Die Ansichten der Anderen - Warum haben so viele US-Amerikaner Donald Trump gewählt?

Die Ansichten der Anderen – Warum haben so viele US-Amerikaner Donald Trump gewählt?

Anfang November 2020 wurde in den USA ein neuer Präsident gewählt, selten dauerte es so lange, bis der Sieger schließlich feststand. Über den dabei abgewählten Donald Trump haben wir schon mehrfach berichtet, denn er bot und bietet mehr als genug Angriffsfläche für berechtigte Kritik. Was dabei aber unter den Tisch fiel, war die Tatsache, dass niemals so viele Menschen für einen republikanischen Kandidaten gestimmt haben, wie für Trump, dem es mit seiner „America first“-Politik gelang, viele US-Amerikaner für sich einzunehmen. Auch mein Freund Joe aus New Jersey hat Trump gewählt – und ich wollte von ihm wissen, welche Ansichten ihn dazu bewegt haben.

Ende der 90er Jahre lernte ich Joe kennen, als dieser das Hanf Museum in Berlin besuchte und ich gerade der Einzige war, der ihm auf englisch einige Fragen zum Thema beantworten konnte. Damals hatte er noch lange Haare und kiffte mindestens so heftig wie ich. Wir freundeten uns an und als ich dann im Jahr 2001 auf Einladung von Dana Beal auf eine NORML-Konferenz nach Washington D.C. reiste, holte mich Joe mit seinem Auto vom JFK-Airport ab und hatte sogar schon was zu rauchen dabei. Erneut sprachen wir über Gott und die Welt und ich hatte wieder das Gefühl, dass wir so ziemlich alles so ziemlich gleich sehen. Auch später trafen wir uns immer mal wieder, wenn er in Berlin oder ich in New York war, auch bei seiner Hochzeit in New Jersey war ich gerne zu Gast. Alle paar Monate telefonieren wir und schwatzen dann meist über die neuesten Entwicklungen in der Cannabis-Szene, über deutsch-amerikanische Geschäftsideen oder unsere nächsten Reisepläne. Als wir 2016 über die Wahl und Donald Trump sprachen, musste ich erstaunt feststellen, dass auch Joe ihn gewählt hatte. Wir diskutieren seitdem immer mal heftig, bleiben dabei aber interessiert an den Ansichten des jeweils anderen. Denn Freiheit ist nun mal vor allem die Freiheit der Andersdenkenden…

Was hat dir an Trump so gut gefallen, dass du ihn gewählt hast?

Trump ist natürlich alles andere als perfekt, er hat viele Mängel. Aber Hillary fand ich 2016 auch nicht besser. Oder Biden im letzten November. Trump ist zumindest ein guter Geschäftsmann, auch wenn er von seinem Vater etwas Startgeld bekommen hat. Seien wir doch mal ehrlich – letztendlich ist er schon ein echter Self-Made-Mann, denn für ihn lief es doch eigentlich schon immer ganz gut.

Richtig, aber auch nur, weil er immer so erstaunlich erfolgreich an sich selbst denkt. Seine Geschäftspartner, mit denen er seine angeblich so tollen Deals abgeschlossen hat und deren Geld er gleich milliardenfach versenkt hat, sehen das bestimmt ganz anders. Für sie war er sicherlich kein so guter Geschäftsmann, denn er war zu ihnen oft nicht ehrlich. Und manche von ihnen hat er regelrecht ruiniert. Trotzdem scheinen viele Amerikaner – so wie du – in Trump einen richtig guten Geschäftsmann zu sehen.

Ich glaube jedoch, dass er nicht wirklich ein guter Geschäftsmann ist – er verkauft sich nur gut als ein solcher. Das stimmt schon. Ich kenne auch Leute, die mit ihm gearbeitet haben und es muss schrecklich gewesen sein. Aber leider gab es nur diese zwei Kandidaten, die wir wählen konnten. Und ich kann keine Menschen unterstützen, die immer nur jammern und sich beschweren und so tun, als wären hier alle nur irgendwelche Opfer, die furchtbar unterdrückt werden. Deshalb nervt mich die Black-Lifes-Matter-Bewegung auch manchmal gehörig. Denn ich kriege in letzter Zeit von vielen Unternehmen diese E-Mails und Briefe, die mir erklären: Schauen Sie, hier ist eine Liste der schwarzen Unternehmen, die kürzlich von schwarzen BLM-Randalierern geplündert wurden. Bitte spenden Sie! Spenden Sie hier, spenden Sie da! Und viele Weiße tun es. Vermutlich, um sich irgendwie besser zu fühlen. Dabei sind die meisten meiner schwarzen Freunde ganz klar gegen die BLM-Bewegung.

Wieso? Sind die Rassismus-Vorwürfe der BLM-Bewegung denn nicht gerechtfertigt?

Ich glaube tatsächlich, dass sie es zu großen Teilen nicht sind und kann dir dazu auch Beispiele aus meinem Umfeld nennen. Bevor meine Schwester ihr Baby bekam, arbeitete sie bei ADP, einem riesigen Unternehmen. Wie sie mir erzählte, war ihre gesamte Abteilung mit der Entfernung der weißen Führungskräfte im Unternehmen beschäftigt. Da hieß es dann immer: Wir müssen mehr Afroamerikaner einstellen, wir müssen mehr Frauen an uns binden, wir müssen mehr Hispanics engagieren usw. – da müssen die weißen Führungskräfte dann leider gehen. Ihr kam es schließlich so vor, als wären Weiße mittlerweile rassistisch gegenüber anderen Weißen. Es geht nun nicht mehr darum, ob jemand der Beste für diesen oder jenen Job ist, sondern darum, welche Herkunft er hat. Als ich das mal unseren liberalen Freunden so sagte, hieß es direkt: „Joe, du bist ja ein Rassist“. Dabei hab ich eine Thailänderin geheiratet, mit der ich auch Kinder habe. Und du kennst mich und weißt, dass ich wirklich nicht rassistisch unterwegs bin.

Da stimme ich dir zu, aber auch Trump hat eine Osteuropäerin geheiratet und behauptet von sich, die „am wenigsten rassistische Person auf der Welt“ zu sein. Siehst du das auch so?

Natürlich sagt er das. Schließlich ist er wirklich gut in Sachen Marketing. Und im Schwachsinn labern. Aber ich glaube tatsächlich, dass Trump kein Rassist ist.

Dann war es für dich vermutlich auch keine gute Idee, die Denkmäler von Sklavenhändlern zu stürzen?

Ich finde das schon ein wenig heuchlerisch, man kann ja nicht alles unter den Teppich kehren, was einem an der eigenen Geschichte nicht gefällt. Viele der historischen Persönlichkeiten, deren Denkmäler gestürzt wurden, waren zwar Sklavenhändler – aber Sklavenhandel war damals auch noch völlig legal und weit verbreitet. Und letztendlich haben die Afrikaner damals ihre eigenen Leute verkauft. Beim Holocaust lief das ganz ähnlich. Natürlich war die Herrschaft der Nazis in Deutschland eine schreckliche Zeit, aber es ist immer noch eure Geschichte. Dazu solltet ihr auch stehen – wie wir zu unserer.

Aber das machen wir doch, manche sagen sogar, wir übertreiben es damit. Deshalb kann man bei uns zum Beispiel nicht mit einer SS-Uniform oder Hakenkreuzflagge in der Öffentlichkeit rumrennen. In den USA und so ziemlich allen anderen Ländern geht das ja ohne weiteres und gilt als Meinungsfreiheit. Aber es gibt keine Denkmäler von Hitler oder anderen Nazi-Größen mehr – trotzdem kennt jeder Deutsche ihren verheerenden Einfluss auf die Geschichte. Sind die von ihren Sockeln gestürzten Sklavenhalter-Persönlichkeiten für die USA nicht in etwa das Gleiche wie Hitler & Co für Deutschland? Schließlich haben sich die Nazis – ebenso wie einst die Sklavenhändler – als die klar überlegene „Rasse“ betrachtet und waren dabei unmenschlich wie echte Untermenschen. Ich sehe da schon Parallelen, denn für US-amerikanische Sklavenhalter waren die verschleppten Afrikaner doch genauso wenig „echte“ Menschen, wie die Juden oder Slawen für die deutschen Nazis.

Klar, wenn ihr noch Hitler-Denkmäler hättet, wäre das schon ziemlich krass, nach all den Konzentrationslagern und dem Massenmord an unschuldigen Menschen. Aber kann man das wirklich so vergleichen? Ich denke nicht. Außerdem ist das Niederreißen von Denkmälern nur aktionistische Symbolpolitik der BLM-Protestierer, die eigentlich ganz genau wissen sollten, wie es heute in Amerika aussieht. Es ist schließlich so, dass die Armen in diesem Land gar nicht so arm sind. Du bist doch selbst einer, der schon viel in der Welt herumgereist ist und eine Menge gesehen hat, du warst doch auch schon in sogenannten Dritte-Welt-Ländern und hast da vermutlich – so wie ich – mitbekommen, wie echte Armut aussieht. Denn dann hat man nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf. Geschweige denn ein Smart-phone oder ein Auto, wie das bei den ärmsten US-Amerikanern aber meist noch der Fall ist. Außerdem sterben die Ärmsten der Armen in den USA auch nicht an Hunger, sondern an Fettleibigkeit, verursacht durch falsche Ernährung. Oder durch Drogenmissbrauch. Das ist schlimm, aber kein Vergleich zu vielen wirklich armen afrikanischen Staaten, wo die Menschen immer noch verhungern. Hier in den USA hast du zumindest die Möglichkeit etwas aus dir zu machen.

Das klingt für mich aber sehr nach dem oft bemühten US-amerikanischen Mythos, nachdem man in den Vereinigten Staaten vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Natürlich gab und gibt es große amerikanische Erfolgsgeschichten, aber ich glaube, die waren nur möglich, weil da Leute mit der richtigen Idee oder dem richtigen Produkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Das hängt dann aber auch stark mit Glück zusammen, da man sowas nicht genau planen kann. Und mit Rücksichtslosigkeit und dem unbedingten Willen zum Erfolg. Es reicht also nicht aus, einfach nur fleißig und hart zu arbeiten – denn das haben Millionen Menschen gemacht, ohne auf einen besonders grünen Zweig zu kommen.

Und das wird auch immer so bleiben, denn natürlich gibt es immer welche die mehr und welche die weniger Geld verdienen. Das ist ja oft auch eine Frage der persönlichen Sicht aufs Leben: Willst du lieber einen höheren Gehaltscheck und weniger persönliche Freiheit in deinem Leben? Oder kommst du mit weniger aus und kannst dafür öfter verreisen oder täglich ausschlafen? Es ist doch so: Wenn du etwas erreichen willst, dann reicht es nicht aus, nur einmal etwas zu versuchen und sich dann hinzusetzen und zu jammern: Mein Traum ist geplatzt – und ich hasse diese Typen, die ihren Traum verwirklicht haben und nun Porsche fahren. Wie du weißt, bin ich nach US-amerikanischen Maßstäben nicht reich. Aber vielleicht werde ich es irgendwann mal sein – oder vielleicht auch nicht. So oder so werde ich sagen können: Ich hab es immer wieder versucht und mich nicht zu einem Opfer erklärt, das sich sein ganzes Leben lang immer nur beschwert, wie schlecht es ihm geht.

Hm, aber ist das nicht vielleicht eine Sichtweise, die sich nur US-Amerikaner und Westeuropäer dank ihrer hohen sozialen Standards erlauben können? Wie du selbst sagtest, ist in ärmeren Ländern ein ganz anderes Armut-Level verbreitet. Da geht es nicht mehr um mehr oder weniger Freiheit, um Urlaub oder Ausschlafen, sondern um das Essen für den Tag und einen geschützten Platz für die nächste Nacht.

Das kann schon sein, aber dazu kann ich nichts sagen, ich bin ja kein Philosoph oder Sozialwissenschaftler. Was ich aber in Bezug auf die USA sagen kann, ist, dass ich genug Dokumentationen gesehen und auch verschiedene Menschen selbst getroffen habe, die von der Hand in den Mund leben und sich gleichzeitig dauernd darüber beschweren, dass sie zu wenig Geld und nur ganz begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten haben. Aber dann sehe ich, dass die ein viel neueres, besseres Auto haben als ich. Oder einen größeren Fernseher, oder dieses oder jenes, was ich nicht besitze. Man kann eben nicht immer alles haben – doch das scheinen viele Menschen einfach nicht mehr verstehen zu können oder zu wollen. Letztendlich kann man die Ärmsten der Armen in den USA oder in Westeuropa nur dazu beglückwünschen, dass sie die Geburtslotterie der Armen gewonnen haben und nicht irgendwo in Afrika oder Asien auf die Welt kamen. Dass die das einfach nicht begreifen und sich immer nur beschweren – das begreife ich einfach nicht.

Klar, der ärmste US-Amerikaner wäre in einem armutsgebeutelten Dorf in Zentralafrika vermutlich der reichste Mann – aber er lebt nun mal nicht in Afrika. Er lebt in den USA, wo die Lebenshaltungskosten deutlich höher sind, als in besagtem afrikanischen Dorf. Aber du und ich – wir sind meiner Meinung nach schon reich. Genauso wie alle Menschen, die in den Urlaub fahren können. Das gilt ganz besonders, wenn wir ferne Länder bereisen. Denn das machen wir aus Neugier auf fremde Kulturen, um unseren Horizont zu erweitern oder weil wir einfach mal einen „Tapetenwechsel“ brauchen. Weltreisende sind daher allesamt reich, da ein kostspieliger Urlaub in einem fernen Land nichts ist, was man zum Überleben braucht. Weltreisen sind daher ein absoluter Luxus, der aber für viele längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Auch wenn diese Selbstverständlichkeit in letzter Zeit „dank“ Corona nicht mehr so verbreitet ist.

Das sehe ich ganz genauso. Und ich bin auch sehr dankbar für mein Leben, meine Familie und das alles. Aber ich strebe trotzdem immer nach mehr – aber nicht aus Geldgier. Wie gesagt: Für mich ist Geld eher ein Weg, um mehr persönliche Freiheit zu haben. Denn mit mehr Geld hat man auch größere Freiheit und kann sich mehr Zeit für die Dinge nehmen, die einem wirklich wichtig im Leben sind.

Aber das ist doch keine echte Freiheit, sondern kommerzielle Selbstversklavung. Wie weit geht denn diese Freiheit, die man mit mehr Geld gewinnt? Als Multi-Millionär könntest du dir sicher auch einen Privat-Jet mit goldenen Klobrillen leisten – aber wärst du dadurch wirklich freier und glücklicher als jetzt, da du noch kein eigenes Flugzeug mit einem hochkarätigen Scheißhaus besitzt? Die Gründerväter der USA schrieben in eure Verfassung, dass das „Glück der Freiheit“ zu bewahren sei. Ich glaube aber nicht, dass die von dir beschriebene Konsumfreiheit, die mit finanziellem Reichtum einhergeht, die Freiheit ist, welche die US-Gründerväter damals meinten.

Wenn ich von Freiheit rede, dann meine ich damit natürlich nicht die Freiheit, in den nächsten Country Club gehen zu können. Seit ich zwei Kinder habe, hat sich für mich so einiges geändert – ich mache mir nun nicht mehr nur Sorgen um mich selbst. Schließlich bin ich jetzt für zwei weitere Menschen verantwortlich und muss für sie auch bezahlen – da ist doch klar, dass ich dafür mehr Geld brauche. So ist das nun mal. Und Corona hat die Lage für Selbständige wie mich nur noch weiter verschärft. Wer von der Hand in den Mund lebte, der musste sein Business in der Corona-Krise schließen – das habe ich selbst bei Bekannten erlebt. Daher ist es mein Fernziel, mit meinem Geschäft eines Tages so weit zu kommen, dass ich es weitgehend auf Autopilot laufen lassen und damit meine Lebenshaltungskosten decken kann. Das hat für mich nichts mit schnöder Geldgier zu tun, sondern mit höherer Lebensqualität. Denn mit mehr Geld wäre ich beispielsweise in der Lage, meinen Kindern Fahrräder zu kaufen, vielleicht noch ein weiteres Business aufzubauen oder mit meiner ganzen Familie in einen schönen Urlaub zu fahren. Ich glaube nicht, dass daran irgendetwas falsch ist.

Das behaupte ich ja gar nicht. Ganz im Gegenteil, Urlaub ist sehr wichtig. Schließlich ist unser Leben der einzige Urlaub vom Tod, den wir jemals haben werden. Daher sollten wir uns diesen Urlaub so angenehm wie möglich gestalten. Aber gleichzeitig sollten wir auch unseren Mitmenschen einen schönen Urlaub gönnen – auch den Aktivisten vom BLM-Movement… 

Sicher sind da auch ganz viele gute, friedliche Menschen dabei, aber es gab eben auch BLM-Gruppen, die buchstäblich Menschen zusammenschlugen, ihre Geschäfte und ihren Lebensunterhalt zerstörten. Und sie durften das tun, denn sie hatten die Proteste ja angemeldet und wurden teilweise sogar von der Polizei geschützt. Aber wenn sich dann ein paar Weiße dem entgegenstellen, dann nennt man sie direkt „rassistische Milizen“ oder so. Das ist doch Mist, denn irgendwie haben ja beide Seiten recht.

Wobei es weder in den USA noch in Europa bisher vorgekommen ist, dass schwarze Polizisten massiv Weiße kriminalisieren oder töten…

Ich weiß ja nicht, wie das in deutschen Medien verkauft wird, aber du kannst mir schon glauben: Die BLM-Bewegung ist hier plündernd durch viele Städte gezogen. Die Geschädigten waren meistens selbst schwarz, aber das scheint niemand weiter zu stören. Und dann diese ganzen Attacken auf Leute, die in irgendwelchen Restaurants sitzen. Da werden dann auf gröbste Leute belästigt und beleidigt, die da zufälligerweise gerade etwas essen. Sowas ist auch schon in meiner Nachbarschaft passiert und mir fehlt dafür jegliches Verständnis. Die Leute, die da angeschrien werden, könnten ja auch BLM-Unterstützer sein – aber auch das scheint die Protestierenden nicht die Bohne zu interessieren. Noch ein Beispiel dazu: Es gibt da diese kleine Stadt, irgendwo in South Dakota. In diesem wirklich winzigen Städtchen war ein BLM-Protest angemeldet, der dort stattfinden sollte. Als die Bewohner herausfanden, dass auch die Antifa mit dabei sein würde – denn die haben ja ganz klar gesagt, dass sie nicht nur in die Städte, sondern auch aufs Land gehen wollen – da haben sie vor Ort eine eigene Miliz gebildet. Alles bewaffnete Weiße. Sie besetzten die Straßen ihres Städtchen an allen strategisch wichtigen Punkten und erklärten den Demonstrationsteilnehmern ganz unverblümt: Hört mal, wir haben kein Problem mit eurem BLM-Protest, aber wenn ihr anfangt, unsere Stadt zu zerstören, dann werden wir uns wehren. Und weißt du was? Dieser Protest verlief vollkommen friedlich. Keine außergewöhnlichen Vorkommnisse. Ich denke zwar nicht, dass jede Stadt so agieren sollte, aber hast du gesehen, was in Seattle los war? Das war doch verrückt. Kannst du dir vorstellen, dort zu leben? Die Tatsache, dass es solche bürgerkriegsähnlichen Zustände auch in Amerika gibt, finde ich einfach nur verrückt. In welchem Land leben wir denn hier? Das war ja fast wie Beirut, einfach unglaublich.

Ich glaube, in Beirut waren wir beide noch nicht. Solche Szenen sind nie schön, aber es gibt schon einen Unterschied zwischen der Sicherheitslage in den USA und der im Libanon. Aber ich verstehe, was du damit meinst. Trotzdem muss ich dich jetzt unbedingt noch etwas fragen, weil du da auch ein Wort verwendet hast, das ich in dieser seltsamen Aussprache bisher nur von deinem Präsidenten kannte: Was bedeutet „Antifa“ eigentlich für dich?

Das ist doch diese gewaltbereite Gruppierung, die mit der BLM-Bewegung assoziiert ist und die all diese Ausschreitungen und Plünderungen verursacht.

Weißt du, woher das Wort kommt und wofür es steht?

Nein, keine Ahnung.

Antifa steht kurz für Antifaschisten, also für Leute, die gegen Nazis sind. Wenn in Trumps Augen Antifaschisten die Bösen sind, dann kann man sich ja denken, wen er für die Guten hält. Das finde ich schon ziemlich krass. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, tut Trump auch noch so, als wäre „Antifa“ eine konkrete linksextremistische Terrororganisation wie einst die RAF in Deutschland – und nicht eine Sammelbezeichnung für alle antifaschistischen Kräfte einer Gesellschaft. Das zeigt doch einmal mehr, wie sehr Trump Sachen aus dem Kontext reißt und vereinfacht, um plumpe Feindbilder aufzubauen. Antifaschisten werden zu Linksterroristen und Mexikaner zu Vergewaltigern und Kriminellen. Wenn das so wäre, wäre die aktuelle deutsche Regierung komplett linksterroristisch unterwegs. Kein Wunder, dass Trump zu unserer Kanzlerin Merkel so ein gespaltenes Verhältnis hat. Die ist ihm wahrscheinlich auch viel zu linksradikal, obwohl ihre Partei in Deutschland politisch eher den Republikanern entspricht. Aber wegen der unrühmlichen nationalen Geschichte ist Antifaschismus in Deutschland einfach Pflicht. Und die USA sollten es sich ruhig zur Pflicht machen, ihre afroamerikanischen Bevölkerung nicht weiter zu diskriminieren.

Aber was hat das denn mit Diskriminierung zu tun, wenn es bei BLM-Protesten zu Ausschreitungen und Plünderungen kommt? Da sollten sich die Inhaber der bedrohten Läden schon selbst verteidigen dürfen, wenn die Polizei das nicht macht – ganz egal, welche Hautfarbe sie haben. Mir persönlich ist es eh völlig schnurz, ob du nun schwarz, weiß, schwul oder was auch immer bist. Es geht mich nichts an, wie du dein Leben lebst, sei doch einfach glücklich! Aber wenn man den Leuten solche Ansichten gegen ihren Willen aufzwingt, dann finde ich das auch nicht in Ordnung. Dazu ein Beispiel aus dem Mittleren Westen der USA: Da gab es in einer durch und durch gottesfürchtigen Stadt ein schwules Paar, was seine Hochzeit plante. Der lokale Fotograf – auch ein sehr gottesfürchtiger Mann – sagte den beiden sowas wie: „Tut mir leid, ich fotografiere keine schwulen Hochzeiten. Fragen Sie lieber jemand anderen.“ Aber anstatt das einfach zu machen, haben die beiden Abgewiesenen ein Riesenfass aufgemacht und mit Klagen und Boykottaufrufen reagiert. Keine Ahnung, wer hier richtig oder falsch lag, aber ich sehe das so: Würdest du überhaupt einen Fotografen engagieren wollen, der deine Ehe für eine Sünde hält? Aber anstatt sich einfach nach jemand anderem umzuschauen, machte das schwule Paar diese Ablehnung öffentlich und kreierte so einen gewaltigen Shit-Storm für den religiösen Fotografen, der nur nach seiner persönlichen Überzeugung gehandelt hatte. Und sowas passiert ständig, so drücken einem die Linken hier ihre Agenda auf. Ob man nun will oder nicht.

Wow, da klingst du jetzt aber schon ein bisschen wie der Präsident, den du unlängst zum zweiten Mal gewählt hast. Ich finde, dieses schwule Paar kann ja nicht stellvertretend für „die Linken“ stehen. Vielleicht waren das ja auch schwule, atheistische Republikaner – sowas soll’s ja inzwischen auch geben…

Vielleicht, aber das war ja auch nur ein Beispiel. Ich habe auch selbst schon erlebt – wenn ich zum Beispiel ins benachbarte Patterson zum Fotografieren fuhr – dass mich die dort lebenden Afroamerikaner anpöbelten und mir unmissverständlich klargemacht haben, dass ich mich besser ganz schnell aus ihrem Gebiet verziehen soll. Die machen also genau das, was sie sonst immer den Weißen vorwerfen: Sie diskriminieren Menschen, nur weil sie anders aussehen. Das finde ich genauso wenig okay, wie das Racial Profiling von manchen weißen Polizisten.

Racial Profiling ist inzwischen auch bei uns in Europa thematisiert worden – nicht zuletzt wegen des Todes von George Floyd und der darauf folgenden BLM-Bewegung. Aber ist es nicht gut, wenn sich eine Gesellschaft auch unbequemen Tatsachen stellt und versucht, sich zu verbessern?

Klar, und das mit George Floyd ist natürlich unentschuldbar. Das war ein großer Fehler des Polizisten, der auf ihm kniete. Aber lass mich dir erzählen, wie das ein guter Freund von mir sieht. Er ist einige Jahre älter als ich, Afroamerikaner und auch immer der Meinung, dass so ziemlich alle Weißen fiese Rassisten sind. Wie er mir erzählte, fuhr er unlängst mit seinem Auto durch eine super-reiche Nachbarschaft. Nur Millionen-Dollar-teure Hütten säumten seinen Weg, als gäbe es keine anderen Behausungen. Und natürlich wurde er – der einzige Schwarze weit und breit – direkt von der Polizei angehalten und bekam einen Strafzettel. Er erklärte mir dazu, dass man ihn dort ganz offensichtlich nicht haben wollten und nannte die Polizisten Rassisten. Daraufhin fragte ich ihn, wofür er denn den Strafzettel bekommen hatte. Nun ja, erzählte er mir daraufhin, mir war schon eine Woche vorher der Schalldämpfer abgefallen und ich war noch nicht dazu gekommen, das zu reparieren. Also erklärte ich ihm: Glenn, wenn jemand in so einer hochpreisigen Nachbarschaft ein Haus kauft, dann will er vermutlich nicht hören müssen, was für einen wahnsinnigen Krach dein altes Schrottauto noch machen kann. Und dafür nennst du sie Rassisten? Die hätten in diesem Wohngebiet garantiert jedes Auto ohne Schalldämpfer angehalten. Eine andere Geschichte hab ich selbst erlebt, als ich mit meiner Schwester einen Ausflug machte. Wie fuhren zu einem Strand am Delaware River, mitten im dortigen Nationalpark. Wir wollten da picknicken und ein bisschen im Fluss schwimmen. Als wir ankamen, mussten wir feststellen, dass da fast nur Lateinamerikaner waren, die gleich mehrere Ghettoblaster auf Anschlag aufgedreht und damit eine unglaublich anstrengende Geräuschkulisse aufgebaut hatten. Selbst mit gehörigem Abstand konnte man sich kaum noch vernünftig unterhalten. Als ich einen Park-Ranger sah, fragte ich ihn, ob man da nicht was machen könne, aber er meinte nur, dass er denen ja nicht befehlen könne, ihre Musik aus oder auch nur leiser zu machen. Wie ich später durch Online-Bewertungen dieses Strandes feststellte, war das hier kein Einzelfall, sondern die Regel. Nun frag dich mal, was passieren würde, wenn sich Weiße so benehmen und zum Beispiel genauso lautstark Country-Musik oder klassische Opern abfeuern würden. Für uns war der Ausflug damit versaut und wir haben uns – genauso wenig wie die wenigen anderen Weißen – gar nicht erst getraut, zu den Latinos rüberzugehen und sie zu bitten, die Musik leiser zu machen. Denn dann wären wir vermutlich nur wieder als Rassisten beschimpft worden, wie das in zahlreichen Bewertungen stand. Dabei hat das doch eigentlich nur etwas mit menschlichem Anstand und gegenseitiger Rücksichtnahme in einem staatlichen Nationalpark zu tun – aber nichts mit Rassismus. Trotzdem werden Weiße immer wieder als Rassisten beschimpft, wenn sie nur den Mund gegenüber Nichtweißen aufmachen. Oder sich einfach nur selbst schützten.

Wie meinst du das? Ist die USA in Sachen Selbstschutz nicht ein Paradies für Waffennarren? Da kann man doch Leute auf seinem Grundstück einfach erschießen und es dann Notwehr nennen, oder?

Das war mal so, aber das ist auch schon viele Jahre her. Heute darf ich mich im schlimmsten Fall nicht einmal mehr selbst verteidigen, weil mich die links-liberale Staatsanwaltschaft sonst anklagt und verurteilt. Wenn zum Beispiel jemand in mein Haus einbricht, in dem ich mit meinen zwei kleinen Kindern und meiner Frau lebe, dann besitze ich zwar legale Feuerwaffen, aber ich darf mich damit nur dann verteidigen, wenn ich hinterher eindeutig beweisen kann, dass der Einbrecher auch eine Feuerwaffe hatte und mein Leben unmittelbar bedrohte bzw. ich nicht noch irgendwie hätte entfliehen können. Da wird dann das Opfer zum Täter gemacht – und das kann es ja auch nicht sein. Das war früher anders – und meiner Meinung nach besser. Auch deshalb konnte ich Trumps Wahlspruch „Make America great again“ nur zustimmen.

Also wäre „America great again“, wenn die Leute endlich wieder ungestraft alle Einbrecher erschießen dürften?

(Joe lachend) Klar, genau darum geht’s. Aber mal im Ernst: Wie du weißt, sind meine Eltern aus Italien in die USA emigriert, beide kamen aus ländlichen Gebieten und hatten als Kinder nicht mal fließend Wasser und Elektrizität. Sie wollten ein besseres Leben und kamen auf legalem Weg in die USA, wo sie sich eine neue Existenz aufgebaut haben und mir somit ganz neue Möglichkeiten eröffneten. Dabei haben sie sich stets dem hiesigen Leben angepasst und die US-amerikanische Kultur wirklich verinnerlicht. Sie haben sich vollständig assimiliert und wurden zu anständigen US-Bürgern. Heute dagegen – so scheint es mir – geht es den Immigranten gar nicht mehr darum, sich der hiesigen Kultur anzupassen, sondern einfach nur um ihre Vorzüge. Die ersten Emigranten, die vor allem aus Ländern wie Italien, Deutschland oder den Niederlanden kamen und in ärmere Stadtviertel zogen, haben diese Stadtviertel verschönert und sich gut darum gekümmert. Und sie wollten tatsächlich US-Amerikaner sein. Spätere Generationen von Emigranten, die inzwischen vor allem aus dem Mittleren Osten kommen, lassen ihre Wohnviertel verwahrlosen und wollen sich in die hiesige Gesellschaft nicht wirklich integrieren. Da heißt es dann immer: „Bei uns zu Hause ist das so und so“ oder „Wir regeln das immer so und so“ – dabei sind diese Menschen ja längst nicht mehr zu Hause. Und wenn sie hier in den USA leben wollen, dass sollten sie sich auch an die hier herrschenden Gesetze halten und die hiesigen Sitten und Gebräuche akzeptieren. Wenn ich zum Beispiel nach Saudi-Arabien reisen würde, dann würde sich meine Frau dort natürlich auch verschleiern. Denn das ist vor Ort so Sitte, und als Gast muss ich mich natürlich anpassen. Diese Sichtweise scheinen aber immer weniger Emigranten zu teilen. Zumindest in den letzten zwanzig Jahren. Und so ist Amerika heute leider längst nicht mehr das Land der Eigeninitiative und der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern für viele einfach nur noch ein abgewracktes Sozialsystem, was Arbeitsfaule unterstützt und Innovationen bremst.

Das wird auch Deutschland immer mal wieder vorgeworfen – und unser Sozialsystem ist noch eine ganze Ecke sozialer. Wir haben hier alle bezahlbare Krankenversicherungen und sind weitgehend sozial abgesichert. Alles Sachen, die für Trump schon nach Sozialismus oder sogar Kommunismus riechen – das scheinen also immer noch Wörter zu sein, mit denen man Amerikaner prima erschrecken und verängstigen kann. Schade. Trump ist es offensichtlich erfolgreich gelungen, die Bevölkerung zu spalten. Und sogar nette Kiffer wie dich für sich einzunehmen. Aber zumindest stehst du nicht mit deiner Knarre auf der Straße und protestierst gegen angeblichen Wahlbetrug.

Auf keinen Fall würde ich deshalb auf die Straße gehen und protestieren. Und wie gesagt: Ich bin ja auch gar kein großer Trump-Fan und letztendlich ziemlich unpolitisch. Nun, da Biden gewonnen hat, werden wir auch damit leben können. Vielleicht ist das ja auch ganz gut so, denn ich glaube wirklich, dass wir ganz andere Szenen erlebt hätten, wenn Trump wiedergewählt worden wäre. Dann wären bestimmt massive Krawalle der radikalen Linken und der BLM-Leute ausgebrochen, mit noch mehr sinnloser Gewalt und Plünderungen. Insofern scheinen hier die Rechten doch friedlicher zu sein.

Aber vielleicht sind sie das auch nur, weil sie doch einsehen mussten, dass Trump die Wahl eindeutig verloren hat. Oder glaubst du auch, dass die Wahl von den Demokraten „gestohlen“ wurde, wie Trump immer wieder behauptet?

Keine Ahnung – woher auch? Aber etwas seltsam war das schon. Erst lag Trump ganz klar in fast allen Swing States vorne und dann kamen da über Nacht diese ganzen Briefwahl-Stimmen rein und drehten das Ergebnis komplett. Ist da wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen? Wer weiß. Ich selbst war jedenfalls der Überzeugung, dass Trump mit großer Mehrheit wiedergewählt wird, da sogar viele meiner liberalen Freunde, die zuvor zwei mal Obama gewählt haben, nun umschwenkten und auch Trump ihre Stimme gaben. Aber die Nachzählungen haben Biden bestätigt und damit ist das Kapitel Trump nun hoffentlich auch bald abgehakt.