Cannabis bzw. dessen Inhaltsstoffe können im menschlichen (und tierischen) Körper nur deshalb so effizient wirken, weil wir über ein entsprechendes körpereigenes (endogenes) System verfügen, dass diese Moleküle, Cannabinoide genannt, aufzunehmen fähig ist. Natürlich können psychoaktive Substanzen auch unspezifisch, also ohne eigenes Rezeptorensystem, wirken – der Alkohol ist dafür ein dankbares Beispiel. Beim Cannabis und den Cannabinoiden ist das allerdings anders, denn unser Körper ist richtiggehend dafür angelegt, diese Stoffe umzusetzen. In diesem Artikel schauen wir uns also das System der körpereigenen Cannabinoide und Cannabinoid-Analoga an, das zur pharmakologischen Ausstattung von Mensch und Tier gehört und in Lebewesen regulierende Aufgaben übernimmt und erfüllt.
Im Fachjargon nennt man dieses körpereigene System das Endocannabinoidsystem (abgekürzt ECS), also das System der endogenen (körpereigenen) Cannabinoide. Dieses System übt in uns regulierende Funktionen aus, das heißt vereinfachend erklärt: Besteht irgendwo in unserer körpereigenen Pharmakologie oder unserem Biosystem ein Mangel oder Überschuss, so greift das Endocannabinoidsystem ein und reguliert diese Abweichungen auf die Normfrequenz. Deshalb weist Cannabis ein so weites Spektrum an heilkräftigen Wirkeigenschaften auf, weshalb wiederum medizinisch verwendete Cannabinoide so effektiv als Pharmazeutika sind. Auf welche körpereigenen Mechanismen das ECS einwirkt bzw. einwirken kann, erfahren wir im Laufe des Artikels.
Was sind eigentlich Cannabinoide?
Cannabinoide sind chemisch betrachtet Moleküle, die aus der Biosynthese von Terpenphenolen entstehen – viele von ihnen weisen ein psychoaktives Wirkprofil auf, wie zum Beispiel der hauptwirksame Inhaltsstoff der Cannabispflanze, das THC (Tetrahydrocannabinol), andere sind nicht psychoaktiv wie zum Beispiel das zurzeit sehr beliebte CBD (Cannabidiol). Die in der Hanfpflanze vorliegenden Cannabinoide werden Phytocannabinoide genannt, also pflanzliche Cannabinoide, und mittlerweile ist gesichert, dass diese nicht nur in Cannabis nachweisbar sind, sondern auch in anderen Pflanzen. Darüber hinaus kennen wir die in diesem Text besprochenen Endocannabinoide, also die körpereigenen Cannabinoide bzw. Cannabinoid-Analoga, die Mensch und Wirbeltier im Körper produzieren, sowie eine große Reihe synthetischer Cannabinoide, die heutzutage durch das Hanfverbot in immer größerer Zahl „erfunden“ und unters Volk gebracht werden (und gerade per Stoffklassenverbot in Deutschland illegalisiert wurden).
Eine kurze Historie des Endocannabinoidsystems
1988 wurde von den Wissenschaftlern Devane, Howlett, Melvin und Johnson (Medizinische Fakultät; Saint Louis Universität Missouri/USA) der erste Cannabinoid-Rezeptor (CB1) und 1990 der zweite (CB2) im Körper des Menschen und einiger Säugetiere entdeckt. Diese Rezeptoren, die sowohl im Gehirn als auch im restlichen Körper zu finden sind, haben vereinfachend erklärt keine andere Aufgabe, als ankommende Cannabinoide (egal ob endogene oder exogene) andocken zu lassen und diese sozusagen zur Wirkungsentfaltung zu befähigen.
Die Entdeckung der Cannabinoid-Rezeptoren war eine Revolution, was gerade die Hanfraucher-Gemeinde in pures Entzücken versetzte, war ja jetzt bewiesen, dass physiologische Empfangsstationen für die geliebten, aber vom Staat verbotenen Substanzen jedem Menschen von Natur aus und zeitlebens innewohnen. Was für ein Triumph. Doch kam es noch deutlich dicker. Mit der Erkenntnis, dass diese spezifischen Rezeptoren im menschlichen Körper vorhanden sind, entwickelte sich nämlich schlussfolgernd die nun nahe liegende Idee von körpereigenen Cannabinoid-Analogen, also Cannabiswirkstoffen, die wir selber herstellen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Warum sonst sollte es die Cannabinoid-Rezeptoren geben?
Nur kurze Zeit später, im Jahr 1992, fanden Professor Dr. Raphael Mechoulam (Hebrew University, Medical Faculty, Department of Natural Products, Jerusalem, Israel) und sein Team dann tatsächlich heraus, dass Mensch und Wirbeltier über ein endogenes Cannabinoidsystem verfügen. Nun konnte die wissenschaftliche Welt sich der Bedeutung der entdeckten Cannabinoid-Rezeptoren sicher sein.
Diesen ersten entdeckten körpereigenen Cannabis-Wirkstoff nannte die Forscher-Formation Anandamid, wissenschaftlicher Name: Arachidonylethanolamid. Ananda kommt aus dem Sanskrit (einer alt-indischen Sprache) und bedeutet so viel wie Glückseligkeit. Anandamid bezeichnet also das ‚Amid der Glückseligkeit’. Arachidonylethanolamid ist, wie der chemische Name schon sagt, ein Derivat der Arachidonsäure, einer Fettsäure innerhalb der Zellmembranen, und besetzt in der Hauptsache CB1-Rezeptoren.
1993 wurden zwei weitere Anandamide, die Endocannabinoide Homo-Gamma-Linolenylethanolamid und Docosatetraenylethanolamid, entdeckt. 1995 konnte die israelische Forschergruppe um Dr. Raphael Mechoulam ein viertes Endocannabinoid, das 2-Arachidonylglycerol (2-AG), nachweisen. 2-AG stimuliert neben den CB1-Rezeptoren auch die Rezeptoren der CB2-Gruppe. Außerhalb des menschlichen oder tierischen Körpers wurden Anandamide interessanterweise in der Bohne der Kakaopflanze (Theobroma cacao) sowie im aus Vitis vinifera gewonnen Rotwein nachgewiesen.
2002 stellten Wilson et al. zusätzlich die These und Vermutung auf, es könne einen CB3-Rezeptor geben – der seit 1999 nachgewiesene GPR55-Rezeptor (G Protein-Coupled Receptor 55) wird seitdem als ebenjener gehandelt.
Das Endocannabinoidsystem im Detail
Das Endocannabinoidsystem, kurz ECS, besteht aus drei Komponenten:
- den Cannabinoidrezeptoren
- den Endocannabinoiden
- speziellen Proteinen, die an der Herstellung bzw. dem Abbau der Endocannabinoide beteiligt sind
Schauen wir uns die beiden wichtigsten Cannabinoidrezeptoren an: CB1 und CB2. Zu Beginn der Forschungen waren die Wissenschaftler der Ansicht, der CB1-Rezeptor komme ausschließlich im Hirn vor, was sich aber als falsch erwies. Der CB1-Rezeptor ist in einer Vielzahl von Organen und Körperbereichen zu lokalisieren, zum Beispiel auf den Immunzellen, im peripheren Nervensystem, im Urogenitaltrakt, im Magen-Darm-Bereich, im Hoden, in Blutgefäßen, im Herzen und in der Milz, allerdings kommt CB1 tatsächlich vornehmlich im Gehirn vor. Dort ist er auch einer der häufigsten Rezeptoren und kommt unter anderem im Hippocampus und den Basalganglien sowie in Hirnregionen, die für Sinneswahrnehmungen, Kognition und andere Belange zuständig sind, vermehrt vor. Deshalb führt eine Aktivierung dieser Rezeptoren zu einer gesteigerten Sinneswahrnehmung, so werden Farben intensiver wahrgenommen, Musik anders rezipiert, Speisen und Getränke schmecken deutlich intensiver etc. pp.
Im Hirnstamm, der für Regulierung von Herzaktivität und Atmung zuständig ist, kommt CB1 hingegen nicht vor. Deshalb können wir davon ausgehen, dass aus diesem Grund keine tödliche Überdosierung mit Cannabinoiden möglich ist. CB1 hat protektive Eigenschaften, weil es im zentralen Nervensystem die Aktivität von Neurotransmittern (den körpereigenen Botenstoffen) reguliert. Die CB1-Rezeptoren befinden sich an den Enden der Nervenzellen und hemmen jegliche übermäßige Aktivität dieser Botenstoffe, wie zum Beispiel Dopamin, Norepinephrin (Noradrenalin), Glutamat, Serotonin etc., was zu den regulierenden Wirkungen führt. Beispiele für solche regulative Mechanismen sind Schmerzlinderung, Verminderung von Übelkeit und Erbrechen, Regulation der Muskelaktivität (vorteilhaft bei Spastiken, Epilepsie usw.) und die Linderung von psychischen Leiden (Angstzuständen, Depressionen, Unruhezuständen, Hyperaktivität etc.).
Der CB2-Rezeptor befindet sich ebenfalls verteilt über das zentrale Nervensystem (unter anderem wurden CB2-Rezeptoren auf den Immunzellen weißer Blutkörperchen und der Milz gefunden), jedoch mit geringerem Vorkommen als CB1. Cannabinoid-2-Rezeptoren finden sich in größerer Anzahl an den sogenannten Mikroglia-Zellen, die immunologische Funktionen erfüllen, also das körpereigene Verteidigungssystem darstellen. Das System der CB2-Rezeptoren hat damit direkt Anteil an den Schutzmechanismen der Immunabwehr.
Sprechen wir über die körpereigenen Cannabinoide bzw. Cannabinoid-Analoga (Analoga sind ähnliche Moleküle bzw. Substanzen, die eine ähnliche Pharmakologie bzw. Rezeptorenaffinität aufweisen). Die vier bekannteren hatten wir in dem kurzen Abriss zur Geschichte der Erforschung dieser endogenen Stoffe bereits angerissen. Dies sind:
- Arachidonylethanolamid (20:4, n-6)
- Homo-Gamma-Linolenylethanolamid (Anandamid (20:3, n-6))
- Docosatetraenylethanolamid (Anandamid (22:4, n-6))
- 2-Arachidonylglycerol (2-AG)
(Bei der Zahlenkombination in Klammern handelt es sich um eine 1994 von Raphael Mechoulam eingeführte nomenklatorische Definition, nach der die erste Zahl für die Quantität der Kohlenstoffatome und die zweite für die der Doppelbindungen steht.)
Es sind aber bis zum heutigen Tage etwa 200 strukturell ähnlicher Verbindungen nachgewiesen worden, zum Beispiel Arachidonoylglycin, Arachidonoylserin, Oleoylethanolamid, Oleoylserin, Palmitoylethanolamid, Stearoylethanolamid usw. Das System der endogenen Cannabinoide ist also enorm umfangreich. Diese endogenen Cannabinoide sind nicht nur mit den CB1-, CB2- und den CB3-Rezeptoren (den 1999 entdeckten GPR55-Rezeptoren), sondern darüber hinaus auch mit Vanilloid- und anderen Rezeptoren assoziiert.
Als letztes werfen wir der Vollständigkeit halber einen Blick auf die Proteine, die im Körper für die Produktion und den Abbau von Endocannabinoiden zuständig sind. Die Proteine, die für die Biosynthese von endogenen Cannabinoiden verantwortlich sind, heißen:
- N-Acyltransferase (NAT)
- N-Acylphosphatidylethanolamin-spezifische Phospholipase (NAPE-PLD)
- Diaclglycirollipase (DAGL).
Die Biosynthese von endogenen Molekülen ist im Detail ein Thema für Fachleute. Die genaue Beschreibung dessen würde den Rahmen, der hier zur Verfügung steht, bei Weitem sprengen. Wichtig ist nur zu wissen, dass manche speziellen Proteine mittels chemischer Vorstufen (das können verschiedene Moleküle sein) die körpereigenen Wirkstoffe produzieren, wohingegen andere den Abbau der Substanzen bewerkstelligen. Das Protein, das beispielsweise für den Abbau von Anandamid zuständig ist, nennt sich Fettsäureamidhydrolase (FAAH) und dasjenige, das 2-AG abbaut, heißt Monoacylglycerollipase (MAGL).
Die Funktionen des Endocannabinoidsystems
Die zahlreichen regulierenden Effekte, die vom ECS ausgehen, gliedern sich in die Funktionen, die sich im Gehirn abspielen, und in die Funktionen, die in anderen Organen wichtige Vorgänge triggern oder hemmen.
Im Gehirn hat das ECS unter anderem Anteil an psychischen Faktoren wie unserem Wohlbefinden, aber auch an Angst und Depressionen, an Lernprozessen, am Gedächtnis, an der Kognition und kognitiven Fähigkeiten, an der Motivationsfähigkeit sowie an der Möglichkeit des Vergessens traumatischer Begebenheiten oder unschöner Augenblicke.
Die Funktionen des ECS an anderen Organen erstrecken sich über Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem, die Haut, das Immunsystem, das Knochengerüst, die Leber, den Magen-Darm-Bereich, die Muskulatur und den Urogenitaltrakt.
Das ECS kann dabei von den diversen Molekülen aktiviert oder auch gehemmt werden, was sich natürlich auch unterschiedlich auf den Körper und etwaige Erkrankungen auswirkt. So begünstigt eine Aktivierung des CB1-Rezeptors zum Beispiel entzündliche Prozesse innerhalb des Herz-Kreislauf-Systems sowie eine Verkalkung der Blutgefäße, während eine Aktivierung des CB2-Rezeptors beidem entgegenwirkt. Dabei muss man wissen, dass die Cannabinoide unterschiedliche Affinitäten zu den Cannabinoid-Rezeptoren aufweisen können. Einige aktivieren nur CB1, andere nur CB2 und manche, wie beispielsweise Tetrahydrocannabinol (THC), aktivieren sowohl CB1 als auch CB2. Dieses Wissen ist vor allem für die pharmazeutische und medizinische Forschung von ganz besonderer Relevanz, weil die spezifische Aktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren bei vielen Krankheiten hilfreich sein kann.
Die Forschung ist, was das ECS angeht, nach wie vor in vollem Gange. So wurde, unter anderem und um nur einige Beispiele zu nennen, festgestellt, dass körpereigene Cannabinoid-Analoga maßgeblich das normal funktionierende Immunsystem beeinflussen und dass das ECS eine enorm große Rolle bei der Regulation und den Funktionen des Magen-Darm-Trakts spielt. Weiterhin ist bekannt, dass sich im Falle einer Erkrankung der Leber dort vermehrt Cannabinoid-Rezeptoren bilden. Das Endocannabinoid-System ist überdies am Knochenwachstum und an der normalen Funktion der Haut – die Knochen- und Hautzellen selbst produzieren sogar Endocannabinoide! – sowie an der Bildung von Muskelfasern in hohem Maße beteiligt. Eventuell ist das ECS auch an den menschlichen Sexualfunktionen wie auch an Phasen der Schwangerschaft beteiligt, weitere Forschungen hierzu stehen noch aus.
Die vielfältigen und lebenswichtigen Funktionen, die das Endocannabinoid-System für unseren Körper und dessen Erhalt hat, werden uns sicher in Zukunft, wenn mehr geforscht worden ist, noch so einige Aha-Effekte bescheren. Es ist aber jetzt schon klar, dass wir ohne diese körpereigenen Cannabinoide nicht leben könnten, zu viele regulative Effekte gehen von den Rezeptorensystemen und den Molekülen aus. Versuche, Mäusen durch gezielte Züchtung das ECS zu entfernen, haben ergeben, dass die Tiere ohne das System nicht lebensfähig sind.
Es ist auch verwunderlich, dass unser Körper so viele Endocannabinoide produziert, wo andere körpereigene Stoffe schon in deutlich geringerer Zahl auszureichen scheinen. Auch dies könnte als Zeichen gedeutet werden, wie unfassbar essentiell diese Stoffe in uns sind. Jedenfalls verdeutlicht die Wissenschaft, wieso Cannabis bzw. von außen zugeführte Cannabinoide so hilfreiche Dienste leisten können, wenn es darum geht, unsere Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Obwohl wir schon jetzt wissen, wie wertvoll Cannabis als Medikament für uns ist, wird sich ganz sicher künftig das Puzzle vervollständigen und wir werden verstehen, wie ungemein wichtig diese Substanzen für uns alle sind.