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Von Versprechen und Versprechern

Nachdem Ende Februar Russland die Ukraine invadiert hat, heißt es in unseren Medien, der Krieg sei nach Europa zurückgekehrt. Das stimmt. Wenn man die europäische Vorgeschichte ausblendet. Wenn man die Vorgeschichte einblendet, hat dieser Krieg durchaus eine Vorgeschichte – und die hat viel früher begonnen.

Als Michael Gorbatschow 1990 den kalten Krieg beendete, hatte der Westen ihm versprochen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern. Nicht schriftlich, aber mündlich, und zwar mehrfach mündlich. Auch vor Fernsehkameras. Für Hanseaten ist sowas verbindlich. Aber die NATO ist ja nicht die Hanse – eher eine Ansammlung von Hanseln.

Das Versprechen einzuhalten, die NATO nicht zu erweitern, ist in Polen, Tschechien, Slowakai und Ungarn nicht so ganz gelungen. Und in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien auch nicht so richtig. Und in Albanien, Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien irgendwie auch nicht. Da war das mit dem Versprechen wohl nur ein Versprecher.

„Aber nein“, sagt die NATO dann immer gerne, „wir sind keine Bedrohung für Russland, denn wir sind ja nur ein Verteidigungsbündnis. Und wie Russland die Sache selbst sah, war für die Hanseln von der NATO völlig unerheblich.

Stell Dir doch einfach mal vor, Du guckst bei Dir zu Hause aus dem Fenster, und dann siehst Du in hundert Metern Entfernung an der Straßenecke zwei Typen mit Baseballschlägern stehen. Die winken Dir freundlich zu und rufen: „Wir sind ganz harmlos. Wir stehen hier nur zur Verteidigung.“
Zehn Tage später sind es fünf Typen in fünfzig Metern Entfernung. Zwanzig Tage später zehn Typen in zwanzig Metern Entfernung. Dreißig Tage später zwanzig Typen in zehn Metern Entfernung. Und sie alle winken Dir freundlich zu und rufen: „Wir tun nix – wir verteidigen nur!“
Und plötzlich ruft Dein Nachbar diesen Baseballtypen zu: „Darf ich auch mitmachen?“

In dieser Situation befanden wir uns im Jahr 2014: Deutschland wurde Fußballweltmeister, eine gewisse Helene Fischer veröffentlichte den Song „Atemlos durch die Nach“ – und man sehnte sich zurück nach 2013. Jahrelang hatte der Westen mit der Ukraine ein Assoziierungsabkommen ausgearbeitet, vor allem über bilaterale Handelsbeziehungen – aber dann hat man es sich auch nicht nehmen lassen, darüber hinaus auch noch eine militärische Zusammenarbeit mit der NATO vorzubereiten. Genau dieser Punkt wird „die Ukraine zerreißen“, prophezeite damals Gabriele Krone-Schmalz, die deutsche Russlandexpertin, die als Frisur gerne eine FFP2-Maske trägt.

Und dann hat damals der russische Staatschef, ein gewisser Herr Putin, dem damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowytsch gesagt, dass zur Ukraine auch die russische Halbinsel Krim gehört. Da hat dann der Janukowytsch gefragt: „Ja, und?“ Daraufhin Putin: „Ja, und? Auf der Krim ist seit dem 19. Jahrhundert
unsere russische Schwarzmeerflotte stationiert. Aber das ist sicherlich kein Problem, oder? Spielt doch ruhig Schiffe versenken mit unserer Flotte!“ Dazu muss man wissen, dass die Krim noch gar nicht so lange zur Ukraine gehörte. Die hat der Chruschtschow zu Sowjetzeiten der „sozialistischen Sowjet-Republik“ Ukraine geschenkt. In einer Schnapslaune. Ein Wodka zuviel getrunken und schon hieß es: „Hier Krim, gehst du Ukraine!“ Das ist so, als würde jemand auf die Schnapsidee kommen, Österreich den Bayern zu schenken. Dabei gibt es gar nicht wenige Leute, die sagen würden: „Andersrum wär’s schon eine feine Sache.“

Man stelle sich nur mal vor, die USA würden außerhalb ihres Staatsterritoriums auf einer vorgelagerten Insel einen Stützpunkt unterhalten. Sagen wir mal, auf Kuba gäbe es einen US-amerikanischen Militärstützpunkt. Was weiß ich? Und nennen wir ihn mal Guantanamo. Also nur hypothetisch. Und dann stelle man sich mal vor, die Russen würden mit Kuba eine militärische Zusammenarbeit vereinbaren und womöglich Militär dorthin verlegen lassen. Was für ein absurder Gedanke! Total aus der Luft gegriffen! Man stelle sich nur mal vor, Russland würde Schiffe mit Rüstungsgütern über den Atlantik in Richtung Kuba schicken. Zum Glück ist das ja nur ein theoretisches Gedankenspiel. Wie gut, dass die Amis noch nie in einer solchen Situation waren. Nicht auszudenken, wie nah die Welt am Abgrund eines globalen Atomkrieges gestanden hätte.
Aber nur mal angenommen, es hätte so ein Szenario tatsächlich mal gegeben, dann wäre man doch bei uns im Westen niemals so blauäugig gewesen, auch nur auf die Idee zu kommen, mit der Ukraine eine militärische Kooperation einzugehen. Ich bitte Euch, wir sind doch die Guten! Aber da der Westen von einer militärischen Zusammenarbeit mit der Ukraine nicht ablassen wollte, hat Putin schließlich in einer Nacht- und Nebelaktion als grüne Männchen getarnte Miliz-Einheiten auf die Krim geschickt, um dort ein Referendum unter der Bevölkerung abhalten zu lassen. Mit dem Resultat, dass die Krim ab sofort wieder zu Russland gehört.
Was durchaus völkerrechtswidrig war.
Einfach grüne Miliz-Männchen auf das Territorium eines anderen Landes zu schicken und dort dann ein Referendum abzuhalten, steht nun wirklich nicht in der Charta der Vereinten Nationen. Nicht mal andeutungsweise. Man stelle sich nur mal vor, Frankreich würde Truppen ins Saarland schicken und dort ein Referendum darüber abhalten, ob die Saarländer nicht vielleicht doch lieber zu Frankreich gehören wollen. Okay, es gibt dort nicht wenige Leute, die sagen würden: „Das wär schon eine feine Sache!“


Kurz vor der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit dem Westen hat der ukrainische Präsident dann (auf Druck aus Moskau) einen Rückzieher gemacht und gesagt, er werde das nicht unterzeichnen. Weil er schon in der Schule im Kunstunterricht immer ganz schlecht im Zeichnen war. Worauf der immerhin demokratisch gewählte Präsident Janukowytsch in Kiew durch nicht ganz so demokratische Vorgänge gewaltsam aus dem Amt gejagt wurde. Hm, wie kann man erklären, was damals dort los war?
Stell Dir mal vor, in Deutschland hätte es Proteste vor dem Reichstagsgebäude gegeben mit dem Versuch, das Parlament zu stürmen. Ich weiß, so etwas ist in Deutschland völlig unvorstellbar. Nun stell Dir trotzdem mal vor, es würde von der Regierungsseite auf diese Demonstranten geschossen – und zwar mit scharfer Munition. Und am Ende liegen etliche Leute tot in den Straßen. Die einen sagen, Janukowytsch hat auf friedliche Demonstranten schießen lassen. Die anderen sagen, die Demonstranten waren gar nicht alle friedlich. Und wer hier auf wen geschossen hat, ist auch nicht zu 100 % geklärt.
Übrigens bis heute nicht.

Es gab damals auch glaubwürdige Informationen, die besagten, dass nicht nur aus einer Richtung geschossen wurde, sondern auch aus den Reihen der Demonstranten, die auch zahlreiche Molotov-Cocktails mit dabei hatten. Und es ging sogar das Gerücht umher, dass Regierungsgegner auf Regierungsgegner schießen ließen, um so medienwirksam Märtyrer für die „gute Sache“ zu erschaffen. Da kann man schon sagen, dass damals ziemlich viele Leute den Schuss nicht gehört haben.
Beziehungsweise die Schüsse.
Nun stell Dir mal vor, nachdem diese Unruhen auf der Straße abgeflaut sind, soll es im Parlament zu einer Art Misstrauensvotum kommen. Die Abgeordneten sollen abstimmen, ob sie die Regierung im Amt lassen oder absetzen wollen. Und jetzt stell Dir vor, die Gegner der Regierung umstellen das Parlamentsgebäude und drohen allen, die für die Regierung stimmen wollen, den Schädel einzuschlagen. Weshalb sich kein Abgeordneter rein traut, der die Regierung im Amt lassen würde. Und die, die reingehen, stimmen zu 100 % für die Absetzung der Regierung.

Wie sagte schon Humphrey Bogart: Das ist der Beginn einer wunderbaren Demokratie.
Und nun stell Dir vor: Nachdem der demokratisch gewählte Präsident vertrieben war, kam eine ganz neue Regierung an die Macht, die von niemandem gewählt wurde, und in der diese gewalttätigen Regierungsgegner, die anderen Leuten den Schädel einschlagen wollten, plötzlich auf wichtigen Ministerposten saßen. Einige von denen entpuppten sich sehr schnell als Ultra-Nationalisten von der rechtsradikalen ukrainischen Partei „Swoboda“. Mit anderen Worten: Rassisten, Antisemiten und Faschisten. Also Björn Höcke, Kubitschek – oder noch sympathischer: Attila Hildmann.


Und das erste, was diese neue, nicht gewählte Regierung beschließt: Russisch – bis dato die zweite Amtssprache in der Ukraine – wird ab sofort landesweit verboten. Das Blöde dabei: In der Ukraine sprechen sehr viele russischstämmige Menschen diese Sprache, vor allem im Osten des Landes, und die hören nun von einer nicht gewählten, mit rechtsradikalen Extremisten durchsetzten Regierung, dass ihre Muttersprache ab sofort tabu ist. Stell Dir mal vor, eine nicht gewählte Bundesregierung in Berlin beschließt, dass schwäbisch zu sprechen ab sofort verboten ist. Okay, es gibt nicht wenige, die sagen, man sollte auch sächsisch verbieten.

Aber nun kommt die entscheidende Frage: Wenn Leute hören, dass ihre Muttersprache ab sofort verboten ist, wie sollen die sich in dem Moment fühlen? Nicht bedroht?
Dieses Sprachverbot war bei uns nur eine kurze Randnotiz in der medialen Berichterstattung, und es wurde von der ersten Nach-Maidan-Regierung auch wieder gestoppt – aber da war der Geist bereits aus der Flasche. Und die hatte auch Hochprozentiges und leicht Entflammbares enthalten. Das Verbot der russischen Sprache war der entscheidende Knackpunkt in der gesamten katastrophalen Entwicklung in der Ukraine.

Hinzu kommt, dass kurz darauf in der südukrainischen Hafenstadt Odessa viele pro-russische Sympathisanten von einem rechtsradikalen, pro-ukrainischen Mob in einem Gewerkschaftshaus bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Ist es da wirklich nicht nachvollziehbar, warum die
einen Ostukrainer daraufhin die Flucht ergriffen und die anderen die Waffen?

Wenn es also in unseren Medien immer wieder heißt, seit Ende Februar 2022 sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt, dann stimmt auch das nicht so ganz. Den völkerrechtswidrigen Balkankrieg Ende der 90er Jahre – der für Deutschland und seine Soldaten natürlich nur eine „Friedensmission“ war – haben viele inzwischen schon wieder komplett vergessen. Als hätte es ihn nie gegeben. Schließlich sind unsere Kriege keine Kriege, sondern notwendige Friedensmissionen – das war so, ist so und wird wohl immer so bleiben.


Fazit: Der Ukraine-Krieg tobt nicht erst seit Ende Februar in Europa, sondern bereits seit acht Jahren! Dieser Krieg kostete bisher schon über 14.000 Menschen das Leben – aber dafür haben wir uns im Westen
genauso wenig interessiert, wie Boris Becker für seine Finanzen.