt ihr eine persönliche Top Ten von Shops und Sorten?
Karl: Das ist eine gute Frage, die muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Gute Fragen sind wie guter Wein. Genau. Oder ein schönes Stück Hasch aus Nepal mit etwas Thai. Damit wären wir eigentlich schon am Punkt. Hasch aus Nepal – eindeutig. Zum Glück ist das Angebot in Amsterdam sehr reichhaltig und die Qualität sehr hoch.
Roeland: Top Ten der Coffeeshops: Es ist erstaunlich, aber wir sind eigentlich sehr schlecht darin, etwas zu empfehlen, weil wir sie alle ins Herz geschlossen haben – jeder Coffeeshop hat was. Deshalb haben wir eine sehr umfangreiche Best-of-Liste in unserem Buch; je nachdem, was man möchte: draußen sitzen, gute Musik, professionelle Beratung/Bedienung, was zu essen, Authentizität, das Billigste, das beste Design, man ist zum ersten Mal da, usw. Ein bisschen was ist auch auf unserer Website www.cofdam.com zu finden. Mit vielen Farben und coolem Design und so. Es gibt dort auch das Buch zu kaufen. Und unsere App.
Karl: Wir arbeiten schon an der Ausgabe für 2016 bis 2022. Zum Glück kann Roeland hellsehen und die Zukunft voraussagen.
Roeland: Ja, zum Glück!
Karl: Ich hoffe, wir werden bald wieder zu einem Interview eingeladen. Wann immer ihr was über die Szene in Amsterdam und der Niederlande wissen wollt. Wir wissen gut Bescheid.
Das Buch gibt es in Amsterdam in ausgesuchten Souvenirläden, im Buchhandel und Smart-, bzw. Growshops.
Oder online: www.cofdam.com und bei Amazon.com.
Coffeeshop Guide Amsterdam 2018
Sprache: Englisch
Buchgröße: 14,8 x 14,8 x 1,3 cm
190 Seiten
farbig
ISBN-13: 978-90-821366-0-9
Preis: 9.90 Euro