Universal-Basic-Income-(01)

„Wir gestatten uns gegenseitig zu existieren…“

Ist das Bedingungslose Grundeinkommen die richtige Antwort auf eine sich radikal ändernde Arbeitswelt? Zumindest stellt es schon mal die richtigen Fragen.

„What would you do if your income were taken care of?“ Vor ungefähr einem Jahr war diese Frage in riesigen Buchstaben auf einer 400 Meter langen begehbaren LKW-Plane zu lesen, ausgerollt im Berliner Tiergarten zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Wirklich zu lesen war sie eigentlich nur aus der Vogelperspektive – vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass es sich dabei um mehr als ein einfaches Transparent handelte. Hier wurde eine grundsätzliche, ja universelle Frage gestellt. Um über solche Fragen nachzudenken, muss man sich wohl manchmal einfach in den Himmel erheben. „What would you do…?“ Also was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre, ohne den Zwang, dafür zu arbeiten oder irgend eine andere Gegenleistung erbringen zu müssen? Ohne jegliche Bedingungen? Für die Veranstalter der Aktion in Berlin, die damit für die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens warben, ist das die wichtigste Frage unserer Zeit. Den größten Teil unseres erwachsenen Lebens verbringen wir schließlich mit unserem „Lebensunterhalt“, also mit Erwerbsarbeit, und das nicht immer unter den angenehmsten Bedingungen. Die Angst um die eigene Existenz und der daraus resultierende Leistungs- und Konkurrenzdruck lassen viele Menschen in Arbeitsverhältnissen ausharren, die sie innerlich wahrscheinlich lieber heute als morgen verlassen würden. Was wäre, wenn dieser Zwang wegfallen würde? Wären wir dann endlich frei, uns für eine Tätigkeit zu entscheiden, die uns wirklich Spaß macht? Würden wir überhaupt noch arbeiten?

Neben diesen fast schon philosophischen Überlegungen steckt hinter der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens vor allem die Einsicht, dass unser derzeitiges Wirtschafts- und Sozialsystem auf lange Sicht nicht so weiter funktionieren kann. Und dass wir den Begriff der „Arbeit“ vielleicht ganz neu definieren müssen. Die Globalisierung und nicht zuletzt die Digitalisierung haben in den letzten Jahren zu einem radikalen Wandel der Arbeitswelt geführt. Ein klassisches Berufsleben mit 40-Stundenwoche und sicherer Rente, wie es für unsere Eltern-Generation noch üblich war, wird für die meisten von uns immer seltener und unwahrscheinlicher werden. Wer nicht bereits von einem Roboter ersetzt wurde, dessen Job erledigt bald wahrscheinlich eine Drohne oder ein Algorithmus. Flexibilität und Weiterbildung lauten daher die Schlagworte der modernen Arbeitsvermittlung. Das letzte große Konzept zur Reform des deutschen Sozialsystems, die Agenda 2010, setzte vor allem auf eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Zehn Jahre nach ihrer Einführung hat diese aber vor allem zu einem rasanten Zuwachs der Zeitarbeit- und Billiglohn-Branche geführt. Das mag günstig für die Frisierung der Arbeitslosen-Statistik sein, für die dort Beschäftigten aber wohl eher weniger. Zeitlich begrenzte Minijobs am Rande des Existenzminimums können wohl auch kaum ein dauerhaftes Konzept für die Zukunft unserer Arbeit sein. Der Mensch wird ganz offensichtlich im Arbeitsprozess immer überflüssiger, existenzsichernde Arbeitsplätze wird es nach heutigen Maßstäben in Zukunft also immer weniger geben. Dies zu akzeptieren, würde für die Politik bedeuten, sich endlich von den ewig gleichen Wahlversprechen zu verabschieden und nach Alternativen zu der viel beschworenen „Vollbeschäftigung“ zu suchen. Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre eine solche Alternative. Allerdings eine, die wohl nicht ohne Widerstände durchzusetzen sein wird.

Wie gesagt, der Begriff der „Arbeit“ steht auf dem Prüfstand und damit auch das Selbstverständnis, dass wir damit immer noch verbinden. Wer keiner „ordentlichen“ Arbeit nachgeht, der steht gerade in Deutschland schnell im Verdacht, kein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein, eher schon ein Schmarotzer, der auf Kosten der Anderen, also der ehrlich und hart arbeitenden Menschen lebt. Absurderweise sind es aber oft dieselben Menschen, die einem erzählen, wie sehr sie ihren Job hassen und die sich dennoch ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen können. An dieser Mentalität kratzt das Bedingungslose Grundeinkommen. Der Krautreporter Rico Grimm, der sich bereits seit einiger Zeit für die Idee des Grundeinkommens stark macht, beschreibt es so: „Trifft ein Deutscher einen anderen Deutschen, fragt er: ‚Und was machst du so?‘ und meint damit immer die Arbeit. Eine saublöde Angewohnheit in einer Welt, in der nicht jeder Arbeit hat oder eine Arbeit, die als ‚sozialversicherungspflichtige Beschäftigung‘ gilt, oder nicht jeder seine Arbeit so sehr liebt, dass er unablässig über sie reden will.“

Die erste Frage im Zusammenhang mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen lautet fast immer: Wie soll das eigentlich finanziert werden? Ein freies Einkommen für alle, egal wie arm oder reich, einfach so aus dem Staatshaushalt – das klingt nach einer gewaltigen finanziellen Anstrengung. Die Befürworter des Grundeinkommens haben das natürlich nachgerechnet, denn ohne eine sinnvolle Finanzierbarkeit wäre das Thema wohl schon längst vom Tisch. Über die konkrete Summe gibt es allerdings unterschiedliche Meinungen. Schätzungen schwanken zwischen 600 und 1.500 Euro für ein monatliches Grundeinkommen – je nachdem, ob damit nur das reine Existenzminimum abgedeckt werden soll oder die Möglichkeit, auch ohne Arbeit seinen Lebensunterhalt ausreichend zu bestreiten. Welche Summe wäre tatsächlich finanzierbar?

Dazu ein paar Zahlen: Das Bruttoinlandsprodukt betrug in Deutschland 2016 über 3.000 Milliarden Euro. In Worten: Dreitausend Milliarden. Der Sozial-Etat betrug dabei ca. 890 Milliarden Euro, das heißt, diese Summe wird vom deutschen Staat aktuell bereits für Sozialleistungen wie BAföG, Stipendien, Wohngeld, Kindergeld und nicht zuletzt für das Arbeitslosengeld I und II ausgegeben. Mit dem selben Betrag könnte man genauso gut ein monatliches Grundeinkommen für alle von jeweils rund 1.000 Euro finanzieren. Gerade die Hartz IV-Empfänger erhalten ja bereits eine Art Grundeinkommen, nur ist dieses eben an ziemlich repressive Bedingungen geknüpft, die ein ebenfalls staatlich finanzierter Verwaltungsapparat permanent überwachen muss. Würde allein durch den Wegfall dieser Bürokratie nicht zusätzlich eine ungeheure Menge Geld eingespart werden? Ausreichend Geld wäre ja jetzt schon vorhanden, mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen würde es nur anders verteilt werden. Für die zukünftige Finanzierung könnten außerdem neue Formen der Steuererhebung eingeführt werden. Dazu ist aber erst einmal der politische Wille entscheidend, das derzeitige Sozialsystem im Sinne aller, also menschlicher, umzubauen.

Vorausgesetzt, die Berechnungen gehen auf: Wie könnte das Bedingungslose Grundeinkommen dann tatsächlich Realität werden? Zunächst werden dazu natürlich politische Mehrheiten benötigt. Laut einer Studie des Vereins „Mein Grundeinkommen e.V.“ würde ein Drittel der deutschen Bevölkerung aktuell bereits die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens voll und ganz unterstützen. Etwa 44 Prozent finden die Idee grundsätzlich gut, hätten aber noch „offene Fragen“. Nur 21 Prozent lehnen es der Studie zufolge komplett ab. Interessant ist, dass mehr als 80 Prozent der Befragten angaben, auch mit einem Grundeinkommen auf jeden Fall weiterhin arbeiten zu wollen. Das klingt doch schon einmal hoffnungsvoll, eine Mehrheit im Bundestag wird daraus aber natürlich noch nicht. Um so wichtiger ist es, das Thema noch stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. In Finnland ist man da schon einen Schritt weiter, dort testet die Regierung das Grundeinkommen bereits in der Praxis. Seit Januar 2017 erhält eine Gruppe von 2.000 zufällig ausgewählten Arbeitslosen anstelle ihres Arbeitslosengeldes 560 Euro im Monat, ohne dass daran Bedingungen geknüpft sind. Ein entsprechendes Volksbegehren war in Finnland vor ein paar Jahren noch gescheitert, inzwischen setzt aber offenbar ein Umdenken ein.

Wie sinnvoll dieses Umdenken ist, beweist auch der Umstand, dass das Bedingungslose Grundeinkommen nicht nur (wie man vermuten könnte) Befürworter in den Reihen der vermeintlich „Bedürftigen“ hat, sondern auch bei prominenten Unternehmern wie Götz Werner, dem Inhaber der dm-Drogerie-Kette oder dem Schweizer Daniel Häni. Das Thema ist also längst in der Wirtschaft angekommen. Daniel Häni ist auch Autor des Buches “Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das Bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt” in dem auch er die fundamentale gesellschaftliche und soziale Bedeutung des Grundeinkommens thematisiert:  „Die Konstellation, dass die einen die Gebenden und die anderen die Nehmenden sind, darf man sozial nicht unterschätzen. Wer verteilt, hat Macht. Wer empfängt, fühlt sich verpflichtet. Damit räumt das Grundeinkommen auf. Ich muss nicht mehr danken und gehorchen. Ich werde souverän. Ich erhalte das Grundeinkommen nicht, weil ich es brauche, sondern weil ich Mensch bin. Ich bin der Grund für das Grundeinkommen. Nicht meine Bedürftigkeit. Wir gestatten uns gegenseitig zu existieren. Bedingungslos. Das ist Emanzipation in höchster Form.“

Auch in der Schweiz ist die letzte Volksabstimmung zum Grundeinkommen noch gescheitert, aber auch dort wird das Thema immer bekannter und dringlicher. In Deutschland, wo das mit der direkten Demokratie bekanntermaßen etwas schwieriger ist, gibt es zumindest schon privat finanzierte Initiativen in dieser Richtung. Auf www.mein-grundeinkommen.de werden zum Beispiel durch Crowdfunding Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro für jeweils ein Jahr verlost. Die Erfahrungen, die dort gesammelt werden, helfen hoffentlich, das Bedingungslose Grundeinkommen auch hierzulande noch populärer zu machen und im besten Fall Anstöße für politisches Handeln zu geben. Wie heißt es so schön: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist!“. Von politischen Mehrheiten sind wir vielleicht noch etwas entfernt. Immerhin hat sich das Bedingungslose Grundeinkommen aber schon von einem ehemaligen Minderheitenthema zu einem ernstzunehmenden Zukunftsmodell entwickelt, das immer mehr Zuspruch erhält. Eine Frage bleibt am Ende aber immer noch stehen: Was würdest Du tun?