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Die Kunst des Highs-Ein Interview mit Sebastián Marincolo

Sebastián Marincolo ist ein deutscher Philosoph und Autor, der sich als Bewusstseinsforscher seit über 20 Jahren auf das Cannabis-High spezialisiert hat. 2013 veröffentlichte er seinen ungewöhnlichen Fotoband „High – Das positive Potenzial von Marihuana“, in welchem er  verschiedene positiv nutzbare Effekte während eines Cannabis-Highs beschrieb, wie zum Beispiel die Verbesserung des episodischen Gedächtnisses oder auch die Fähigkeit, andere Menschen emphatischer zu verstehen. In seinem international beachteten Buch und vielen folgenden Medienberichten kritisierte er die verfehlte weltweite Verbotspolitik und forderte klar eine Legalisierung bzw. eine intelligente Regulierung von Cannabis. Mit „Die Kunst des Highs“ ist nun sein viertes Buch über das Cannabis-High erschienen. In seiner minimalistischen Anleitung erklärt Marincolo ganz praktisch, wie man Risiken minimiert und zahlreiche positive Wirkungen während eines Cannabis-Highs herbeiführen und sein Leben damit positiv verändern kann. 

Wir führten mit dem sympathischen Forscher ein ausführliches Gespräch. 

Lieber Sebastian, kannst du dich bitte unseren Lesern – die dich nicht bereits aus THCENE 4/2017 kennen, kurz vorstellen und schildern, wie du als Philosoph dazu gekommen bist, dich mit den positiven Aspekten von Cannabis auseinanderzusetzen und deine Erkenntnisse in vier Büchern zu veröffentlichen?

Ich habe mich schon seit ich denken kann für die aktuelle philosophische Bewusstseinsforschung interessiert und mich mit deren Fragen beschäftigt – wie zum Beispiel menschliches oder auch tierisches Bewusstsein entsteht, ob künstliche Intelligenz Bewusstsein entwickeln kann oder auch, wie wir andere Menschen emphatisch verstehen können. Ich habe dann in Tübingen Philosophie mit einer Spezialisierung auf Bewusstseinsforschung studiert und später eine Doktorarbeit über neurobiologisch-inspirierte Theorien des Bewusstseins geschrieben und war dafür auch zur Forschung in den USA. Das Cannabis-High habe ich erst mit Anfang Zwanzig kennengelernt und eigentlich sehr geschätzt, wenn auch nur sporadisch genutzt. Eines Abends passierte es dann auf einer Studenten-Silvesterparty in Tübingen – da habe ich eine von einem Bekannten mitgebrachte, hochdosierte Schoko-Haschpraline gegessen. Nach ca. 1,5 Stunden habe ich dann kaum noch mein juckendes Ohr mit meinen Händen gefunden. Ich war lange Zeit komplett verwirrt und habe auch ziemlich schlimme Ängste durchgestanden. Das reichte mir für einige Zeit. Erst einige Jahre später habe ich dann mit 29 Jahren wieder begonnen, mit einem amerikanischen Freund Cannabis zu nutzen, der damals Toxikologie studierte. Wir sprachen viel über die erstaunlichen positiven bewusstseinsveränderten Wirkungen des Highs. Damals, Ende der 90er Jahre, noch bevor ich meine Doktorarbeit über ein anderes Thema beendete, beschloss ich dann, das Cannabis-High zu erforschen. Auch deshalb, weil man damit das menschliche Bewusstsein selbst gut erforschen kann. Mir war dabei durchaus bewusst, dass ich aufgrund bestehender Tabus damit meine akademische Karriere beenden würde. Um meine Forschung zu finanzieren habe ich dann in vielen Funktionen gearbeitet: als Fotograf, Creative Director in Agenturen und selbstständig, als Kommunikationsberater. Erst in den letzten Jahren übernahm ich dann auch Funktionen in der wachsenden Cannabis-Branche, wie zum Beispiel als Experten-Blogger für eine holländische Cannabis-Samenbank und als Direktor für Kommunikation und Marketing für eine der größten Cannabis-produzierenden Firmen der Welt. 

Im ersten Teil von „Die Kunst des High“ hebst du den Wert des Endocannabinoidsystems im menschlichen Körper hervor. Kannst du dazu bitte auch etwas sagen? 

Jeder Mensch – egal, ob er jemals Cannabis genutzt hat oder nicht – nutzt körpereigen produzierte Cannabinoide, welche Teil eines biochemischen Systems sind, um eine ganze Vielzahl von lebenswichtigen Funktionen zu steuern. Es ist eigentlich schockierend, dass selbst die meisten Ärzte heute immer noch nichts über dieses fundamental wichtige System wissen. Auch dies ist eine traurige Folge des weltweiten, seit ca. 100 Jahren bestehenden Cannabisverbots. Schon vor ca. 600 Millionen Jahren, lange bevor die Pflanze Cannabis evolutionär die Weltbühne betrat, produzierten erste einfache Meeresorganismen cannabinoide Substanzen, um bestimmte Prozesse im eigenen Körper zu steuern. Heute können wir sagen, dass Menschen und fast alle Lebewesen, mit Ausnahme von Insekten, körpereigene Cannabinoide bilden. In den 90er Jahren entdeckten Wissenschaftler das endocannabinoide System im Menschen – ein System aus Endocannabinoiden und körpereigenen Rezeptoren, an welche sie sich binden. Inzwischen sind Tausende von wissenschaftlichen Artikeln über dieses System erschienen. Das endocannabinoide System ist in unserem Gehirn und im Körper für  eine ganze Reihe von mentalen und physiologischen Funktionen verantwortlich. Es ist wahrscheinlich unser wichtigstes System zur Aufrechterhaltung der Homöostase – der Balancierung einer stabilen inneren Umgebung trotz schwankender Bedingungen in der Außenwelt. Die meisten Fachleute auf dem Gebiet gehen davon aus, dass das endocannabinoide System eines der wichtigsten gesundheitserhaltenden Systeme im Körper ist. Zu seinen vielen Funktionen gehört u. a. die Steuerung der Aufmerksamkeit, des Lernens, der Sinneswahrnehmung, des Gedächtnisses, des Schlaf-Wach-Zyklus, der Regulierung von Stimmungen, Emotionen und vieler anderer wichtiger kognitiver Prozesse sowie der Neurogenese (der Bildung neuer Gehirnzellen), der Appetitregulierung, der Regulierung der Körpertemperatur, des Stoffwechsels und von Stress und Schmerz. Cannabis bildet Phytocannabinoide, welche aufgrund ihrer chemischen Ähnlichkeit mit den Endocannabinoiden auf viele Grundfunktionen systematisch einwirken und diese unter bestimmten Bedingungen zeitweise verbessern. Seit Jahrtausenden nutzen deshalb viele Kulturen Cannabis für verschiedene Zwecke in der Medizin und aus anderen – inspirativen  und sonstigen – Gründen. Jetzt fragt man sich natürlich gleich: Moment, wenn dieses System so wichtig für unsere Gesundheit ist und fast alle Kulturen der Welt Cannabis seit Jahrtausenden für medizinische und andere Zwecke kultiviert und effektiv genutzt haben – wieso haben dann moderne Gesellschaften Cannabis so verteufelt und verboten? Ich halte es da mit Einstein: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die Dummheit der Menschheit – aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Du schreibst, dass wir Menschen Pflanzen im Allgemeinen oft unterschätzen. Wie genau meinst du das? 

Pflanzen produzieren unzählige chemische Substanzen, um interne Prozesse zu steuern und intelligent mit ihrer Umwelt zu interagieren. So schützen sie sich zum Beispiel vor UV-Licht, Austrocknung, Pilzen, Bakterien und Viren. Sie machen sich für Angreifer ungenießbar oder giftig, verringern deren Fruchtbarkeit oder verführen sie, damit sie ihre Blüten bestäuben oder ihre Samen fressen und verbreiten. Seit Millionen von Jahren koexistieren Pflanzen mit Tieren. Dadurch haben Pflanzen unglaubliche Fähigkeiten entwickelt, das Nervensystem von Tieren biochemisch zu beeinflussen, um deren Denken, Stimmung, Wahrnehmung und Verhalten zu ihren Gunsten zu verändern. Wir vergessen das oft, aber gerade im Umgang mit Cannabis hilft es, verschiedene Eigenschaften ihrer vielen Substanzen – wie zum Beispiel der Terpene – besser zu kennen, um zu verstehen, wie vielfältig Cannabis auf unser Bewusstsein und unseren Körper wirken kann. Ich denke, dass wir uns aufgrund unserer Ignoranz gegenüber Pflanzen dümmer verhalten als viele Tierarten. In meinem Buch „What Hashish Did To Walter Benjamin“ (Khargala Press, 2015) zitiere ich den Forscher Ronald K. Siegel, der beschreibt, wie Koalas intuitiv reifere Blätter des Eukalyptus in einem heißen Klima essen, um mit den darin enthaltenen Substanzen ihre Körpertemperatur zu senken. In einem kälteren Klima wählen sie die jungen Blätter, die eine Substanz enthalten, welche ihre Körpertemperatur erhöht. Wir sollten im Umgang mit Pflanzen eigentlich nicht viel ungeschickter sein als Koalas. Wir können ja auch Raketen bauen, die zum Mond fliegen. Koalas habe ich dort noch nicht gesehen.  

Du stellst die These auf, dass wir Menschen den Konsum von psychoaktiven Pflanzen im Laufe unserer Evolution von Tieren gelernt haben und dass er neben Essen, Trinken und Sex einen „vierten Trieb“ von Lebewesen darstellen könnte.

Diese These kommte nicht von mir, sie basiert ebenfalls auf der faszinierenden und extremen wichtigen Arbeit des Psychopharmakologen Ronald K. Siegel aus den 70er und 80er Jahren und ist seine Schlussfolgerung seiner langjährigen Forschung zum Verhalten vieler Tierarten und deren Konsum psychoaktiver Substanzen. Er behauptet – wie ich finde, sehr glaubhaft und fundiert – dass der Gebrauch psychoaktiver Substanzen im Tierreich so verbreitet sei, dass wir ihn neben Essen, Trinken und Sex als vierten Trieb ansehen können. Auch wenn ich den Begriff „Trieb“ in diesem Zusammenhang für problematisch halte, denke ich, er hat Recht damit, dass dieses Verhalten sehr weit verbreitet und recht fundamental ist. Siegel argumentiert weiter, dass der Mensch schon vor langer Zeit den Gebrauch vieler psychoaktiver Pflanzen bei vielen Tierarten beobachtet und imitiert hat. Das wirft auf einmal ein ganz neues Licht auf die gesamte Debatte um Cannabis und andere psychoaktive Substanzen wie Alkohol, Kokain oder Psilocybin.

Aus evolutionärer Sicht ist ein Rentier, das trippend, stolpernd und sabbernd im Wald steht, doch sicher besonders in Gefahr, von einem Raubtier angegriffen und getötet zu werden. Wie kann es da deiner Meinung nach für eine Tierart evolutionär vorteilhaft sein, ihr Bewusstsein zu verändern?

Psychoaktive Pflanzen können neben den Risiken, die sie sicherlich auch bringen, viele vorteilhafte Wirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit von Tieren haben. Sie können entzündungshemmend, aber auch sexuell stimulierend wirken, die Verdauung unterstützen oder helfen, Infektionen und Parasiten zu bekämpfen. Sie können Stress, Schmerzen oder Ängste lindern, können helfen, traumatische Erlebnisse zu überwinden, besser zu schlafen oder hemmungsloser in einem territorialen Kampf zu sein. Sie können Tieren eventuell auch helfen, ihr starres, instinktives Verhalten zu überwinden, um ein ungewöhnliches Problemlösungsverhalten zu entwickeln, welches das Überleben einer Spezies fördern könnte. Psychoaktive Pflanzen können bei gewisser Dosierung auch die Wahrnehmung vorteilhaft beeinflussen. Jaguare im Amazonasgebiet kauen beispielsweise die Rinde und Blätter der stark psychedelisch wirkenden Yajé – der Banisteriopsis caapi-Liane, aus der auch Ayahuasca zubereitet wird. Die Jäger dort verwenden die Substanz, um ihre Sinne bei der Jagd zu schärfen. Jaguare nutzen möglicherweise ebenfalls die Yajé-Pflanze, um ihren Geruchssinn für die Jagd zu verbessern. Auch das ist wieder eines von vielen Beispielen von Ronald K. Siegel, wie sich Menschen den spezifischen Gebrauch einer psychoaktiven Substanz zunutze machen, nachdem sie den Gebrauch bei Tieren beobachtet haben. 

Cannabis und andere psychoaktive Substanzen gehören schon lange zur Menschheitsgeschichte und haben entscheidend zu unserer kulturellen Entwicklung beigetragen. In diesem Sinne ist die aktuelle Drogenpolitik und der „War on Drugs“ eine geschichtliche Ausnahme. Du sprichst sogar von 10.000 Jahren der Co-Evolution…

Wir wissen von Ausgrabungen, dass menschliche Kulturen Cannabis schon seit mindestens 12.000 Jahren verwenden, allerdings denke ich, dass der Gebrauch sehr viel weiter in der Geschichte zurückgeht. Menschen haben Cannabis als großartigen Lieferanten für essentiell wichtige Fettsäuren genutzt, daraus Öl hergestellt, sehr stabile Seile und haltbare Kleidung, sie haben es medizinisch für die Behandlung eines unglaublichen Spektrums von Krankheiten und Beschwerden genutzt, aber sie haben es auch inspirativ auf vielfältige Weise eingesetzt. Wir können heute schon in weiten Teilen nachvollziehen, entlang welcher geographischer Routen sich Cannabis aus dem asiatischen Raum zu welcher Zeit verbreitet hat. Der weltweite Siegeszug der Pflanze hat damit zu tun, dass Menschen diese Pflanzen vielfältig gezüchtet haben und es eine dementsprechend große Palette verschiedener Sorten gibt. Cannabis hatte einen großen Einfluss auf viele Kulturen, und Menschen hatten als Züchter mit verschiedenen Bedürfnissen und Ansprüchen auch einen großen Einfluss auf die Pflanze. Hier ein wichtiger Kommentar als analytischer Sprachphilosoph zum sogenannten „War on Drugs“. Ich sage es mal provokativ, aber ich meine das sehr ernst: einen „War on Drugs“ hat es nie gegeben. Das ist ein Slogan, der gezielt von der Nixon-Administration in den 70er Jahren erfunden und benutzt wurde, und er ist irreführend. Erstens, es gibt kein Kampf gegen alle Drogen: Alkohol, Tabak, pharmazeutische Drogen, Zucker, Kaffee sind auch Drogen, wurden in den USA zu dieser Zeit aber nicht bekämpft. Zweitens, die Aggression richtet sich gegen Menschen, nicht gegen Drogen – vor allem gegen Konsumenten und Händler einiger Drogen. Und, ganz wichtig, es ist auch kein Krieg gegen alle Konsumenten bestimmter illegaler Drogen. Vor allem Nixon ist bekannt dafür, dass er mit der Repression von Cannabis-Gebrauch vor allem diejenigen damit ins Visier nahm, die er hasste und unterdrücken wollte: Hippies, die Bürgerrechtsbewegung, Vietnam-Kriegsgegner, Schwarze und Latinos. Auch heute sieht man noch an den Statistiken, dass überproportional viele Menschen aus diesen Gruppen inhaftiert werden. Drittens: War bzw. ist es ein Krieg? Nicht in dem Sinn, in dem Länder oder Armeen gegeneinander Krieg führen. Meiner Ansicht nach sollten wir hier eher von einer militärisch und mit Polizeigewalt ausgeführten brutalen Repression bestimmter Gruppen von Nutzern psychoaktiver Substanzen sprechen. Also nicht falsch verstehen: die Situation ist dramatisch wie die in einem Krieg oder schlimmer noch. Es gab Millionen von Opfern in dem Sinn, dass es unglaublich viele Tote und Verletzte gab, zerrissene Familien und Menschen, die ihr Leben lang für eine Kleinigkeit hinter Gitter verbrachten. 

Kommen wir zum Hauptthema deines neuen Buchs – der Wirkung von Cannabis auf den menschlichen Geist. Was hast du in deiner langjährigen Forschung zu diesem Thema bisher herausgefunden? 

Ich habe Hunderte von Nutzerberichten ausgewertet und diese mit Erkenntnissen aus medizinischen Studien abgeglichen sowie mit Erkenntnissen über das Endocannabinoidsystem aus der interdisziplinären Forschung, aus den Kognitionswissenschaften, der Bewusstseinsphilosophie und den Neurowissenschaften. Ich würde das Bild, das sich für mich ergibt, so zusammenfassen: Unter bestimmten Bedingungen kann das Cannabis-High vorübergehend zu einem ganzen Bouquet von positiv nutzbaren Bewusstseinsveränderungen führen. Mein leider kürzlich verstorbener Freund, der Harvard Associate Professor für Psychiatrie, Lester Grinspoon, mit dem ich einige Zeit an einem Buch zusammengearbeitet habe, sprach hier wie ich von „enhancements“ – ich benutze dafür im Deutschen den Begriff „Bereicherungen des Bewusstseins“. Hier sind nur einige davon: Viele Nutzer berichten, dass sie sich während eines Highs besser konzentrieren können, dass sich ihre Vorstellungskraft verbessert und dass ihre Wahrnehmung intensiviert und oft detaillierter und genauer ist. Sie erzählen von einer besseren inneren Wahrnehmung ihres Körpers und davon, dass sie sich wieder an längst vergessene Episoden in ihrem Leben erinnern können – auch hier mit sehr vielen Details. Sie nehmen neue Muster wahr, haben eine bessere Introspektion und damit Einblicke in die eigene Psyche, sie können sich besser in die Gefühlswelt anderer Menschen hineinversetzen und haben spontane, tiefe Einsichten und Aha-Erlebnisse. In meiner bisherigen Arbeit habe ich vor allem versucht zu erklären, auf welche Arten ein Cannabis-High zu diesen Wirkungen auf unsere Wahrnehmung und unser Denken führen kann. In weiteren Essays habe ich dann auch die gesellschaftliche Relevanz des Cannabis-Highs beleuchtet. Wie viele bereits wissen, haben unzählige Philosophen, Schriftsteller, Künstler, Musiker, Wissenschaftler und andere einflussreichen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Cannabis verwendet, um ihr Denken und ihre Arbeit zu bereichern. Diese Menschen und ihre Arbeit haben unsere Kultur langfristig beeinflusst und beeinflussen sie auch heute noch. Glücklicherweise haben sie uns umfangreiche Erfahrungsberichte hinterlassen, welche die offizielle Drogenpolitik und die Meinungsmache gewisser Medien im Zusammenhang mit dem Konsum von psychoaktiven Substanzen aller Art in Frage stellen.  

Du bist also auch der Meinung, dass nicht Cannabis & Co das eigentliche Problem sind, sondern wie man als Individuum und als Gesellschaft damit umgeht?

Absolut. Wir kämpfen immer noch mit den Auswirkungen einer einflussreichen, weltweit wirksamen Desinformationskampagne, die mit der Prohibition einherging. Auch die meisten liberal eingestellten Cannabisnutzer wissen oft wenig über das facettenreiche bewusstseinsverändernde Potenzial von psychoaktiven Substanzen wie Cannabis. Lange Zeit hatten sie weder Zugang zu guten Cannabisprodukten noch zu Informationen über einen sinnvollen Gebrauch.  Eine der traurigen Folgen der Prohibition ist, dass wir kulturell viel über den positiven historischen Gebrauch von Cannabis und anderen psychoaktiven Substanzen vergessen haben. 

Du kritisierst, dass viele Konsumenten von Cannabis oft nur nach einer Art des „Highs“ – welche du in deinem Buch als „Dazed & Confused“ bezeichnest – suchen. Was meinst du damit genau?

Das Verbot von Cannabis hat zu einem dynamischen System geführt, in dem überwiegend schlecht informierte Verbraucher lange Zeit nur Zugang zu einer schlechten Qualität bestimmter Cannabissorten hatten, die tendenziell eher eine müde machende – wenn dabei auch euphorische – Wirkung erzeugen. Während eines solchen Highs neigt man zum Beispiel dazu, etwas desorientiert zu sein und mitten im Gespräch den Faden zu verlieren. Da die Konsumenten oft nichts anderes kennen, ist das inzwischen genau das, wonach sie beim Gebrauch von Cannabis suchen. Sie suchen also ganz aktiv vor allem nach der sedierenden und verwirrende Wirkung von Cannabis, um sich geistig zu entspannen und ihren Problemen zu entfliehen. Es ist eine Art Eskapismus – also eine Flucht vor den Problemen des Lebens.

An körperlicher und geistiger Entspannung ist bei all dem Alltagsstress ja auf Anhieb erstmal nichts auszusetzen…

Dem stimme ich zu. Und viele sind ja nicht nur dem Alltagsstress ausgesetzt, sondern haben eventuell Stress aufgrund von Traumata aus der Kindheit zu verarbeiten oder sie haben Stress durch ganz andere, wenig alltägliche Probleme wie dem Tod eines nahen Verwandten oder auch einfach eines ungerechten neo-liberalen Wirtschaftssystems, welches immer weiter aus den Fugen gerät. Ein eskapistischer Gebrauch wie oben beschrieben, kann durchaus über einen gewissen Zeitraum auch helfen, Stress abzubauen, die Stimmung zu verbessern oder einzuschlafen. Aber diese Art von Gebrauch von Cannabis kann auch eine Art von Eskapismus verstärken, eine Flucht vor den Problemen der Realität, die oft eher zu einer Stagnation im Leben des Konsumenten führt, als zu einer persönlichen und positiven Entwicklung. Die Prohibitionspolitik, die leider in den meisten Ländern der Welt immer noch besteht, fügt den Problemen, vor denen viele fliehen wollen, einen weiteren enormen Stressfaktor hinzu – und treibt so viele Menschen noch mehr dazu an, Cannabis und andere Drogen für ihren Eskapismus zu missbrauchen. Ein Teufelskreis also, aus dem wir endlich ausbrechen müssen. 

Mit der „Kunst des High“ willst du den gewöhnlichen Cannabiskonsumenten dazu anregen, sich mehr mit der Hanfpflanze und ihrem Wirkspektrum auseinanderzusetzen. Dafür benutzt du den Begriff „Cannasseure“ – was verstehst du darunter?

Ich bin mir sicher, dass viele eurer Leser bereits in vielfacher Hinsicht Cannasseure sind oder auch werden wollen, um mehr über die Pflanze zu wissen. Deswegen lesen sie ja so ein Fachmagazin wie die THCENE. Wenn ich von Cannasseuren spreche, meine ich vor allem auch ein Wissen darüber, wie man Cannabis nutzt, um dessen großes bewusstseinsveränderndes Potenzial zu entfalten. Echte Cannasseure kennen zum Beispiel ihre bevorzugten Cannabissorten und achten erst einmal darauf, dass sie auf die richtige Art und Weise produziert, getrocknet, transportiert und gelagert werden. Ich möchte, dass die Leser meiner minimalistischen Anleitung „Die Kunst des Highs“ möglichst unterhaltsam lernen, wie sie ein High nutzen können, um Ideen für einen neuen Song zu generieren, ihr Liebesleben zu bereichern, neue Muster in ihrem Leben zu erkennen, sich besser an Ereignisse in ihrer Kindheit zu erinnern oder auch introspektive Einsichten über sich selbst zu gewinnen, die ihnen helfen können, sich persönlich weiterzuentwickeln. Und sie sollen lernen, Risiken zu vermeiden, die das High natürlich auch mit sich bringen kann.

Du bist ein Befürworter der klaren, geistig-anregenden Wirkung des Cannabis-Highs. Wie kann man als Konsument das von dir beschriebene High bewusst herbeiführen?

Es gibt Vieles, was man tun kann, um die Wirkung von Cannabis zu beeinflussen. Ich möchte meine Leser vor allem dazu ermächtigen, ihren eigenen Weg zu gehen und sich weder von den Mythen der Prohibition, noch von den Märchen vieler Cannabis-Marketingspezialisten täuschen zu lassen. Wer denkt, dass man alleine dadurch ein klares, euphorisches High ohne „Couchlock“ haben kann, indem man sich eine angebliche 90prozentige Sativa aussucht, ist leider auf dem Holzweg. Man kann sich nicht alleine auf die Sortenangaben der Züchter verlassen, auch wenn die Sorte natürlich ein wichtiger Faktor ist. Was ich für absolut essenziell halte, um von einem High zu profitieren, ist das persönliche Experimentieren. Dies ist u. a. deshalb wichtig, weil wir uns alle bis zu einem gewissen Grad in unserer Biochemie und unseren Reaktionen auf psychoaktive Substanzen unterscheiden. Einige von uns brauchen zum Beispiel eine stimulierende Wirkung, um kreativer zu sein, andere müssen sich vielleicht eher beruhigen, um in den Fluss eines kreativen Prozesses zu kommen. Und um zu wissen, wie wir mit Cannabis experimentieren, sollten wir etwas über die vielen anderen Faktoren verstehen, die das High beeinflussen. Wichtig ist neben der genannten Sortenwahl natürlich die Dosierung, der Zustand des Pflanzenmaterials, die Art der Einnahme und auch die Temperatur bei der Erhitzung. Zum einen sind da unsere Überzeugungen, unsere Stimmung, Einstellung und Absichten – das sogenannte „mindset“ bzw. vereinfacht „set“ genannt. Darüberhinaus spielen auch die Umgebung und der Einfluss anderer Anwesenden eine Rolle – das ist das „setting“. Wenn wir das Potenzial eines Cannabis-Highs nutzen wollen, müssen wir uns dieser Faktoren bewusst sein und sie positiv beeinflussen. Es gibt ein paar sehr einfache Maßnahmen, mit denen wir schon extrem viel erreichen können. Und so einfach sie auch sind – sie können den Ausschlag geben, ob wir während eines Highs außergewöhnliche oder sogar lebensverändernde oder kulturell wichtige kreative Ideen haben oder nur auf der Couch liegen und nichts mehr auf die Reihe bekommen. 

In diesem Zusammenhang sprichst du in deinem Buch von „der Inklusion des Highs“…

Inklusion ist ein wichtiger gesellschaftspolitischer Begriff, der in den 70er Jahren populär wurde, als Aktivisten der Behindertenbewegung eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einforderten. Der Akt der Inklusion basiert auf der Wertschätzung und Anerkennen von Diversität in einer Gemeinschaft. Dementsprechend müssen wir auch Strukturen zum Beispiel an Schulen schaffen, welche Behinderte als gleichwertige Menschen unserer Gemeinschaft betrachten. Wenn wir gute Voraussetzungen für ein bereicherndes High schaffen wollen, müssen wir zunächst unsere Einstellung ändern und verstehen, dass veränderte Bewusstseinszustände wie Schlaf, Tagträume, Trance oder Ekstase zu unserem Leben gehören. Inklusion in diesem Kontext heißt für mich, dass wir veränderte Bewusstseinszustände als zu uns gehörig wertschätzen und als wesentlichen Bestandteil unseres Lebens akzeptieren. Viele veränderte  Bewusstseinszustände wie die Ekstase sind ein Teil unserer Natur. Was wäre das Leben ohne ekstatische Zustände wie beim Orgasmus oder beim Tanzen im Club? Solche verändernden Zustände definieren uns auch in unserem Menschsein, sie bereichern unser Leben und geben ihm oft einen tieferen Sinn – aber nur, wenn wir sie in ihrer Art und zeitlichen Abfolge verstehen und zulassen. Tun wir das nicht und träumen zum Beispiel beim Autofahren, kann das zu fatalen Konsequenzen führen. In diesem Fall ist nichts falsch am Träumen – aber der Zeitpunkt war falsch gewählt. Ein Cannabis-High kann unser Leben wunderbar bereichern, wenn wir gelernt haben, es sinnvoll in unser Leben einzubeziehen. Je besser wir das psychoaktive Potenzial von Cannabis verstehen, desto besser können wir entscheiden, auf welche Art und Weise wir es verwenden wollen. Und ob wir es überhaupt verwenden wollen.

Die Stigmatisierung von Cannabis als nutzlose und gefährliche Droge wird schwächer. Denkst du, dein Buch wird auf viel Kritik von konservativer Seite stoßen?

Ich war 2013 ehrlich gesagt überrascht darüber, dass ich fast nur positive Kritiken für mein Buch „High“ bekommen habe. Sogar nach Besprechungen und Interviews in der „Kulturzeit“ bei 3sat/ZDF und in anderen nationalen Medien wie dem Deutschlandfunk. Ich glaube, „Die Kunst des Highs“ ist in gewissem Sinne noch etwas provokativer, da es ja tatsächlich eine Anleitung ist, auch wenn ich darin recht deutlich über Risiken spreche und explizit anmerke, dass ich mit dem Buch niemanden von einem Cannabis-Gebrauch überzeugen möchte, der Hanf nicht sowieso schon nutzen will. Schwieriger wird sein, mit der neueren Medienzensur umzugehen. Vor zehn Jahren durfte man auch für ein Buch über Cannabis überhaupt keine Werbung machen, alleine wegen der Schlagworte „Cannabis“ oder „Marihuana“. Jetzt ist die Unterdrückung von Kommunikation über psychoaktive Substanzen subtiler geworden und in Suchmaschinen komplexer verankert. YouTuber werden zensiert oder deren Beiträge über ihre Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen gelöscht. Ich bitte deshalb meine Leser, mein Buch an Freunde weiterzuempfehlen, wenn es ihnen gefällt. 

Am besten an drei Freude, die es dann an drei weitere empfehlen. 

Ich glaube, dass das Buch einen echten Beitrag liefern kann, dass Cannabis-Nutzer – ebenso wie Nutzer von medizinischem Cannabis – einen möglichen Missbrauch vermeiden und das volle bewusstseinsverändernde Potenzial dieser Pflanze nutzen können.    

Lieber Sebastian, vielen Dank für das ausführliche Gespräch!

Die Kunst des Highs: Wie wir mit Cannabis unser Bewusstsein bereichern können von Sebastián Marincolo ist bei Tredition Gmbh erschienen und erhältlich.